Mittwoch, 11. August 2021

Irritationen: der domestizierte Gott, der einst zu fürchten war



Timor Domini principium sapientiae“ = Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit lehrt uns Sprüche Salomons 1,7. Der Genitiv „des Herrn“ ist hier natürlich selbstredend als Genitivus objectivus zu lesen, also als Furcht vor dem Herrn. Ob „principium“ angemessen mit der Anfang“ zu übersetzen ist, da ist ein Fragezeichen zu setzen erlaubt. Im Deutschen wird ja der Anfang assoziiert mit etwas Kleinem, woraus sich dann etwas Großes herausentwickelt, aber im Griechschen wie im Lateinischen dann auch meint das Prinzip das Wesentliche, die Fülle, aus der dann alles andere abgeleitet oder geformt wird. Deshalb möchte ich lieber so übersetzen:

Die Furcht vor dem Herrn ist das Prinzip der Weisheit.

Jesus Sirach belehrt uns weiterhin über die Furcht vor Gott: „Timor Domini expellit peccatum“= Die Furcht des Herrn verscheucht die Sünde. (1,27) Und Vers 28 fügt noch hinzu: „Nam qui sine timore est, non poterit justificari“ = denn wer keine Furcht hat, kann nicht gerechtfertigt werden.


Nur, warum ist denn Gott zu fürchten, wenn er doch nur die Liebe zu allen Menschen ist? Jesus Sirach respondiert diese Frage so: „Et ne dicas: Miseratio Domini magna est, multitudinis peccatorum meorum miserebitur.Misericordia enim et ira ab illo cito proximant, et in peccatores de die in diem“= Sage auch nicht: Die Barmherzigkeit des Herrn ist groß, er wird gegen die Menge meiner Sünden barmherzig sein.Denn sein Erbarmen und sein Zorn kommen schnell daher, und sein Zorn blickt auf die Sünder. (5,6f)

Gott ist möglicherweise sowohl erbarmend als auch zornig dem Sünder gegenüber. Daraus entspringt die menschliche Haltung der Furcht vor Gott, denn er verhält sich nicht selbstverständlich, sozusagen natürlich erbarmend zu uns Menschen. Weil Gott der Möglichkeit nach immer auch der zornige Gott sein kann, ist die Grundhaltung der Frömmigkeit die der Gottesfurcht. Otto expliziert in seinem Buch: „Das Heilige“ Gott als die Einheit von dem Faszinosum und dem Tremendum, sodaß so wirklich die Grundhaltung der Frömmigkeit die der Gottesfurcht ist.

Wenn diese Grundhaltung fehlt, dann ist keine Rechtfertigung von Gott her zu erwarten, urteilt der Weisheitslehrer hier, für den unserigen Geschmack zu hart. Nur auch das Buch Jesus Sirach gehört gegen Luther zum Kanon, ist Bestandteil der hl. Schrift. Wer die Möglichkeit des Zornes Gottes vor Augen hat, daß Gott dem Sünder ob seines Sündigens zürnt, daß der sich dann vor dem Sündigen scheuen wird, ist nun sehr verständlich. Es ist ein zutiefst weisheitlicher Gedanke: Nicht die Einsicht in das Gute, das es zu tuen und daß das Böse zu unterlassen ist, bewirkt schon eine hinreichende Motivation zum Nichtsündigen,sondern die Furcht vor dem Zorne Gottes erst.

Wo stattdessen Gott allein als reine Barmherzigkeit vorgestellt wird, da verführt der: „Ich hab euch doch alle lieb Gott“ zum Sündigen. (Nebenbemerkung: Je humaner der Strafvollzug gestaltet wird, desto weniger schreckt er straffällig Gewordene davor ab, weiterhin Verbrechen zu begehen!)

Die Furcht vor Gott ist als das Prinzip der Weisheit auch das Prinzip der Theologie. Denn dieses Prinzip stellt erst sicher, warum es wichtig ist, wahr von Gott zu denken, daß es dem Gott eben nicht gleichgültig ist, wie wir Menschen was von ihm denken. Die Gottesfurcht verlangt nach einem wahren Denken über ihn. Wäre Gott nur die reine Barmherzigkeit könnte ja geurteilt werden, daß es ihm sicher gleichgültig ist, wie und als was wir uns ihn vorstellen. Dann wird die Theologie zu einer Ausstellung diverser Gottesbilder, in der sich jeder das ihm genehme auswählt als seinen Privatgott.(Privatio= Beraubung: Gott seiner Wahrheit berauben)

Dieser Gott, der zu fürchten ist,ist der Kirche abhanden gekommen. Es ist bezeichnend dafür, daß das Gebet: „Tag des Zornes“ in den nachkonziliaren Zeiten nicht mehr bei Beerdigungen gebetet wird!


Dies irae


Tag der Rache, Tag den Sünden,

Wird das Weltall sich entzünden,

Wie Sibyll und David künden.


Welch ein Graus wird sein und Zagen,

Wenn der Richter kommt mit Fragen

Streng zu prüfen alle Klagen!


Laut wird die Posaune klingen

Durch der Erde Gräber dringen,

Alle hin zum Throne zwingen.


Schaudernd sehen Tod und Leben

Sich die Kreatur erheben,

Rechenschaft dem Herrn zu geben.


Und ein Buch wird aufgeschlagen,

Treu darin ist eingetragen

Jede Schuld aus Erdentagen.


Sitzt der Richter dann zu richten,

Wird sich das Verborgne lichten;

Nichts kann vor der Strafe flüchten.


Weh! was ich Armer sagen?

Welchen Anwalt mir erfragen,

Wenn Gerechte selbst verzagen?


König schrecklicher Gewalten,

Frei ist Deiner Gnade Schalten:

Gnadenquell, laß Gnade walten!


Milder Jesus, wollst erwägen,

Daß Du kamest meinetwegen,

Schleudre mir nicht Fluch entgegen


Bist mich suchend müd gegangen,

Mir zum Heil am Kreuz gehangen,

Mög dies Mühn zum Ziel gelangen.


Richter Du gerechter Richter,

Nachsicht üb in meiner Sache,

Eh' ich zum Gericht erwache.


Seufzend steh ich schuldbefangen,

Schamrot glühen meine Wangen,

Laß mein Bitten Gnad erlangen.


Hast vergeben einst Marien,

Hast dem Schächer dann verziehen,

Hast auch Hoffnung mir verliehen.


Wenig gilt vor Dir mein Flehen;

Doch aus Gnade laß geschehen,

Daß ich mög der Höll entgehen.


Bei den Schafen gib mir Weide,

Von der Böcke Schar mich scheide,

Stell mich auf die rechte Seite.


Wird die Hölle ohne Schonung

Den Verdammten zur Belohnung,

Ruf mich zu der Sel'gen Wohnung.


Schuldgebeugt zu Dir ich schrei,

Tief zerknirscht in Herzensreue,

Sel`ges Ende mir verleihe.


Tag der Tränen, Tag der Wehen,

Da vom Grabe wird erstehen

Zum Gericht der Mensch voll Sünden;


Laß ihn, Gott Erbarmen finden,

Milder Jesus, Herrscher Du,

Schenk den Toten ew'ge Ruh. Amen.


Die Domestikation Gottes begann mit der Aufklärung unter der Fragestellung: Wie ist Gott zu denken, damit die differenten Vorstellungen über Gott in den christlichen Confessionen und den anderen Religionen nicht zu innerchristlichen und innerreligiösen Konflikten führen- angesichts der Erfahrung der Religionskriege des 17.Jahrhundertes. Die Antwort: Nur der vernünftig gedachte Gott, wohingegen alle Aussagen der positiven Religionen, die über die vernünftig-natürliche hinausgingen als gleichgültig und überflüssig zu gelten haben. Der Gott der natürlichen Gotteserkenntnis, jedem Vernünftigen zugänglich war so der Tod aller Gottesvorstellungen der Religionen, sie sollten auf den vernünftig gedachten reduziert werden. Gott selbst verhielte sich so gleichgültig zu allen in den Religionen und Theologien präsenten divergenten Gottesvorstellungen.

Die Postmoderne radicalisiert nun diese Domestikation durch ihre Credo, daß jede erkannte Wahrheit als Bedrohung der Freiheit anzusehen sei. Wer im Besitz einer Wahrheit sich wähnt, sieht sich dadurch ermächtigt, alle anderen Vorstellungen als unwahr zu bekämpfen. Nicht nur in den totalitären Staaten würde so in der Autorität von als absolut wahr gesetzten ideologischen Wahrheiten alles davon Abweichende bekämpft, sondern der Wahrheitsdiskurs selbst in seiner Vernünftigkeit bedroht so die Freiheit. Wahrheit darf so nur noch als etwas gelten, nach dem gesucht wird, das aber nie gefunden werden darf. Die Religionen mit ihren verschiedenen Gottesvorstellungen sind so nur noch Suchbewegungen nach der Wahrheit, die sie aber nicht gefunden und als ihren Besitz ansehen dürfen.

Als praktisches Postulat für den Dialog der Religionen hat so die Regel zu gelten, daß alle Gottesvorstellungen als gleichgültig zu gelten haben in der Anerkenntnis, daß wie Gott wirklich objektiv ist, nicht erkennbar ist. Es ist so nur eine Spielregel für diesen Dialog, daß alle Gottesvorstellungen als gleichgültig, als gleich nah und gleich fern von Gott anzusehen seien. Gott sei es jedenfalls gleichgültig, wie er in den Theologien und Religionen gedacht wird. Daß Gott so sich verhält, ist nun nicht etwa eine wahre Gotteserkenntnis, sondern nur eine zweite Regel für den Dialog der Religionen, damit es zu keinen Konflikten ob der differenten Gottesvorstellungen in den Religionen kommen kann. So wird durch diese Diskursregeln Gott so domestiziert, daß Gott wirklich nicht mehr zu fürchten ist.

Gott wird so nicht wahrer als vordem erkannt, er wird nur so konstruiert, wie er dem Weltfrieden dienlich und nicht störend ist. Das setzt nun aber auch aus sich heraus die Folge, daß die zeitgenössische Moral nicht mehr in Abhängigkeit von der Gottesvorstellung konstruiert wird, sondern als eine rein autonom vernünftige, die die größtmögliche Pluralität von Lebensstilen erlauben soll um der Freiheit willen.



 

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