Mittwoch, 28. April 2021

Selbstverständlichkeiten: Demokratie ist gut, Diktatur ist böse- leben wir in einer Merkel-Diktatur ?



Dies Werturteil ist uns so sehr zur Selbstverständlichkeit geworden, daß der politische Diskurs sich darauf beschränkt zu diskutieren, ob ein bestimmtes Regime diktatorisch sei oder nicht. Aus Querdenkerkreisen kann dann gar die Parole von einem Kampfe wider die „Corona-Diktatur“ oder die „Merkel-Diktatur“ vernommen werden. Hitler und Stalin gelten selbstredend als Diktatoren, nur daß dabei unbedingt betont werden muß, daß unter Hitler alles viel fürchterlicher gewesen war als unter der kommunistischen Herrschaft Stalins. Ob aber von einer SED-Diktatur zu sprechen sei, ist dann umstritten, als Aushilfe gilt dann die Qualifizierung des DDR-Staates als Unrechtsstaat.

Aktueller bewegt der Militärputsch in Myanmar in diesem Jahre die Gemüter. Laudiert wird dabei den Christen, die obzwar in diesem Lande nur eine sehr kleine Minderheit, sich aktiv an den Protesten und Widerstandsaktionen gegen die Militärregierung zu beteiligen.

Nun könnte es doch die Aufgabe von zum Intellektualismus Neigender sein, auch mal so lieb gewonnene Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen, denn für das philosophische Denken gibt es keine Selbstverständlichkeiten.

Wikipedia weiß über den Militärputsch Folgendes zu sagen:

Beim Militärputsch in Myanmar 2021 handelt es sich um einen Putsch der myanmarischen Streitkräfte, geführt von General Min Aung Hlaing, gegen die demokratisch gewählte Regierung unter Aung San Suu Kyi. Am 1. Februar 2021, als die neue Legislaturperiode des Parlaments beginnen sollte, verkündete das Militär einen Ausnahmezustand von einem Jahr, löste das aus zwei Kammern bestehende Parlament auf und setzte den vormaligen Vizepräsidenten Myint Swe als kommissarisches Staatsoberhaupt ein. Als Grund für den Putsch wurde Wahlbetrug genannt."

Da ich selbst über die politische Lage in diesem Lande nicht Bescheid weiß, limitiere ich mich darauf, Fragen zu stellen, denn alles Denken beginnt mit dem Befragen von etwas!

Das Urchristentum beteiligte sich nicht am Freiheitskampf des jüdischen Volkes gegen die Römische Fremdherrschaft. Es gab sehr starke nationalrevolutionäre Kräfte, denen es aber auch um die freie Ausübung der Religion ging. Unter dem Begriff der „Zeloten“ werden oft die divergierenden Strömungen zu Zeiten Jesu subsumiert und auch gemäßigtere „Zeloten“ schlossen sich evtl der Jesusbewegung an. So ist die These, daß Judas Iskariot aus Enttäuschung über Jesus, daß er nicht wie es Judas als Zelot erhofft hatte, Israel von den Römern befreite, ihn verriet, vielleicht hoffend, daß er so Jesus zum militanten Aufruhr gegen die Römische Besatzungsmacht zu provozieren, nicht ganz von der Hand zu weisen.

Viel irritierender ist dagegen Paulus positives Verhältnis zum Römischen Staat, (Röm 13). Statt sich dem Römischen Unrechtsstaat zu widersetzen, der unterdrückte ja das jüdische Volk, wurde er als von Gott gesetzte Obrigkeit affirmiert, man betete gar für sie und hielt sich von allem Rebellischen fern.Angesichts dieser Tatsache: Warum beteiligen sich dann jetzt in Myanmar Christen so energisch wider die Militärregierung? Könnte sie nicht jetzt auch zur legitimen Obrigkeit geworden sein? Evozieren nicht die Widerstandsaktionen das Militär zu gewaltsamen Reaktionen, wobei Menschen ihr Leben verlieren – es wäre dann das Militär nicht allein Schuld an den Toten. Ist es denn eine Selbstverständlichkeit, daß demokratisch Gewählte gut und eine Militärregierung eigennützig machtbesessen regiert? Könnten Militärs nicht auch Staatsbürger sein, die ob ihres Berufes schon mehr an das Gemeinwohl des Volkes zu denken gewohnt sind- für dieses ziehen sie ja, wenn es nötig ist, in den Krieg und lassen sich dafür auch im Ernstfall des Krieges töten? Nicht sage ich damit, daß es so sich verhält, fragwürdig erscheint mir aber das Faktum, daß niemand so frägt, auch nicht die Christen in diesem Lande. Fragwürdig ist das Engagement gegen die neue Regierung, wenn dies Verhalten kontrastiert wird mit dem Sichverhalten der urchristlichen Kirche zum Römischen Staat.


