Donnerstag, 29. April 2021

Die Gesundheit als höchstes Gut- oder Leben zwischen Selbst-und Fremdbestimmung- oder die „Coronadiktatur“



Wenn die Meinung, der Mensch habe nur ein Leben, mit seinem Tode sei es endgültig vorbei, dann ist es verständlich, daß das Gut der Gesundheit zum höchsten Wert avanciert. Denn es gilt doch wohl, daß der Mensch in der Regel an einer oder gar mehreren Krankheiten stürbe, sodaß die Sorge um die Gesundheit die praktizierte Vorsorge gegen den Tod ist. (Vielleicht reüssiert auch deshalb der „Transhumanismus“, da eine Cyborgisierung des Menschen ihn ja immunisieren könnte vor jeder Krankheit.) Daß der Tod nicht kommt, weil es tödliche Krankheiten gibt, sondern weil der Mensch ob seiner Erbsünde zum Sterbenmüssen verurteilt ist und daß deshalb tödliche Krankheiten auftreten, ist selbst unter Christen eine vergessene Wahrheit!

Aber es melden sich doch, wenn nachgedacht wird, ernste Zweifel an: Gilt nicht das Glück oder vulgärer formuliert der Lustgewinn und die Vermeidung von Unlust als höchstes menschliches Ziel? So stünden Lebensentwürfe in einer Spannung zwischen zwei Gütern, dem lange zu leben und so alle die eigene Gesundheit Gefährdende zu meiden und dem, ein Maximum an Glück bzw Lust zu erleben im Leben. Die erste Lebensausrichtung sei die extensive, die andere die intensive genannt. Wer gerne raucht, benutzt ein Genußmittel, das aber die Lebenserwartung reduzieren kann, wenn dies Genußmittel intensiv genossen wird. Wer dagegen sich nur gesund ernährt, steigert so wohl seine Lebenserwartung, verzichtet dabei dann aber auf viel Wohlschmeckendes. Abstrakt formuliert: Ein Mehr an Lebenserwartung geht zu Lasten der Lebensqualität des Glückes und des Lustgewinnes, ein intensiver Lebensstil verkürzt dagegen die Lebenserwartung.

Nahe liegt es nun, zumindest bei Erwachsenen die Entscheidung, wie sie ihr Leben gestalten wollen in der Spannung von Lebensextensivierung und Lebensintensivierung selbst zu überlassen. Hierbei muß dann unbedingt der moralische Diskurs von dem, was der Staat durch Gesetze zu verbieten und als zu bestrafende Handlung bestimmt, distinguiert werden. So kann der Freitod moralphilosophisch als inakzeptable Handlung verurteilt werden, aber vom Staat nicht als strafbare Handlung qualifiziert werden. Der Staat überzöge wohl seine Kompetenz, verböte er den Freitod, es ist aber legitim, den Freitod als moralisch verwerflich zu beurteilen. Die staatlichen Gesetze determinieren nämlich nicht vollständig das Leben des Bürgers, denn sie setzen Freiräume individueller Gestaltungsmöglichkeiten. Das ist dann der Raum des moralischen Diskurses.

So ergibt sich für das Gut der Gesundheit, daß jedem Bürger das Recht ist, hier um der Intensivierung seines eigenen Lebens Nachteile für seine Gesundheit in Kauf zu nehmen. Der Staat erlaubt so den Tabak- und Alkoholgenuß. Aber es gibt kein Recht, daß der Bürger durch seine Option der Intensivierung des Lebens die Gesundheit anderer gefährdet. Optimal war diese Problematik früher in den Zügen der Deutschen Bundesbahn gelöst, indem es Nichtraucher- und Raucherabteile gab, sodaß jeder gemäß seiner Wahl, Genießen oder um der Gesundheit willen auf den Tabakgenuß zu verzichten, in den Zügen reisen konnte. Das Verbot der Zugraucherabteile zeigt so aber eine Überschreitung der Gesetzeskompetenz an, weil so der, der um des Genusses willen eine Beeinträchtigung seiner Gesundheit durch seinen Tabakgenuß in Kauf nimmt, in seiner Freiheit beeinträchtigt wird, ohne daß sich diese Beeinträchtigung mit dem Ziel der Bewahrung des Nichtrauchers vor den Gefahren des Passivrauchens legitimieren ließe. Wird hier also das Gut der Gesundheit so verabsolutiert, daß um dieses Gutes willen die individuelle Freiheit begrenzt wird?Faktisch stellen ja die bekannten Antirauchergesetze eine Beeinträchtigung der Freiheit der Raucher dar. Wo das Recht zur Selbstbestimmung seinen Ort hat, wird so jetzt eine Frendbestimmung exekutiert.



