Kann eine Tat des Mitleides eine Sünde sein? Ein bedenkenswürdiges Fallbeispiel
"Zum Teufel", rief Dick,"man erschießt jeden Hund und jedesPferd, das man leiden sieht,da will ich auch an der keine Kugel sparen,wenn sie auch keinen Schuß Pulver wert ist." So steht es geschrieben in dem Roman: "Um die indische Kaiserkrone", 4.Band,31.Kapitel:"Lohn und Strafe". Wer ist nun "der"? Sie ist eine der Hauptprotaganisten dieses Romanes, eine Frau, die sich ganz ihrem Neidhaß auf ihrer Schwester hingab und sonst ein Leben in Reichtum und Überfluß erstrebte, eine Meisterin der Intrige und der Boshaftigkeit. Morphiumsüchtig wurde sie. Das 31. Kapitel schildert nun ihr Ende, wie sie auf die schrecklichste Weise an ihrer Mor-phiumsucht stirbt,nein sie krepiet. Niemand kann ihr mehr helfen,denn keiner der da Anwesenden hat Morphium bei sich, das ihr Sterben ihr erträglicher machen können.Die Kapitlüberschrift: "Lohn und Strafe" ist so auch auf sie gemünzt, daß sie nun für ihr Leben ihre Strafe erleiden muß.
Aber wie qualvoll ist ihr Tod. Dem Autoren gelingt es,diesen entsezlichen Tod so eindrücklich zu schildern, daß es nachvollziehbar ist, daß einer ihrer Feinde sie durch eine Kugel davon erlösen möchte. Aber wie reagieren nun die Dabeiseienden? "Haltet ein, Dick,bedenkt, was Ihr tun wollt! Ihr dürft keinen Menschen töten, das ist Gottes Gebot.!" Dick entgegnet: "Nanu! Auch nicht,wenn er sich so in Schmerzen krümmt?" In dieser Situation gab es nur die die Kugel als eine Möglichkeit, die so qualvoll Sterbende von ihren Schmerzen zu befreien.Wäre Dick theologisch gebildet, hätte er zudem einwenden können, daß das Gebot hieße:"Du darfst nicht morden!",denn ein Töten im Kriege wird nirgends in der Bibel als unerlaubt, als eine Sünde qualifiziert und die Todesstrafe wird ebenfalls als ein Tötungsakt bejaht. Zu fragen wäre also gewesen,ob diese Tötung auf Verlangen ein Mord gewesen wäre.
So wird Dick geantwortet:"Auch dann nicht! Ja, nicht einmal die Waffe dürft Ihr ihm in die Hand geben,wenn er sie zum Selbstmord begehrt." Der moraltheologische Standpunkt,der hier eingenommen wird, ist eindeutig: Auch eine Beihilfe zum Freitod ist unerlaubt.Dick antwortet so: "Das ist eine verdammte Grausamkeit!" Angesichts dieser verdammten Grausamkeit frägt er einen zweiten: "Ist dies wirklich wahr?" Es sei wahr, wird ihm geant-wortet und er schießt nicht auf die so qualvoll Sterbende.
Dieser so qualvoll Sterbenden nicht ihren letzten Wunsch zu erfüllen, empfindet wohl nicht nur Dick als eine verdammte Grausamkeit."immer häufiger wurden die Anfälle" in Folge des Morphiumentzuges, "immer furchtbarer die Schmerzen - sie wollte sterben, und sie konnte noch nicht,wimmernd flehte sie das Mitleid der Umstehenden an, ihr den Tod zu geben." Wer hier aus Mitleid handeln würde, verstieße gegen das Gebot Gottes.Das ist eine harte Morallehre. Es drängt sich nun der Verdacht auf, daß hier noch ein anderer theolo-gische Gedanke eine Rolle spielt:"Im Gegenteil,es ist ein Fingerzeig des Himmels.Das Gute siegt,das Böse geht zugrunde! ruft uns die allmächige Stimme vernehmlich zu,wir wollen es beherzen - und Gott für seine Güte danken." Der qualvolle Tod sei also als Gottes Gericht über diese Frau anzusehen und deshalb durfte ihr ihr letzter Wunsch nicht erfüllt werden.
Aber, so muß man hier doch wohl einwenden,darf denn dieses Sterben umstandslos als das göttliche Gericht über sie gedeutet werden, kommt das Gericht nicht erst über sie nach ihrem Sterben? Der Roman ist in diesem Punkte christlich, als er Gott auch als einen glaubt, der jetzt schon regiert und sich somit nicht auf ein Zuschauen limitiert,der dann nach dem Abtritt der Menschen aus seinem Erdenleben ihr Leben im Gericht bewertet. Trotzdem wird man nicht jedes Leiden als eine Strafe Gottes ansehen dürfen! Wenn das aber gilt, mit welchem Recht darf dann ein Christ einem so qualvoll Sterbenden eine Beihilfe zum Freitod verweigern, wenn das die einzigste Möglichkeit ist, ihn von seinen Qualen zu befreien. Es mutet doch sehr befremdlich an, daß eine Tat, ganz aus dem Mitleid motiviert, nun aus der christlichen Sicht eine Sünde sein soll!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen