Samstag, 28. August 2021

Auflösung der Fundamente der christlichen Religion



Das Fundament, auf dem die christliche wie auch jede andere monotheistische Religion sich auferbaut ist der Basissatz: Gott ist. (Polytheistische Religionen glauben gar an eine Mehrzahl von Göttern!)

Gott wird vom Menschen als die sinnentscheidende Antwort auf die Grundfragen seines Lebens und als absolute Lösung der Rätsel der Welt gesucht“. Norbert Fischer, Die philosophische Frage nach Gott, 1995, S.37. Das klingt gut, aber stimmt es auch? Erstmal ist hier eine Vorentscheidung getroffen worden, unreflektiert und unbegründet, daß das Subjekt der Gottsuche „der Mensch“ sei- ist die Religion somit eine Hervorbringung des Einzelmenschen, oder nicht vielmehr eine Hervorbringung sozialer Gemeinschaften? So wie es keine Privatsprache gibt, sodaß dann Privatsprachen sich begegneten, um dann daraus eine gemeinsame Sprache zu kreieren, so wenig haben wohl Einzelne ihren Privatgott gefunden, um dann aus vielen persönlichen Gottesvorstellungen eine gemeinsame hervorzubringen.

Wahrscheinlicher ist hier aber wohl gemeint, daß jeder Mensch, weil er bei aller Individualität doch immer auch ein bestimmtes Menschsein ist, ein so nach Gott Fragender ist. Nur ist dann kritisch anzufragen, ob das Wesen der Religion als eine Antwort auf diese menschliche Frage nach Gott nicht verkannt wird, insofern die Religion ein soziales Gebilde ist, das zur Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens dient?

Aber diese Kaprizierung auf den Menschen als Frager nach Gott paßt zu der Bestimmung Gottes als der „sinnentscheidenden Antwort“.Laut Paul Tillich stellt der Mensch nicht in allen Epochen die gleiche Frage. So sei in der Antike Jesus Christus die Antwort auf die Frage nach der Überwindbarkeit des Todesschicksales expliziert worden, Luther habe dagegen Jesus Christus neu kalibriert als die Antwort auf die Frage seiner Zeit: Wie wird mir Gott ein gnädiger?, und in der Moderne müsse nun die Antwort Jesus Christus von Neuem kalibriert werden auf die Sinnfrage des Menschen. Daß erst der moderne Mensch so frägt, ist nicht unplausibel, zeichnet sich doch die Moderne durch die Entbindung der Menschen aus sozialen Bindungen und seine Vereinzelung aus, sodaß so ihm die Frage nach dem Sinn seines Einzeldaseins bedrängt. Vormals war ein Glied von einer sozialen Gemeinschaft, der Familie, eines Stammes und eines Volkstumes,woraus er seinen Lebenssinn erhielt: Als Teil des Ganzen bin ich etwas Sinnvolles, denn auch wenn ich sterbe, bleibt doch das erhalten, worin und wofür ich gelebt habe.

Also dem modernen entbundenen vereinzelten Menschen soll Gott die Antwort auf seine Sinnfrage sein, beziehungsweise: Er sucht nach Gott als der Antwort auf diese seine Frage. Lebt der moderne Mensch also in einer Welt oder einer Gesellschaft des Sinndefizites oder gar der Sinnlosigkeit? Oder ist die Empfindung der Sinnlosigkeit nur ein Augenblicksgefühl, das nur als ein Herausfallen, ein Sichentfremdethaben aus einer sinnvoll strukturierten Welt zu interpretieren ist? (Sartres Meisterwerk: „Der Ekel“, ließe sich so deuten.)

Im Alltagshandeln unterscheidet ein Agierender zwischen Handlungen, die er um seiner selbst willen vollbringt, und denen, die ihren Zweck nicht in sich haben. Was um seiner selbst willen getan wird, wird genossen (das augustinische: frui= genießen), was um eines Zweckes außerhalb dieses Tuens getan wird, wird als sinnvoll (im augustinischen Sinne des uti= gebrauchen) beurteilt, weil so das selbstzweckliche Tuen ermöglicht wurde. Ich kaufe ein Buch, um es zu lesen. Das Buchkaufen ist eine uti-Handlung, die sinnvoll ist, weil sie auf das selbstzweckliche Lesen ausgerichtet ist, dies Lesen wiederum wird genossen, weil ich dies Buch um des Lesens willen lese. Ich genieße es (frui). So sind Handlungen in sich selbst immer sinnerfüllt, entweder in ihrer Ausrichtung auf ein Ziel, das um seiner selbst willen erstrebt wird oder weil sie in sich selbst sinnvoll sind, weil sie so genossen werden.

