"Zeitgeist" ist kein Argument: Warum wir falsch diskutieren“
Mit dieser „Einsicht“ verblüffte die Internetseite „Communio“ am 16.7.2025 sicher manchen ihrer Leser, insbesondere wenn man dann im Text noch zu lesen bekam: „Man muss mit der Zeit gehen, sagen die einen. Man darf sich nicht dem Zeitgeist unterwerfen, meinen die anderen. Beide Argumente sind wertlos.“ Erstens ist die „Zeit“, „auf der Höhe der Zeit sein“ in all seinen vielen Variationen das Lieblingsargument aller heutigen Reformer. Dabei wird ja unter einer Reform nicht etwa ein Zurück zu der Ursprungsform verstanden, weil man sich von diesem zu weit unerlaubt entfernt hätte sondern ein Mitmarschieren mit dem Fortschritt, ein Nichtmitkommen mit dem Fortschritt so ausschließend.
Die Überzeugungskraft dieses Argumentes resultiert aus der Unübersehbarkeit des technischen Fortschrittes: Welcher jetzige Autofahrer außer ein paar Oldtimerliebhabern möchte heute noch mit einem Automobil fahren, das vor sagen wir mal 50 Jahren als neues auf den Markt geworfen worden war:“Die heutigen sind doch besser“ und auch eine Hausfrau wäscht lieber mit einer heutigen Waschmaschine und nicht mit einer, die vor 50 Jahren noch als das neueste Modell verkauft worden ist. Wie es im Reiche der Technik zuginge, daß die vorgestrige von der heutigen überholt worden ist, so wird die jetzige von der von Übermorgen veraltet,so ginge es überall zu. Die Menschheitsgschichte sei eine große Fortschrittsentwickelung, sodaß das gestern noch Wahre heute als veraltet und damit als unwahr geworden gilt. Das metaphysische Wahrheitsverständnis löst sich so völlig auf, indem es vergeschichtlicht wird.Wahr ist eine Aussage nur zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das gälte so nun auch für alle als wahr geltenden theologischen Aussagen.So lautet heutzutage das Standardargument wider die kirchliche Lehre zur Homosexualität, daß alle Aussagen der Bibel dazu als nicht mehr wahr angesehen werden können, weil die Wissenschaft jetzt viel besser Bescheid wüsse über die Homosexualität als die Autoren der Bibel.
Wenn dieses geschichtsphilosophische Narrativ wahr wäre, selbst dann könnte es noch metaphysische Wahrheiten geben, wenn diese sich als von Gott offenbarte Wahrheiten erwiesen ließen, aber auch die dekonstruiert das modernistische Denken: Jedes Verständnis der offenbarten Wahrheiten sei immer nur ein zeitgeschichtlich bedingtes und könne so nicht den Anspruch erheben, im metaphysischen Sinne wahr zu sein. Die geschehene Offenbarung, sozusagen der Urtext ist uns unzugänglich, da wir ihn immer nur in Interpretationen vor Augen haben, von der ersten bis zur jetzigen unübersehbaren Vielzahl,könnte dann noch im Sinne Nietzsches hinzugefügt werden. Wenn also das Geschehensein der Offenbarung Gottes nicht abgelehnt wird, Gott hätte sich nie offenbart und wird es auch nie tuen,dann wird zumindest sein Offenbarsein bestritten. Die Gehalte der Offenbarung sind im Laufe der Geschichte verloren gegangen, da schon die ersten Deutungen, die in der Bibel dokumentierten nur zeitbedingte waren. Nun verirrt sich diese Argumentation aber in unlösbare Aporien: Wenn die Wahrheit so überhaupt nicht erkennbar sei,obschon sie uns offenbart worden ist,wie kann dann das jetzige Verständnis von ihr als angemessener als das von Gestern beurteilt werden? Wollte ich von Leipzig nach Moskau reisen ,könnte ich in jedem Augenblick meines Dahinreisens sagen, wie viele Kilometer ich noch vom Endziel entfernt bin, und wie nahe ich ihm schon gekommen bin, studierte ich die ausgelegten Fahrpläne des Reisezuges. Ist aber die Wahrheit unerkennbar,kann ich unmöglich beurteilen, ob eine Aussage des Mittelalters über Gott Gott näher oder weniger nahe kommt als eine aus dem 20.Jahrhundert.
Es bliebe dann nur noch ein Archiv von getätigten Aussagen über Gott, wobei dann feststellbar wäre, daß die einer Epoche der einer anderen unähnlich seien und selbst untereinander ähnlich, sodaß die ähnlichen einer bestimmten Epoche zuzuordnen wären.Über den Wahrheitsgehalt einer Menge von Aussagen über Gott ließe sich dann aber gar nichts aussagen,nur daß sie einer bestimmten Epoche der Theologie angehörten. Das wäre vergleichbar dem Phänomen, daß ich über den „Bauer“ nichts Wahres sagen könnte, solange nicht geklärt ist,ob ich von der Schachfigur des Bauern, dem Bauern im Skatspiel oder von ihm in der Landwirtschaft spreche. Es sind nur wahre Aussagen über den „Bauern“ in einem bestimmten System,dem eines Spieles oder dem der Landwirtschaft möglich, aber keine metaphysisch wahre. Ähnlich existierten im Archiv der theologischen Aussagen über Gott nur Aussagen, die in bestimmten Epochen als wahr galten, aber in den anderen aber nicht. Wo also die Offenbarung oder zumindest das Offenbarsein der Offenbarung reprobiert wird, da kann es nur noch zeitgeschichtlich bedingte Aussagen über Gott geben, von denen keine als absolut wahr gelten kann, denn man kann nur noch sagen,daß die mal als wahr galten.
Dann wird aus der Aussage, daß man mit der Zeit gehen müsse, das Urteil, daß alles als wahr Ausgesagte nur als wahr galt, solange eine bestimmte Zeit die als wahr anerkannte.Nichts ist eben für die Ewigkeit wahr. Die Kirche bzw die Theologie habe also stets anzuerkennen, wie in einer bestimmten Zeit eine Aussage zu sein hat, wenn sie als wahr gelten könne und habe das jeweilige Wahrheitsverständnis der Epoche zu bejahen,um dem entsprechend ihre Aussagen zu formulieren.
Die Behauptung, daß die Kirche sich dem Zeitgeist nicht unterwerfen dürfe,kann nun aber nur unwahr sein, wenn der Zeitgeist ineins fiele mit dem Heiligen Geist, der dann noch dem von ihm früher Offenbartem widersprechen würde. Das sind für die Theologie völlig inakzeptable Meinungen und so ist die Aussage, daß die Kirche sich dem Zeitgeist nicht unterwerfen dürfe, immer wahr. Wenn die Alte Kirche und ihre großen Theologen,etwa Origenes und der hl. Augustin intensiv einen Dialog mit der platonischen Philosophie führten, dann taten sie das, weil diese Philosophie vieles enthält, das dem Chrislichen so ähnlich ist,daß sie als eine wahre Philosophie anerkannt worden ist, nicht aber unterwarfen sie sich dieser Philosophie sowenig dies auch Philo von Alexandrien tat, einer der bedeutendsten jüdischen Theologen.
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