Die liberale Theologie – eine fulminante Kritik in „Doktor Faustus“ von Thomas Mann
Daß ein Denker und Schriftsteller dieses Formates sich in einem seiner bedeutendsten Werke, dem „Doktor Faustus“ kritisch mit der liberalen Theologie auseinandersetzt, muß eine Selbstverständlichkeit sein für jeden, der dessen großes Werk: „Betrachtungen eines Unpolitischen“ gelesen hat,plädiert hier doch Thomas Mann dafür, daß Deutschland sich nicht verwestlichen lassen solle und muß doch auch irritieren,denn welcher Intellektuelle setzt sich heute noch mit der Theologie auseinander, außer daß er kritisiert, daß sie sich immer noch nicht hinreichend modernisiert und das heißt immer liberalisiert habe.
„Nach meinem Dafürhalten ist >liberale Theologie< ein hölzernes Eisen, eine contradictio in adjecto. Kulurbejahend und willig zur Anpassung an die Ideale der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie ist, setzt sie das Religiöse zur Funktion der menschlichen Humanität herab und verwässert das Exstatische und Paradoxe, das dem religiösen Genius wesentlich ist, zu einer ethischen Fortschrittlichkeit.“ 1 Die Religion und somit auch die christliche ist eben wesentlich etwas anderes als die bürgerliche Kultur in ihrer Spannung zwischen ihren Idealen, das ist die „Dreieinigkeit“ von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ und der Realität, „wie sie ist“.Sie könne sich nicht herabwürdigen dazu,nur noch eine „Funktion der menschlichen Humanität“ zu sein. Der religiöse Genius wird dabei dem Bürgerlichen entgegengestellt,ähnlich wie Thomas Mann den Schriftsteller, den Künstler,in diesem Roman dem Tonkünstler dem Bürgerlichen entgegenstellt.
Das Bürgerliche ist für ihn der Glaube an den ethischen Fortschritt, dem die liberale Theologie in sich aufnimmt, und somit ihr Eigenes verliert. Anders formuliert: Die christliche Religion glaubt nicht an einen sittlichen Fortschritt des Menschen sondern an seine Erlösungsbedürftigkeit. Die theologischen Positionen der liberalen Theologie seien schwach,“denn ihrem Moralismus und Humanismus mangle die Einsicht in den dämonischen Charakter der menschlichen Existenz.“ Wenn der Mensch nämlich von sich aus in der Lage wäre, das Gute zu wollen und zu realisieren, dann wäre jede Gnade Gottes überflüssig und auch jede Religion, da sie dann ja nur zur Humanität aufriefe,die eines solchen Aufrufes gar nicht bedürfte. Es fehle dieser Humanitätsideologie das Verständnis für die „Tragik des Lebens“.
„Unter dem Druck der Aufklärung hatte die Theologie fast nichts zu tun,als sich gegen die unleidlichen Widersprüche,die man ihr nachwies, zu verteidigen, und,um ihnen nur zu entgehen,nahm sie vom offenbarungsfeindlichen Geist soviel in sich auf,daß es auf die Preisgabe des Glaubens hinauslief.“ Diese Analyse gilt für den liberalen Protestantismus, der hier ins Auge gefaßt wird. Die Katholische Kirche kämpfte dagegen tapfer gegen den innerkirchlichen Liberalismus, dem Modernismus während des ganzen 19.Jahrhundertes, das deswegen von den heutigen Modernisten so perhorresziert wird,die dann das 2.Vaticanum als den Anfang des Sieges der liberalen Theologie in der Kirche feiern.
Die liberale Theologie erkläre dann alles für „veraltet“, „was nicht der >moralischen Ausbesserung< diente“. Daraus erklärt sich auch die strikte Feindschaft wider die theologische Lehre von der Erbsünde,da sie dem humanitaristischen Weltverbesserugsoptimismus zu wider ist.So ist für die liberale Kirchengeschichtsschreibung die „Geschichte der Kirche und ihrer Lehre nur eine Komödie der Irrungen“.Besser kann der Standpunkt der zeitgenössischen Kirchengeschichtsschreibung nicht erfaßt werden, wobei aber zu ergänzen wäre, daß schon die größten Teile des Neuen Testamentes so zeitgeschichtlich bedingt sein, daß sie für uns Jetzige nur noch Kuriositäten sind.
Einem aufmerksamen Leser müßte der kritische Tonfall dem Humanismus gegenüber auffallen,läge es doch nahe, das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft vor Augen habend, einem neuen Humanismus oder einer Repristination des bürgerlichen Humanismus das Wort zu reden. Aber ein solches Unterfangen würde eben dem Menschen, so wie er wirklich ist,eben nicht gerecht.
1Thomas Mann, Doktor Faustus,XI. Kapitel., alle weiteren Zitate sind aus diesem Kapitel „Nach meinem Dafürhalten“ darf dabei nun nicht umstandslos mit der Position des Autoren dieses Romanes identifiziert werden,auch wenn die Kritik des Liberalismus das Kernstück seiner „Betrachtungen“ ist.