Als sinnlos können so die Handlungen beurteilt werden, die ihren Zweck nicht erreichten: Ich versuchte, mein Fahrrad zu reparieren, aber vergeblich, es fährt nicht. Oder aber der Genuß stellt sich bei einer selbstzwecklichen Tat nicht ein: Die Musik, die ich um des Musikhörens willen hören wollte, mißfällt mir plötzlich, als wenn ich plötzlich nicht in der für diese Musik angemessenen Stimmung mich befinde. Dies sind aber kontingente Erfahrungen, die auch nur als irritierende Störung empfunden werden, weil in der Regel das um seiner selbst willen Getane genossen wird und die meisten uti-Handlungen ihr Ziel erreichen: Ich gehe einkaufen und finde das, was ich kaufen wollte, im Verbrauchermarkt.

Prinzipieller stellt sich das Problem der Sinnsuche dar, wenn auf das menschliche Leben im Raume der Sprache reflektiert wird. Eine Autobiographie könnte ich schreiben. Das kleinste Element ist dabei der Satz: Jeder Satz ist sinnvoll, sonst wäre er kein Satz. Durch das sprachliche Denken wird so uns alles kraft der Sätze sinnvoll. Selbst wenn wir eine völlig sinnlose Welt annähmen, die nur aus einem Meer chaotisch in einem Raum zerstreuter Dinge bestünde, durch die Sprache, wenn wir in Sätzen denken, würde sie uns zu einer sinnvollen. Im sprachlich strukturierten Denken unterwürfen wir so selbst eine chaotischen Welt dem Sprachsinn. Nur ein Herausfallen aus einem gewissen Grundvertrauen in die Sprache, daß in ihr uns die Welt, wie sie uns im Denken erscheint, auch wirklich ist, kann ein Empfinden in die Welt als einer absurd-sinnlosen evozieren.

Wenn so die Frage nach dem Sinn die Frage sein soll, die durch Gott beantwortet wird, dann ist es verständlich, warum die Antwort: „Gott“ auf so wenig Resonanz stößt. Wir leben in einer sinnüberfüllten Gesellschaft, in der nur in kontingenten Ausnahmefällen sich diese Frage als bedrängende stellt, wenn etwa ein Nachwuchsautor jedes seiner Manuskripte als nicht akzeptabel von den Verlagen zurückgesendet bekommt, also wenn Erfahrungen regelmäßigen Scheiterns gemacht werden oder wenn die Fähigkeit, etwas zu genießen, verloren geht, meist zeitlich befristet, etwa ein Ehemann, der die Intimität mit seiner Frau nicht mehr genießt. Aber so sehr Erfahrungen des Scheiterns zum Alltagsleben dazugehören, daß nicht erreicht wird, was erreicht werden sollte oder das nicht genossen werden kann, was genossen werden sollte, das sind immer doch nur kontingente Erfahrungen in einer im allgemein sinnvoll strukturierten Lebenswelt- handlungstheoretisch und sprachphilosophisch erklärbar.



Zusatz:

Nach dem Scheitern der Großversuche, die ganze Menschheits-geschichte als einen Prozeß zu verstehen, der auf das Ziel der Humanisierung und der vernünftigen Gestaltung des Lebens ausgerichtet sei, seit dem deshalb proklamierten Ende der Geschichte (als einem in sich selbst vernünftig auf ein Endziel gerichteten Weg, Hegel, Marx, der Fortschrittsoptimismus der Aufklärung), kann die Geschichte nur noch als der Ermöglichungsraum fragmentarischer in sich selbst aber vernünftiger Kleinstprojekte angesehen werden und so auch das ganze Leben eines Menschen. Das Scheitern der Großprojekte mit ihren großen Erzählungen (Lyotard) führt nicht zu dem Urteil einer sinnlosen Geschichte sondern zum Aufruf zu fragmentarischen Kleinstexperimenten im kollektiven wie im individuellen Bereich. Der Sinn des Ganzen ist so sein Ermöglichen von Einzelprojekten. Das könnte als ein wesentliches Moment der Postmoderne angesehen werden, sodaß in dieser Epoche die Frage nach dem einen Sinn für das Ganze obsolet geworden ist. Zur Veranschaulichung: Der postmoderne Mensch hat keinen Beruf mehr als Berufung zu einer Lebenstätigkeit sondern eben diverse Jobs, mal den, dann den. Er lebt so nur noch fragmentarisch.



 

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