"29. Es sollen zwar alle
Menschen in gleicher Weise geliebt werden; da man aber nicht
jedermann nützen kann, so muß man vornehmlich für jene Sorge
tragen, die einem durch die Verhältnisse des Ortes, der Zeit oder
irgendwelcher anderer Umstände gleichsam schon durch das Los näher
verbunden sind. Wenn du z. B. von deinem Überfluß etwas an
einen Dürftigen mit teilen sollst und du könntest es, falls dir
zwei gleich bedürftige und gleich nahestehende Menschen begegneten,
nicht beiden geben, so wäre es am gerechtesten, durch das Los den
Empfänger einer Gabe zu bestimmen, die nicht beiden zugleich
mitgeteilt werden kann. So hat man unter den Menschen, denen man
nicht insgesamt helfen kann, die Innigkeit des gegenseitigen
augenblicklichen Verbandes für die Entscheidung des Loses zu halten."
Damit die Nächstenliebe eine praktizierbare sein kann, hat sie sich auf die Nächsten zu fokussieren. Wer allen und jedem helfen will, der kann niemandem mehr helfen. Der Nächste ist so erstmal ein räumlicher Begriff, und meint so den mir Nahestehenden. Dann ist der Begriff aber auch in einem übertragenen Sinne zu verstehen: der Verwandte als mir Nahestehender. Diese Nähe darf nun moraltheologisch nicht einfach als etwas Zufälliges bezeichnet werden. Denn Gott, indem er mich an einem bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit zur Welt kommen läßt, bestimmt mir so, wer mein Nächster ist. Nicht ich erwähle mir meine Nächsten, sondern Gott durch mein Geborenwerden an einem bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit, in eine bestimmte Familie und ein bestimmtes Volk.
Der Sohn Gottes kann und will allen Menschen ihr Heiland sein, aber die ihm Nachfolgenden können das nur particular realisieren, nur die Kirche als Ganzes kann so auch nur für alle Menschen da sein, aber nicht ist jedes Glied der Kirche für alle verantwortlich. Aber ein Mangel an Christologie und Ecclesiologie führt nun zu den Überspanntheiten der Gutmenschen, daß jeder für alle Menschen verantwortlich wäre. Das ruiniert aber das praktische Vermögen der so Aufgeforderten. Die Ordnung der Menschheit in Rassen und Völker ist so auch selbst eine Ordnung Gottes, durch die so Näheverhältnisse geschaffen werden, sodaß so die geforderte Nächstenliebe lebbar wird.
Ein einfaches Beispiel möge das veranschaulichen: Wenn die Objekte der Mutterliebe alle Kinder der Welt wären, könnte keine Mutter die Mutteriebe leben. Nur weil es die Unterscheidung von eigenen und fremden Kindern gibt, kann eine Mutter ihre Mutterliebe praktizieren.Eine unlimitierte Ausdehnung auf alle Kinder der Welt dagegen machte so die Mutterliebe zu einer reinen Unmöglichkeit.
Faktisch ist aber das Anliegen des Gutmenschen nicht, alle Menschen zu lieben, sondern all die legitim hassen zu dürfen, die wie der hl. Augustin die Nächstenliebe praktizieren wollen. Es mag wohl so sein, daß alle Menschen geliebt werden möchten, wie es Augustin hier sagt, aber es darf nicht vergessen werden, daß der Mensch der Sünde lieber haßt als daß er liebt!
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