Aber es müßte doch eine Selbstverständlichkeit sein, gegen die Regierungsform der Diktatur zu sein. Nur wäre da doch zuvor zu klären, was denn eine Diktatur zu einer Diktatur macht. Grundsätzlich gilt die Diktatur als pervertierte Form der der Monarchie wie die Oligarchie als die Perversion der Aristokratie und die Ochlokratie als Perversion der Demokratie angesehen wird in der klassischen Staatslehre. Entweder regiert eine, (Monarchie), einige (Aristokratie) oder alle (Demokratie). Jede dieser Staatsformen kann nun auf spezifische Weise sich pervertieren. So wäre die Diktatur als pervertierte Gestalt der monarchischen Alleinherrschaft zu verstehen. Der Alleinherrscher ist der Diktator. Moderne Gesellschaften, (am konsequentesten entfaltet dies der Soziologe N. Luhmann mit seiner Systemtheorie) zeichnen sich durch eine Binnendifferenzierung in relativ unabhängige Subsysteme aus mit jeweils eigenem Kommunikationscode aus. Das führt zu einer extremen Ausdifferenzierung von Expertenwissenssystemen, sodaß die Experten verschiedener Bereiche nicht mehr auf dem Niveau des Expertenwissens miteinander kommunizieren können. (In der wissenschaftlichen Theologie versteht in der Regel ein Kirchengeschichtsprofessor fast nichts von Dogmatik und Pastoraltheologen fast nichts von der Exegese des Alten- und Neuen Testamentes!)

In modernen Gesellschaften kann es sogar gar nicht mehr ein Zentrum geben, von dem aus alles regiert wird, denn dazu ist die Gesellschaft zu ausdifferenziert. Das ist vergleichbar einer Gruppe von Menschen, in der jeder eine andere Sprache spricht und nun ein Befehlshaber Befehle erteilt, aber kaum jemand ihn versteht, da er in einer ihm nur eigenen Sprache der Politik kommuniziert. Luhmann stellt ja so rechtens die bedrängende Frage: Kann eine moderne Gesellschaft noch als Ganzes geführt werden? So drängt sich der Verdacht auf, daß es trotz der Selbstinszenierung als Alleinregierer faktisch solche in der Moderne gar nicht geben kann. Zudem übernimmt der so Alleinregierende die Verantwortung für Alles und so eine politische Gestaltungsmacht überfordernd delegitimiert er seine eigene politische Herrschaft, weil er nun für alles Mißlingen in den Subsystemen der modernen Gesellschaft sich verantwortlich macht und so dann auch kritisiert wird.

Sind so „Diktaturen“ Simulationen von politischer Fastallmacht, die über das Faktum der Dezentrierung der Macht in einer modernen Gesellschaft hinwegtäuscht. (Die Bejahung dieser Dezentrierung und des Abschiedes von der Einheitsvorstellung, daß der Staat die Gesellschaft zur Einheit zusammenführt, wäre nach dem Philosophen W.Welsch das Signifikante des postmodernen Geistes.

Wenn also die Diktatur zu einer Unmöglichkeit der Moderne geworden ist, dann sind „Diktaturen“ eben nur noch Staatsformen, die im Vergleich zu den politischen Idealen der Bürgerlichen Revolutionen die Bürgerrechte unzumutbar einschränken in der Regel mit der Legitimationsformel, daß diese Limitierung für das Allgemeinwohl nötig ist. Statt also über den diktatorischen Charakter einer Politik zu raisonieren, wäre es sinnvoller im politischen Diskurs zu erörtern ob getroffene Einschränkungen von Bürgerrechten um des Volksgemeinwohles legitim oder nicht legitim sind, ob sie also zum Schutze des Volkes nötig sind. (So halte ich es für sinnvoll, die Reisefreiheit durch Grenzkontrollen einzuschränken, Unerwünschte nicht einreisen zu lassen, um so die innere Sicherheit eines Landes zu stärken auch wenn das eine Limitierung von Menschenrechten wäre.)

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen