Mittwoch, 4. August 2021

„Die Verachtung des Eigenen“- oder der Wille zur Selbstverneinung



Naiv ist die Vorstellung, daß jeder sehr wohl sich selbst liebe, aber es oft an der Nächsten- und Fernstenliebe mangele, sodaß die allermeisten zwischenmenschlichen Probleme diesem Defizit sich verdanken.Die Goldene Regel: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ oder: „Tue niemandem etwas an, von dem Du nicht willst, daß es Dir angetan werden wird“ präsumieren eben ein positives Selbstverhältnis, das eben doch keine Selbstverständlichkeit ist.

J. Schwab diskutiert dies Phänomen in dem Kapitel: „Die Verachtung des Eigenen“ anhand einer Auseinandersetzung mit F. Lisson, der zu dieser Problematik sehr Bedenkenswertes zur Diskussion gestellt hat, in seinem Buch: „Zukunft Deutsch, 2021 S.88f.

Lisson: „>Kultureller Selbsthaß> ist ein Zeichen von Resignation,von Enttäuschung über den Rest >Natur< im Menschen, der sich immer wieder Bahn bricht, sobald die Mittel der Kultur an Integrationskraft nachlassen.Natur und Kultur werden hier als Gegensätze verstanden, die einander komplementär gegenüberstehen;Kultur bezeichnet das >Verfeinerte“, von Menschen bewußt Gemachte und Reflektierte, das herausgewachsen ist aus dem Zustand des >unbewußtem<Handelns in der Natur.“ (S.88)

Ein paar notwendige Korrekturen sind hier vorab zu machen, um diese These diskussionswürdig zu gestalten. In Anlehnung an S. Zizek muß festgehalten werden, daß der Mensch ob seiner Freiheit schon ein aus der Naturordnung herausgerissenes Subjekt ist, das so, um es mit A.Gehlen zu formulieren seine defizitäre Bestimmung durch seinen Triebapparat durch die Etablierung von Institutionen und Lehren, wie man sich zu verhalten habe kompensiert. Nicht der Naturmensch sondern der Mensch, der nicht durch seine Natur determiniert ist, bedarf so der Kultur, um sein durch seine Natur nicht fixiertes Leben zu regulieren.

Daraus ergibt sich dann auch, daß die Kultur nicht aus dem Naturzustand herausgewachsen ist, sondern hier muß ein doppelter Bruch wahrgenommen werden, der erste, daß der Mensch nicht einfach integriert in der Naturordnung lebt und der zweite, daß er durch die Kultur seine nicht hinreichende Bestimmung durch seine Eigennatur aufhebt.

Der Kulturmensch erlebt und erleidet so sein Kulturleben als domestizierte Freiheit, in die seine ursprüngliche Willkürfreiheit aufgehoben ist. Es ist nicht mehr seine unmittelbare Freiheit, die, was immer auch gewollt wird, realisieren zu können, sondern die Negation dieser Willkürfreiheit im vernünftigen Gebrauch dieser Freiheit.

Der Mensch der so kultivierten Freiheit, daß er sie nur noch vernünftig lebt, soll nun nach Lisson erkennen, daß in ihm die Sehnsucht nach der Willkürfreiheit nicht zum Verschwinden zu bringen sei- einfacher religiös formuliert: Die in Christus neue Kreatur erkennt in sich selbst immer wieder den „Alten Adam“ als in sich sehr lebendig. Da das Projekt der Selbstkultivierung so nicht den neuen Menschen hervorbrachte, da der Mensch den Willkürmenschen in sich als Realität immer wieder gewahren muß, evoziere das den Haß auf die Kultur, die das nicht vollbrachte, was sie verhieß.

Geschichtlicher formuliert: Glaubte die Aufklärung an die Möglichkeit der Hervorbringung des rein vernünftigen Menschen, so erwies sich der Mensch als aufklärungsresistent und blieb so der „Alte Adam“, der obskurantistische Hinterweltler. Konkreter liefe das auf die Kritik des „Weißen Mannes“ hinaus, der als Aufgeklärter die ganze Welt kultivieren wollte, aber als Imperialist und Unterdrücker faktisch nur die universellen Menschen-unterdrückung zu Stande brachte. Sieht so die westliche Kultur sich selbst, evoziert das in ihr selbst die Verachtung dieser eigenen Kultur.

So gedeutet gewinnt Lissons Theorie doch einige Plausibilität. Die westliche Kultur als das Mittel zu der Humanisierung der ganzen Welt demaskierte sich so zu einer bloßen Maskerade des ungebremsten Willens zur Macht des „Alten Adams“, des Menschen der Willkürfreiheit.

Trotzdem erweckt diese plausibel klingende These den Eindruck, daß hier etwas ganz und gar nicht stimme. Das Unbehagen an der Kultur ist doch primär, daß die eigene Kultur als Entfremdung von einem eigentlichen vorkulturellem natürlichen Leben empfunden wird. Der naturwüchsige Indianer oder die von Ethnologen aufgefundenen ganz „primitiv“ Lebenden erscheinen dem an seiner Hochkultur Leidenden als das wahre unentfremdete Leben. Der vermeintliche Naturzustand wird dann gegen Hobbes Lehre vom Urstand als dem des Krieges aller gegen alle mit Rousseau und K. Marx als idyllisches Urleben erphantasiert, aus dem der Mensch durch seine Kultivierung herausgerissen worden ist. Es sei nur an die Emphase gedacht, mit der heutzutage alles „Natürliche“ gepriesen wird als das wahrhaft Gute, von der natürlichen Ernährung bis zum: Gib Dich doch natürlich!, als postmoderne Benimmnorm.

Wenn Lisson dann an anderer Stelle schreibt: „Kultureller Selbsthaß ist ein Haß gegen Kultur als solcher, die man verkörpert“ (S.88), dann trifft das doch besser den Sachverhalt der Verachtung der Eigenkultur. Aber doch sollte der erste Ansatz nicht in Gänze verworfen werden. Daß die Hybris, daß gerade die westlich aufgeklärte Kultur die sei, an der die ganze Welt genesen kann und soll, umschlägt in den Haß auf diese eigene Kultur, wenn sie anerkennen muß, daß sie sich zu viel zugetraut hatte als sie sich zur Erlöserkultur aufwertete, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.


Eines ist aber offensichtlich: Die Begeisterung, mit der die Multikultiideologie in ganz Westeuropa und Amerika gefeiert wird, ist nur das Vordergründige dieser subkutan wirkenden Verachtung des Eigenen. Im Asylanten erblickt der seine eigene Kultur Verachtende eben den besseren Menschen, der hoffentlich mithilft, die eigene verachtete Kultur zu zerstören. Der Destruktionswille, die Lust am Zerstören des Eigenen, das nur noch als eine Entfremdung von einem irgendwie verschwundenen eigentlichen Leben vorgestellt wird, darf nicht übersehen werden, sosehr die Multikultiideologie primär eine Hervorbringung des sich globalisierenden Kapitalismus ist, der so sich einen freien Weltarbeitsmarkt und große Scharen an Reservearbeitskräften erschaffen will zum Funktionieren der Marktwirtschaft, wie es J.Schwab sehr überzeugend in seinem Buch: „Zukunft Deutsch“ herausarbeitet.


 

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