„Interessant war es doch auch,wie sich plötzlich unsere rechten Etatisten zu wahren Anarcho-Libertären verwandelten, und zwar im Zuge der Corona-Maßnahmen im Jahr 2020.Daß man als Preuße,als Ritter, als deutscher Recke,als Germane nun eine >Maske< tragen mußte, galt vielen Rechten als Demütigung durch die falsche Obrigkeit. Dabei war die Frage,ob der Mund-und Nasenschutz die Pandemie wesentlich eindämmt, nicht so wichtig wie der indi-vidualistische Freiheitsdrang.“ J. Schwab, Zukunft Deutsch, 2021, S.113f Fußnote 206.
Treffender kann das Verhalten von Teilen der AfD und anderer sich rechts Gebender nicht charakterisiert werden. Es muß davon ausgegangen werden, daß diese Orientierungsverirrungen, daß Etatisten und Rechte ein positives Verhältnis zum Obrigkeitsstaat einnehmend zu Anarcho-Libertäre mutieren, ihren Grund in der Veramerikanisierung auch der politisch Rechten in Deutschland hat. Amerikas Conservative wie auch Rechte leben aus dem Mythos des „Wilden Westens“, wo ein „richtiger Mann“ ein Cowboy, ausgestattet mit einem immer schußbereiten Colt ist, der so selbst sich sein Recht verschaffte und dem der Staat so nur ein Hindernis seiner freien Entfaltung war. Der Mann, der selbst aus sich was Großes macht, ganz auf sich allein gestellt, das ist der amerikanische pazifizierterer Traum vom Tellerwäscher bis zum Millionär.
Ein Staat dagegen, der das Gewaltmonopol gegen den Coltbesitzer durchsetzt, der als Sozialstaat für die Armen sorgt, der Schutzgesetze erläßt, statt alles der Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen überläßt, der ist dann eben ein „Sozialist“, bzw „Kommunist“. Die kulturelle Hegemonie Amerikas in der westlichen Wertegemeinschaft führt so dazu, daß selbst Conservative und Rechte veramerikanisiert zu Libertären werden, radicalisierten Liberalen. Im politischen Diskurs Europas und isb Deutschland plädiert dagegen der Conservatismus und die politische Rechts stets für einen starken Staat. Diese Position fundiert sich dann in einer politisch ausgerichteten Sicht des Menschen, der eben nicht als von Natur aus zum Guten, Edlen und Wahren ausgerichtet angesehen wird, sondern als einen, der ob seiner Neigung zur Willkürfreiheit, alles, was ich will, darf ich auch, weil ich es will, zu domestizieren ist. Ein kleines leider reales Geschehen mag das veranschaulichen: Jungens, schon zur Schule gehend urlaubten mit ihren Eltern auf einem Bauernhof. Mit Holzstöcken bewaffnet stürmten sie in den Hühnerstall und schlugen da Küken tot. Die Mutter, zur Rede gestellt, erklärte, sie erzöge ihre Buben eben antiautoritär.
Dieser anthropologische Realismus trennt eben das conservative und rechte Denken von allem linken, das in Rousseaus, daß der Mensch von Natur aus zum Guten neige, ihren Ahnherr hat. Aber das liberale Denken sieht das ganz anders: Ihm erscheint stets der Staat als potentielle Bedrohung der individuellen Freiheit. So wäre dann Otto von Bismarcks Sozialstaat der erste große Sündenfall in der deutschen Geschichte. Bezeichnend für den Liberalismus und Libertärismus ist nun auch, daß er sich nicht primär gegen die Einschränkungen der politischen Freiheitsrechte engagiert, sondern jede Einschränkung der Konsumfreiheit verurteilt. Auch um die Gefahren einer Seuche zu begegnen dürfe nicht das bürgerliche Grundrecht des freien Kaufens und Verkaufens beschränkt werden.Denn das bürgerliche Leben ist nun mal das des Geschäftemachens und unlimitierten Konsumierens.
Dies dem zugrunde liegende Freiheitsverständnis ist das der Willkürfreiheit. Darum gilt der Staat als die Gefährdung der Freiheit. Ein Cowboy ist eben nur solange ein wirklich freier Mann, wenn er mit seinem Colt sich sein Recht verschaffen kann, ungestört vom Staat in der Gestalt des Sheriffs.
Soll Deutschland gesunden, muß es sich aus diesem amerikanischen Mythos befreien durch eine Neuhinwendung zu unseren eigenen Traditionen, in denen für eine libertäre Staatsverneinung kein Platz ist. Hegels Staatsphilosophie ist wahrhaft deutsch, nicht aber der Mythos von der Freiheit des Cowboys.
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