Irritierendes: Eine Gemeinsamkeit von Liberalen und Fundamentalisten
Ein origineller Denker verblüfft seinen Leser immer wieder durch so ganz aus dem Rahmen des Üblichen Herausfallendes, das spontan einen Widerstand provoziert, das könne so nicht sein, aber vielleicht bringen solche ganz unorthodoxe Gedanken das theologische Denken weiter als ein so bequemes Verharren im Wohlvertrauten. In diesem Sinne ist das Denken Slavoj Zizeks wirklich ein Gewinn für jeden ihn Lesenden.
In seinem Buch: „Lacan. Eine Einführung“ irritiert er durch die These, daß ein authentischer Glaube mit einer grundlosen Entscheidung einsetze. (S.153) Veranschaulicht wird dies am Beispiel der universellen Gültigkeit der Menschenrechte. „Sie können nicht in unserem Wissen über die menschliche Natur begründet werden, sie sind ein Axiom,das durch unsere Entscheidung postuliert wird.(In dem Moment, in dem man versucht,die universellen Menschenrechte auf unser Wissen über die Menschheit zu begründen, wird die unvermeidliche Schlußfolgerung die sein, daß die Menschen grundlegend verschieden sind, daß einige mehr Würde und Weisheit haben als andere.)“ (S.153f)
Die Dezision, an die Menschenrechte zu glauben, sei so nicht auf Fakten fundiert, sondern ist die ethische Verpflichtung. Das mache einen authentischen Glauben aus. Der Fundamentalist nun wie der „Liberal-skeptische Zyniker“ können und wollen nun nicht authentisch glauben. „Für die liberalen Zyniker wie für die religiösen Fundamentalisten sind religiöse Aussagen quasiempirische Aussagen direkten Wissens. (S.154) Der Fundamentalist könne so nicht glauben, weil er wüsse, daß das von ihm Geglaubte wahr sei als empirische Tatsache und der Liberale wüsse eben, daß die Glaubensinhalte des Fundamentalismus keine empirisches Tatsachenwissen seien.Weil so diese zwei wissen wollen, was nicht wißbar sei, könnten sie nicht glauben. Denn der Glaube sei eine grundlose Entscheidung, etwas für wahr zu halten.
Durch diese scharf gezogene Trennungslinie wird der Glaube zu einem rein irrationalen Akt und das Wissen auf das theoretische Erkennen von dem, was ist, reduziert. Nur das Wissen ist nicht auf die theoretische Vernunft reduzierbar, denn es gibt auch ein Wissen von dem Gesollten, der praktischen Vernunft, die nicht im Vermögen der theoretischen fundiert ist, denn aus der Aussage, so ist es, kann nicht eine Sollensaussage, so soll es sein, deduziert werden. David Hume beurteilt einen solchen Schluß vom Sein auf das Sollen ja bekanntlich als den naturalistischen Fehlschluß! Es gibt also ein Wissen, das nicht als empirisches Wissen qualifizierbar ist.
Nehmen wir ein weiteres Beispiel: Woher weiß ich, daß Caesar der Autor des Buches „Über den gallischen Krieg“ ist? Weil es in Geschichtsbüchern so geschrieben steht und weil ich nirgends diese Aussage verneint vorfinde. Weiß ich es deshalb, oder vertraue ich nicht eher darauf, daß es sich so verhält? Wieviel von unserem Wissen ist so betrachtet ein Vertrauensglaube, der aber nicht grundlos ist. Wenn kein Historiker bezweifelt, daß Caesar der Autor dieses Buches ist, warum mit welchem Recht sollte ich dann daran zweifeln? In modernen bzw postmodernen Gesellschaften sind die Wissenschaften als Orte des Wissens selbst so ausdifferenziert, daß selbst Wissenschaftler außerhalb ihres Spezialgebietes wie „Gläubige“ verhalten, die an viel mehr vertrauend glauben als sie real wissen. Dieser Glaube ist nun aber kein blinder Vertrauensglaube, sondern er kann Gründe dafür benennen, warum das Geglaubte vertrauenswürdig sei, daß man eben der Aussage über die Autorenschaft des Buches über den gallischen Krieg sein Vertrauen schenkt.
Nun könnte eingewandt werden, daß es sich hier um prinzipiell auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbare Aussagen handle, was aber nicht auf religiöse Aussagen zuträfe. Aber auch das ist in dieser Pauschalität nicht zutreffend. Denn prinzipiell ist die Aussage, daß Jesus nach seiner Kreuzigung lebend von Menschen gesehen worden sei, auch überprüfbar. Wenn man sich dann noch die Vielzahl der Zeugen erinnert, die Paulus im 1. Korintherbrief aufführt, könnte dies Ereignis als gut bezeugtes angesehen werden. Trotzdem wird man wohl aber der Aussage zustimmen, daß die Aussage, der 30 Jährige Krieg begann 1618 eine andere Qualität habe als die, daß Gott der Schöpfer des Universums sei. Aber es frägt sich doch, ob die Zustimmung zu dieser Aussage wirklich ein rein dezisionistischer Akt sei. Eher wäre von einer gewissen Plausibilität zu sprechen, daß es so sei.
Theologisch formuliert muß der Glaube vom Schauen der Wahrheit unterschieden werden, aber er darf auch nicht als eine rein irrationale Entscheidung zu einem Fürwahrhalten bestimmt werden. Es könnte so mit Zizek gefragt werden, ob der Fundamentalist wie auch der Liberale schon im Schauen leben wollend den Glauben an etwas aus nur Plausibilitätsgründen nicht mehr akzeptieren will und kann.Dann wäre aber ihnen gegenüber einzuwenden, daß sie im praktischen Leben dauernd Aussagen als wahr erachten, ohne daß sie wirklich wissen können, ob sie wirklich wahr sind. Noch nie zuvor in der Kulturgeschichte hat es einerseits ein so komplexes Expertensystemwissen gegeben, dem gegenüber sich alle anderen nur noch vertrauend oder zweifelnd verhalten können, da es ihnen unmöglich ist, das Expertensystemwissen selbst noch auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.Wir müssen so viel glauben, weil wir kaum noch etwas wirklich wissen!
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