Daß es einen vorherrschenden Zeitgeist gibt, daß in und mit ihm gedacht wird, das ist keine überraschende These und doch imaginiert man sich das Subjekt des Denkens gern als eines, daß doch selbstständig denkt, sodaß seine Übereinstimmung mit dem herrschenden Zeitgeist als eine nachträgliche Anpassung des eigenen Denkens an den Zeitgeist kritisiert wird.
Konträr dazu sagt Sloterdijk über sein eigenes Denken aus:"Ich gehöre,wie früher angedeutet, zu der ersten Nachkriegsgeneration in Deutschland, die in den beginnenden sechziger Jahre angefangen hat, sich seine eigene Gedanken zu machen- wie man das so schön und irreführend nennt, denn die eigenen Gedanken, mit denen man anfängt, sind die massivsten Klischees der Zeit, in der man lebt." Sloterdijk, Heinrichs, Die Sonne und der Tod.Dialogische Untersuchungen, 2001, S.140. Ergo: Gerade wo ich meine, eigenständig und selbstständig zu denken, da denke ich, wie man zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort denkt. Pointiert formuliert Sloterdijk den Verlust der Vorstellung des eigenständigen Denkens so: "Sie haben sich damit abgefunden, daß es denkt, wenn ich denke, und daß es redet, wenn ich rede." (S.84).
Für diese Selbstkritik des Ideales des selbstständigen Denkens findet sich nun- unerwartet- in Stephan Arkadjewitsch Oblonski (Tolstoj, Anna Karina, 1.Buch, 3.Kapitel) ein würdiger Vertreter, der damaligen Vorliebe für das liberale Denken Rußlands: Er "wählte sich weder seineGrundsätze noch seine Ansichten aus, sondern diese Grundsätze und Ansichten kamen von selbst zu ihm, ganz ebenso, wie er die Formen seines Hutes oder seines Rockes nicht auswählte, sondern einfach die nahm, die allgemein getragen wurden."
Zwei Punkte sollen nun hierbei hervorgehoben werden, bei Sloterdijk: anfing, sich eigene Gedanken zu machen und bei Oblonski, einfach (über)nehmen,was allgemein gedacht wird. Deutet sich damit nicht eine Distanznahme zu dem aus, wie man allgemein zu denken pflegt, daß sich in mir nur der vorherrschende Zeitgeist manifestiert? Der Philosoph hat ja nicht mit dem anfänglichen Denken aufgehört, er dachte weiter und wurde so zu einem der originellsten Denker der Gegenwart. Und Oblonski könnte sich aus dem liberalen Zeitgeistdenken emanzipieren, hörte er auf, einfach so zu denken, wie man allgemein denkt. Aber das verlangt eben das bewußte Heraustreten aus dem allgemeinen Gerede des Zeitgeistes, oder um es mit Hesse zu formulieren, daß der Sichabsondernde wie ein Steppenwolf zu denken anfängt.
Dialoginsznierungen wie der synodale Weg der Deutschen Bischöfe dagegen reproduzieren in sich selbst nur das allgemeine Gerede, denn hier wird so gedacht und geredet, wie Sloterdijk das anfängliche selbstsändige Denken charakterisiert: "denn die eigenen Gedanken, mit denen man anfängt, sind die massivsten Klischees der Zeit, in der man lebt."
Wirklich selbstständiges Denken ist eben immer nur die Ausnahmsweise, ist den Steppenwölfen vorbehalten. Eine menschliche Gesellschaft kann wahrscheinlich gar nicht anders funktionieren, als daß es selbstständiges Denken als eine Störung diskriminiert. Aber ohne Dissidenten würde die Kultur einer Gesellschaft erstarren, kristalin leblos werden. Es ist kein Zufall, daß zur Rhetorik des nun erreichten Endes der Geschichte der Tod des cartesianschen Subejktes: "Ich denke, also bin ich" proklamiert wird. (Vergleiche dazu: Zizek, Die Tücke des Subjekts)
Also, gerade dann wenn wir spontan eigenständig zu agieren meinen, agieren wir aus dem vorherrschenden Zeitgeist heraus. Sich aus dieser spontan sich ereignenden Einstimmung in den Zeitgeist zu befreien, das dagegen ist ein mühsamer Weg, sodaß nur wenige Eigendenker werden, Steppenwölfe außerhalb des etablierten Diskurses.
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