Nun meinen viele, daß der Staat durch seine Coronoschutzbestimmungen die Bürgerrechte in unzumutbarer Weise eingeschränkt hätte. So werden gegen die staatlichen Maßnahmen lautstark protestiert. Faktisch wird so eine andere Grenzüberschreitung so eingefordert: Der Staat dürfe nicht um des Gemeinwohles der Volksgesundheit willen die Freiheit des Bürgers beschränken, denn nur er allein trage die Verantwortung für seine Gesundheit. Jeder habe eben eigenverantwortlich für seine eigene Gesundheit zu sorgen, so wie er es für sich wählt in dem Spannungsverhältnis von Lebensextensivierung und Lebensintensivierung. Nur damit maßt sich der Bürger an, auch über den Anderen mitzuentscheiden. Halte ich die angeordneten Abstanzregeln nicht ein, um weiterhin das Glück körperlicher Nähe zu erleben, gefährde ich ja nicht nur meine Gesundheit sondern auch die derer, zu denen ich den gebotenen Abstand nicht einhalte. Das Selbstbestimmungsrecht, das auch die Option beinhaltet, sich zu Lasten meiner Gesundheit für Genußvolles zu entscheiden, mutiert hier so zum Recht, den Anderen zu schaden, dessen Gesundheit zu gefährden.

Vorreiter für diese Überdehnung des Rechtes auf Selbstbestimmung war und ist der Feminismus mit seinem Kampf um das Recht, über das Lebensrecht anderer entscheiden, ob das eigene Kind im Mutterleibe leben darf oder ob es zu töten ist. Dies Recht deutet ja der Feminismus als Selbstbestimmungsrecht der Frau. Damit wird es zum Bestimmungsrecht über das Leben anderer. Als freier Bürger bräuchte ich so nicht das Recht anderer zu respektieren, denn es zähle nur das meinige. Das kann als das Grundprinzip der libertären Ideologie angesehen werden, einem radicalisierten Liberalismus, dem der Staat immer als der Feind der Freiheit erscheint.

Der Staat hat so die wesentliche Aufgabe, die Freiheit des einen Bürgers vor der Willkürfreiheit des Anderen zu beschützen, der seine Eigenfreiheit zu Lasten der Mitmenschen ausleben will. Er kann aber sein Recht selbst überdehnen, wenn er das Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt, das Recht, über sein eigenes Leben zu bestimmen auch in der Spannung zwischen dem Ziel der Lebensextensivierung und der Lebensintensivierung, indem er ihn zur Wahl der Gesundheit als höchstes Gut verpflichtet. Der Bürger darf auch anderes als Ziel erwählen, solange er dadurch nicht andere in ihrer Gesundheit gefährdet. So kann der Staat tatsächlich öffentliche Gottesdienste verbieten, wenn er zu der begründeten Annahme gekommen ist, daß sonst in Folge der Gottesdiensten mit ihrem großen Ansteckungsrisiko andere Menschen außerhalb des Gottesdienstes infiziert werden könnten. Der Gottesdienstbesucher hat zwar das Recht, um der Teilnahme an einer Messe seine Gesundheit zu gefährden, nicht aber das Recht, dann nach der Messe andere Menschen zu gefährden durch die Möglichkeit einer Infizierung. Mein Eigenrecht muß immer seine Grenze finden im Recht des Anderen. Dafür Sorge zu tragen ist die Aufgabe des Staates, der so der Garant bürgerlicher Freiheiten ist, indem er sie auch immer limitieren muß, damit Bürger nicht Opfer von Fremdbestimmungen anderer werden.

 

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