„Als ob Liebe zur Menschheit und Haß auf Unmenschlichkeit nicht miteinander vereinbar wären“1
Chesterton, dieser so unorthodoxe Verteidiger der katholischen Orthodoxie mutet seinen mitdenkenden Lesern manches mehr als aus dem Rahmen des Gewöhnlichen Herausfallendes zu und vielleicht gelingt es ihm deshalb auch, die Orthodoxie so als etwas Lebendiges und begeistern Könnendes darzulegen wie in seinem wunderbaren Werk: „Orthodoxie“, dem die obige Titelüberschrift entnommen ist. Spontan würde ein Christ doch eher dem Votum, daß wo Liebe ist, kein Platz sei für den Haß und daß wo der Haß ist, kein Platz mehr ist für die Liebe.
Denken wir uns den Punkt „Null“, dann kann von ihm aus nach rechts von plus A bis plus Unendlich hochgezählt werden, wobei dann Unendlich die vollkommende Liebe wäre und dann kann man nach links abwärts zählen von -A bis -Unendlich und -Unendlich wäre dann der vollkommende Haß.Der Mensch stünde dann anfänglich auf dem Nullpunkt und entwickelte sich dann entweder negativ zu einem Menschen des Hasses oder positiv zu einem der Liebe. Die vollkommende Liebe und der vollkommede Haß wären unendlich weit voneinander getrennt, sodaß ein Mensch der Liebe, je weiter er sich entwickelt, desto mehr entfernt er sich vom Haß.
Dieses so schlichte und einfache Weltbild konfundiert Chesterton hier nun mit diesem einen Satz. Wir brauchen jetzt einen rabiaten Bildwechsel hin zu dem Bild eines Hufeisens mit seinem Mittelpunkt und seinen zwei extremen Endpunkten, dem rechten und dem linken, die so dicht beianderstehen, daß ein fast bruchloser Übergang von der Liebe zum Haß und vom Haß zur Liebe möglich erscheint.2
Aber nun wird es noch komplizierter: Kann man einen Feind, der einen gehaßt und bekämpft hat, als einen Helden ehren und für ihn so eine ihm gemäße Beerdigung durchführen? Kann man einen als Feind anerkennen, weil er aus Liebe einem zum Feind geworden ist? Auf diese schwierige Frage findet sich nun in dem Roman: „Um die indische Kaiserkrone“ eine Antwort, die den Leser nicht weniger irritieren wird als das obige Votum von Chesterton. Es geht um die fiktive Person: Timur Dhar. Er fungiert in dem Roman als der geistige Führer des Befreiungskampfes der Inder gegen die englische Kolonialmacht , der selbst in jedem Kampfe an der vordersten Front gekämpft hat und jedem Engländer als ein brillanter Kämpfer Respekt abverlangte. Viele englischen Soldaten tötete er, er war aber auch der intellektuelle Führer dieses Aufstandskampfes, der am Ende sehr blutig von den nicht minder tapfer kämpfenden Engländern niedergrungen worden war.
Der Sieger dieses Kampfes,ein Engänder vor dem Leichnam des gefallenen Timur Dhar stehend hielt da diese Rede:
„ Dieser Mann war ein Held, wie es in Indien keinen zweiten gibt, noch geben wird“ sagte er dann erschüttert; „er war an Kraft und Klugkeit, an List und Schlauheit, an Mut und an Energie ein Phänomen.Er hat sein Vaterland geliebt wie kein zweiter.Daß er uns als die Feinde seines Vaterlandes haßte und bekämpfte, können wir ihm nicht verargen. In seinem Sinne hat er ganz recht gehandelt.Er ist ein Held gewesen, ist wie ein Held gestorben und soll auch wie ein Held mit allen Ehren bestattet werden.“3
Suchte man ein Anschauungsbeispiel von der praktizerten Feindesliebe, dann könnte man diese Rede dafür heranziehen. Der Sieger triumphiert hier nicht über den Besiegten, verdammt ihn nicht moralisch sondern erkennt an, daß dieser politische Feind ein Feind der englischen Kolonialmacht geworden ist, weil er sein Vaterland liebte. Aus seiner Liebe zu seinem Volke wurde er zum Feinde des Feindes seines Volkes! Denn der Engländer gesteht hier ununwunden zu, daß Engand der Feind des indischen Volkes gewesen war und noch ist. Der Feind kann also jemand sein, dem man zubilligen muß, daß er aus seiner Perspektive richtig gehandelt hat.
Zu beachten ist dabei, daß hier der Haß aus der Liebe erwuchs, daß dieser Mann aus Liebe haßte, wie die Liebe zur Menschheit den Haß gegen die Unmenschlichkeit in sich trägt. So würde ja auch niemand für einen Weinkenner gehalten, wenn ihm ein Billigstwein genauso gut mundete wie ein Qualitätswein. Die Liebe liebt das Liebenswürdige und nicht das Liebensunwürdige, sodaß Gottes Liebe zu uns Menschen ein Akt der Gnade ist, da er uns obgleich nicht der Liebe würdig doch liebt.
Weit davon entfernt sind wir seit dem 20.Jahrhundert, in dem es üblich geworden ist, die Verlierer eines Krieges noch nach dem militärischen Sieg moralisch zu verunglimpfen und ihnen jede Ehre abzusprechen! Auch wenn es nun mehr als unorthodox klingen muß: Wären wir ehrlich wie dieser Engländer, könnten wir den Talibankämpfern Afghanistans nicht den Respekt verwehren, militärisch hoffnungslos unterlegen in einem langen Krieg schlußendlich die westlichen Besatzungstruppen besiegt zu haben und das von ihnen eingesetzte Regime abgelöst zu haben. Auch diese Kämpfer kämpften aus ihrer Liebe zu ihrem Vaterlande und sie wollten sich auch von uns Westmächten nicht vorschreiben lassen, wie sie zu leben hätten.
Es wird wohl keinen Deutschen geben, der jetzt in dem islamisch regieten Afghanistan leben möchte. Dieses Volk hat eben andere Vorstellungen als wir von einer guten Staatsordnung. Aber könnte man denn nicht akzeptieren, daß diese für ihre gute Ordnung, die sie für ihr Volk als die gute ansehen, tapfer gekämpft haben und gesegt haben, obzwar das militärisch fast als eine Unmöglichkeit immer noch erscheinen muß? Wir Christen müssen in diesem politischen Islamismus unseren Feind erkennen, aber dürfen wir ihm nicht auch wie es dieser Roman so trefflich zeigt, unseren Respekt erweisen dafür, daß sie in ihrem Sinne tapfer und heldenhaft gekämpft haben? Das hieße, daß diplomatisch die jetzige Regierung von unserem Staate anerkannt werden sollte und daß man dann eine gemeinsame Lösung findet für die vielen „Flüchtlinge“ aus Afghanistan, daß ihnen eine Rückkehr in ihre Heimat ermöglich wird.
1G.K.Chesterton,Orthodoxie.Eine Handreichung für die Ungläubigen, 2015, S.93.
2Dies Hufeisenbild wird neuerdings im politischen Diskurs reaktiviert, um die rechte AfD und die linke Sarah Wagenknechtpartei zu diffamieren, denn das allein Gute sei die Nullposition, die liberale Mitte.
3Robert Kraft, Um die indische Kaiserkrone, 4,Band, 33.Kapitel: Nach der Schlacht.
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