Ein orthodoxes Plädoyer für eine demokratisch sich verstehende Kirche -ein irritierend kluger Gedanke!
Wer noch ganz unzeitgeitgemäß die Mahnung des Apostels Paulus im Ohr hat: „Habet Acht auf euch und auf die gesammte Herde,in welcher euch der heilige Geist zu Bischöfen gesetzt hat, die Kirche Gottes zu regieren, welche er mit seinem Blute erworben“, (Apg 20,28), wobei hier der Vulgatatext das griechische „weiden“ mit „regere“= regieren angemessen übersetzt im Gegensatz zur Einheitsübersetzung, die mit „sorgen“ das Gemeinte nicht ganz trifft, dem muß die Vorstellung einer demokratischen Kirche ad hoc sehr dubios vorkommen: nicht durch die Gläubigen sondern durch den Heiligen Geist eingesetzte Bischöfe, die die Kirche zu regieren haben! Die Demokratie bedeutet im Kontrast dazu doch die Selbstregierung der Kirche, in der sich Kirchenvorsteher doch nur durch ihr demokratisches Gewähltseinworden legitimieren könnten.
Aber für so manchem Leser der „Orthodoxie“ von G.K.Chesterton irritierend plädiert gerade dieser für ein demokratisches Kirchenverständnis! Das macht eben auch das Charakteristische dieses genialen Denkers aus, daß er immer wieder seine Leser durch ganz und gar unorthoddoxe Gedankengänge irritiert, denen der Leser trotzdem spontan zustimmt, so überzeugend werden sie vorgebracht. Es soll so Chesterton das Wort in dieser Causa erteilt werden:
„Wenn wir bei den Alltagsgeschäften der einhelligen Meinung gewöhnlicher Menschen große Bedeutung beimessen1, dann ist nicht einzusehen, warum wir diese Meinung geringschätzen sollten, wenn es sich um Geschichte oder Volksüberlieferung handelt. Tradition bedeutet, daß man der am meisten im Schatten stehenden Klasse2, unseren Vorfahren,Stimmrecht verleiht.Tra- dition ist die Demokratie für die Toten.Sie ist die Weigerung,der kleinen,anmaßenden Oligarchie3 derer,die zufällig gerade auf der Erde wandeln,das Feld zu überlassen.“ 4
Die Lehre der Kirche, das sei die Tradition, dtas, was all die vor uns Warenden geglaubt haben und was wir nicht gegen sie nun abschaffen dürfen, wenn wir uns als Demokraten verstehen. Wir Heutigen müßten eben den Glauben der vielen vor uns als auch für uns verbindlichen respektieren, da wir uns nicht anmaßen dürften, willkürlich sich dagegen zu stellen wie eine Oligarchie, die den Willen der Mehrheit einfach mißachtend regiert. Die Bejahung der Tradition gehöre so konstitutiv zu einer sich demokratisch verstehenden Kirche. Nichtdemokratisch wäre es, wenn wir Jetzigen einfach die Tradition für nicht mehr maßgeblich verwerfen würden, auch wenn dies unter dem Gewand einer Modernisierung bzw Weiterentwickelung der Tradition unternommen wird.
Chesterton führt diesen Gedanken nun weiter aus: „Bei unseren Beratungen sind die Toten zugegen.Die alten Griechen stimmten mit Steinen ab; jene stimmen mit Grabsteinen ab.All das ist ganz in Ordnung und vorschriftsgemäß,da die meisten Grabsteine wie die meisten Wahlzettel mit einem Kreuz markiert sind.“5
Dies evoziert aber eine gewichtige Anfrage: Kann in der Kirche das als wahr gelten, wofür die meisten, die allermeisten gestimmt haben? Wird Jesus als der Christus rechtens geglaubt, weil die Mehrheit oder alle Christen am Anfang ihn als den Messias geglaubt haben, sodaß wir Jetzigen nun diesem Entscheid unsererseits zuzustimmen hätten, da bis jetzt die Mehrheit aller vor uns auf Erden gewesenen Christen diesem Glauben zugestimmt haben? Als Jesus seine Schüler frug: „Und für wen haltet ihr mich?“ und Petrus antwortete: „Für den Christus“, war da dieses Bekenntnis wahr, weil alle oder die Mehrheit seiner Schüler dieser Aussage zustimmten?
Die Aussage, der 30 Jährige Krieg begann 1618 ist doch auch nicht deshalb wahr, weil jeder Historiker dieser Aussage zustimmt. Man könnte so meinen, daß nur bei Fragen, wo nicht erkannt werden kann, ob eine Antwort wahr oder falsch sei, die Antwort dann als wahr gilt, die die meiste Zustimmung erhält. Bei dem europäischen Singwettbewerb gilt das Lied als das beste, das am meisten Punkte auf sich versammeln kann aber als Musikkenner dürfte man wohl ein großes Fragezeichen in dieser Entscheidung setzen, daß die Quantität der Jastimmen zu einem Lied die Qualität des Liedes bestimmt.
Aus der orthodox katholischen Perspektive gilt, daß die Tradition wahr ist, weil Jesus Christus das lebendige Haupt seiner Kirche ist,sdaß er dafür sorgt, daß die Kirche nie in Gänze irren kann, sondern nur einzelne Glieder von ihr. Das, was die Kirche so zu allen Zeiten und allen Orten geglaubt hat, ist so wahr, weil die Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes ihre Tradition herausgebildet hat. Deswegen sagt ja auch Jesus zu Petrus, daß sein Bekenntnis, daß Jesus der Christus ist, ihm durch Gott selbst offenbart worden ist (Mt 16,17)und daß so dies Bekenntnis nicht das Ergebnis seiner Interpretation der Person Jesu sei.
Corollarium:
Es fehlt dem demokratischen Verständnis der Kirche der Begriff der Offenbarung Gottes, die sich selbst in der Kirche expliziert. Das verlangt nämlich eine Dezentrierung des Menschen in der Kirche.
1Ein ironischer Unterton ist hier aber nicht überhörbar, denn in der Demokratie wählt ja der gewöhnliche Mensch die Regierung.
2Das ist eine feine Anspielung an das marxistische Theorem von der unterdrückten Arbeiterklasse.
3Die Oligarchie wird hier als die Antithese zur Demokrtie verwendet, daß Wenige und nicht alle herrschen.
4Chesterton, Orthodoxie, 2015, S.99.
5A.a.O. S.100.
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