(Nichts ist so populär wie der Glaube an die Möglichkeit, die Wirklichkeit so erkennen zu können, wie sie ist, zumal dieser Glaube im Alltagsleben sich stets als praktikabel erweist. Und doch gibt es Bedenken.)
„Zizek weist darauf hin,dass Ideologie oftmals - sinnbildlich gesprochen- wie eine Brille angesehen wird, die mit einer bestimmten Verzerrung und Tönung dem Ideologen auf der Nase sitzt. Jemanden vorzuwerfen, einer <ideologischen Sichtweise anzuhängen, impliziert den Glauben, dass der Mensch ohne diese >Brille< besser auf die Wirklichkeit schauen könnte.“ So erfaßt Dominik Finkelde in seinem Buch: „Slavoj Zizek zwischen Lacan und Hegel“ S.21 ein wesentliches Moment der Ideologiekritik Zizeks.Um im Bilde zu bleiben gleiche die Ideologie eher einer Netzhaut als einer aufgesetzten Brille.
„So wenig wie der Mensch einen Gedanken hat, zu dem er sich die passende Welt sucht, so wenig gibt es eine Wirklichkeit, zu der man sich die passende Ideologie aussucht. Ideologie ist immer schon dort am Werk, wo wir Wirklichkeit >nur< zu betrachten wähnen.“ (S.22) Die Wirklichkeit sei so schon immer das Produkt einer ideologischen Wahrnehmung! Dies evoziert natürlich die Nachfrage, ob diese Aussage über die ideologisch strukturierte Wahrnehmung selbst wiederum eine ideologisch bedingte ist oder wenn nicht, warum es dann doch eine nichtideologische Wahrnehmung geben kann.
Zur Marktwirtschaftsideologie gehört die Vorstellung der Souveränität des Kunden, der eben ganz frei sich die Brille seines Geschmackes erwählen kann und so auch auf dem freien Markt sich seine Ideologie erwählt. Daß faktisch nun durch Marketing und die Werbung versucht wird, wohl erfolgreich, diese Souveränität zu unterlaufen, um das Konsumverhalten zu regulieren, ist nun ein Moment der Wirklichkeit, das diese Ideologie geflissentlich ausblendet um der Vorstellung vom souveränen Kunden willen, der sich als König verstehen soll: „Der König ist Kunde“. Vielleicht ist diese Königsillusion ein Garant dafür, daß der Kunde kauft, was er kaufen soll.
Wenn also die Ideologie immer schon das Wahrnehmen strukturiert, wie kommt die dann in die Köpfe der Menschen, daß sie so wahrnehmen, wie sie wahrnehmen? Versimplifiziert kann wohl gesagt werden, daß das Wahrnehmen ein Akt in einer symbolisierten Welt ist. Die Welt ist uns schon durch die vorherrschende Ideologie in einer bestimmten Gesellschaft so gedeutet, daß sie uns nur als solche zugänglich ist, indem in jedem Wahrnehmen diese Weltdeutung aktualisiert wird.Ein einfaches Beispiel möge das veranschaulichen: ein Schachspiel, schon viele Züge sind gespielt worden, da kommt wer vorbei und schaut auf das Schachbrett mit den darauf positionierten Schachfiguren. Wenn er über keine Kenntnis dieses Spieles verfügte, könnte er wohl das von ihm Gesehene beschreiben, aber verstehen kann er es nur, wenn er die symbolische Ordnung des Schachspieles kennt und mit dieser Kenntnis wird ihm dies Schachspiel erst zu einer Wirklichkeit, die er sich verstehend aneignen kann.
Es müßte sozusagen von einem Mangel der Wirklichkeit als das unmittelbar Rezipierbare gesprochen werden, daß da eben nur Figuren auf einer Fläche verteilt stehen,die erst durch ein deutendes Wahrnehmen zu einer uns verstandenen Wirklichkeit wird. Im Regelfall ist davon auszugehen, daß Gesellschaften durch eine vorherrschende Ideologie mitkonstituiert werden, daß so diese jedem Bürger der Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit ist.In besonderen Fällen kann nun eine vorherrschende Ideologie ihre Selbstverständlichkeit verlieren, daß dann eben alternative in den öffentliche Diskurs eingespeist werden. Pluralistisch strukturiert ist dann der öffentliche Diskurs, wenn in ihm differente Ideologien sich artikulieren können. So kann es Phasen der ideologischen Kontroversen geben, aber so müßte mit Zizek geurteilt werden, daß keine einfach die Wirklichkeit „richtig“ widerspiegelt, denn es könne keine einfache Wirklichkeitswahrnehmung geben.Alles Wahrnehmen sei eben immer ein Deuten und Verändern des Rohstoffes „Wirklichkeit“ zu einem Produkt des Vorstellens und Denkens.Durch jedes Denken wird eben das Zubedenkende zu einem Objekt des Denkens.
Wenn Sartre sinngemäß sagen kann, daß der Blick des Anderen mein Tod sei, so meint dies ja wohl nur, daß ich durch den Anderen verobjektiviert werde und somit auf etwas fixiert werde, was nur eine meiner Möglichkeiten ist. Oder es könnte jetzt auf Nietzsche rekurriert werden, daß die „Wahrheit“ nur das Produkt einer perspektivischen Wahrnehmung ist und es keine nichtperspektivische gibt. Aber all diese Positionen evozieren nun die Anfrage, die Emanuel Hirsch schon in „Deutschlands Schicksal“ aufwarf: Wie kann den solch ein Kritiker wie Nietzsche seine eigenen Aussagen als wahr ausgeben, wenn alles nur ideologisch perspektivistisch ist? Bleibt dann nur der Kampf der Ideologien, ohne daß eine wahrer sein kann als die andere, weil es nur Wahres in den Ideologien gibt, aber nicht außerhalb von ihnen?
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