Sonntag, 18. April 2021

Pluralität als höchster Wert?

(Was ist Wahrheit? Das Ende dieser Frage im Pluralismus)



So genommen stellt Kunsterfahrung eine exemplarische und mustergültige Einübung in Pluralität dar.“ urteilt W.Welsch in seinem Essayband: Ästhetisches Denken 8.Auflage 2017, S.77. Ja für ihn ist die postmoderne Ästhetik geradezu um dieses Zweckes willen: Sie soll der Affirmation der Pluralität dienen.Die Postmoderne sei geradezu die Haltung der Bejahung der Pluralität, wohingegen die moderne Perspektive die Pluralität als etwas Problematisches ansähe, weil sie ihr Ideal in Einheitsvorstellungen sähe. Die Postmoderne überwinde diese Einheitsvorstllung durch ihré Abwendung vom Anthropozentrimus und vom Logozentrimus. Allerdings expliziert dann der Autor diese zwei Begriffe nicht. Er setzt wohl ihren Negativcharakter voraus, um die Befreiung davon gutzuheißen.

Unreflektiert bleibt dabei aber die simple Frage, wozu denn die Pluralität die Kunst zu ihrer Legitimierung bedarf, wozu einer ästhetischen Hinführung. Sollte etwa das Ideal der Pluralität nicht ad hoc auf eine Zustimmung hoffen dürfen, sodaß um ihre Akzeptanz erst gerungen werden muß?

Es soll eine Orientierungsskisse versucht werden, und zwar selbst eine pluralistische.

Es gibt den Raum des Wissens und Wißbaren. Für die Fragen, wann begann der 30 Jährige Krieg?, wer ist jetzt die Bundeskanzlerin Deutschlands?, was ist 5 plus 7?; gibt es jeweils eine richtige Antwort, alle anderen sind falsch. Hier wird keine Pluralität der Antworten geduldet. Nur solange die richtige Antwort noch nicht gewußt wird, sind diverse Antworten legitim. Der Kommissar,einen Mordfall untersuchend resümiert, der oder der oder die könnte der Täter gewesen sein, aber mit dem Ziel, daß am Ende der kriminalistischen Untersuchung der eine wahre Täter überführt wird.

Ganz anders verhält es sich im Raume des Konsums: Hier erfreut es einen Kunden, wenn er aus einem vielfältigen Angebot von Weinsorten die ihm mundende aussuchen kann.

Im Raum der Ästhetik verhält sich nun der Kunstgenießer wie ein Konsument: Er schaut das ihm Gefällige aus einer Vielzahl von Kunstwerken aus. Der ästhetische Diskurs, was ist ein wahres Kunstwerk?, interessiert ihn nicht, denn ihm kommt es allein auf sein eigenes Geschmacksurteil an.

Aber es gibt andere Räume, wo eine solche Pluralität nicht gutgeheißen wird. Wie würde wohl ein Patient reagieren, sagte der eine Arzt ihm, das Geschwür sei gutartig und der andere, es sei Krebs? Würde da diese Pluralität der Urteile begrüßt werden?

Es gibt also Lebensräume, in der die Pluralität bejaht wird und es gibt Räume, in denen sie nicht tolerierbar ist. Warum soll nun die Pluralität als solche zu dem wahren Ordnungsprinzip für alles erhoben werden? Jeder wissenschaftliche Diskurs drängt darauf, ausgehend von einer Pluralität von Theorien die zur Erklärung von Sachverhalten angemessene herauszukristallisieren. Absurd wäre es, zu urteilen, daß es gut sei, daß es viele Theorien gäbe und niemand erkennen könne, welche angemessen sei. Es drängt sich so der Eindruck auf, daß je größer die Lebensrelevanz von etwas ist, desto weniger wird in diesem Raume eine Pluralität bejaht. Nur wo man meint, das könne man halten, wie man will, da wird die Pluralität affirmiert. Die Affirmation der Pluralität der Religionen wie die der Kunst zeigte so nur auf, daß Beides als nicht so wichtig angesehen wird.

Aber warum soll dann der Zweck der postmodernen Kunst der der Affirmation der postmodernen Pluralität sein? Impliziert das, daß es Widerstände gegen die Affirmation des Pluralismus gibt, daß eben doch der Wille zur Unterscheidung von wahr und unwahr, gut und böse, schön und unschön, die theoretische, die praktische und die ästhetische Vernunft sich dieser Universalpluralisierung widersetzen?

Auf der anderen Seite wirken die Essays von W.Walsch aber auch vergestrigt. Die Politische Korrektheitsideologie mit ihrer überschäumenden Lust an Denk-und Meinungsäußerungsverboten ist ja antipluralistisch: Nur was politisch korrekt ist, darf noch gedacht und gesagt werden. Wehe dem, der einen Schokoladenkuß auch mal einen Negerkuß nennt, oder der ein Zigeunerschnitzel ordert....Diese Ablehnung der Pluralität ist so eine selbstverständliche Praxis geworden, daß sie gar nicht mehr aufffiele, wenn nicht ihre Apologeten im Namen der Pluralität und Diversität permanent die Einschränkung der Meinungsfreiheit einforderten und die Zensur für das beste Mittel zur Förderung der Pluralität anpriesen. Die politisch korrekte Pluralität ist also eine, die die Pluralität faktisch abschaffen will. Unterscheidet sich davon nun die postmoderne Pluralität als Nein zu dieser Uniformierungstendenz? Oder soll uns die Pluralität im Ästhetischen über die Uniformierungstendenz des Lebens durch die Politische Korrektheit nur hinwegtrösten?



Corollarium 1

Ist nicht jede Kunstauffassung, die die Kunst nicht als Kunst um ihretwillen versteht, ein Indienstnehmen der Kunst für nichtästhetische Zwecke und so ihre Herabwürdigung zu einer Butlerexistenz!



 

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