Die heutigen Volkskirchen: Kirchen ohne Glauben?
„>Kultur< ist der Name für all diese Dinge,die wir praktizieren,ohne tatsächlich an sie zu glauben,ohne sie wirklich ernst zu nehmen. Daher lehnen wir Fundamen-talisten als >Barbaren< ab,als antikulturell, als Bedrohung der Kultur – sie wagen es, ihren Glauben ernst zu nehmen.“ Slavoj Zizek, Lacan.Eine Einführung, S.45.Der Gedanke liegt nahe, die Kultur als das Produkt säkularisierter Religion zu verstehen. Die Kunst emanzipierte sich eben aus ihrer Dienstfuktion für den Kult, der Gottesverehrung, erlangte so ihre Autonomie (so auch Adorno in seiner Ästhetik), aber so wurde sie auch ihres Gehaltes beraubt: Wozu ist sie nun noch da? Dies Nicht mehr an die Kultur Glauben könnte dann auch begriffen werden als eine Deeskalationsstrategie. Wenn verschiedene mit einander nicht kompatible Wahrheitsansprüche aufeinander treffen, erzeugt dies ein hohes Konfliktpotential. Wenn dagegen die Differenzen zwischen den verschiedenen Kulturen als nicht mehr so gewichtig angesehen werden, weil keiner mehr ernsthaft an die Wahrheit seiner eigenen glaubt, dann wäre das eine Grundvoraussetzung der Erschaffung einer multikulturell strukturierten Einheitswelt.
Wie in einem Buchgeschäft die Bibel neben dem Koran und atheistischen Schriften eines Ludwig Feuerbaches zum Ankauf friedlich nebeneinander ausliegen, wie neben Werken Thomas Mann pornographische Literatur gestellt ist, so soll auch das Nebeneinander aller Kulturen in der Welt und in jeder Gesellschaft als Mikrokosmos der Gesamtwelt das Ziel sein. Und darum darf nicht mehr an eine eigene Kultur geglaubt werden. Davila erfaßt prägnant den jeder Religion innewohnenden Tendenz zur Intoleranz, wenn er urteilt: „Der Respekt vor allen Religionen ist irreligiös.Wer glaubt, verehrt keine Idole.“ Davila, Es genügt,dass die Schönheit unseren Überdruss streift...Aphorismen, 2007,S.115. Unvorstellbar, daß Jesus vor einer Zeusstatue niederkniete, um ihr seinen Respekt zu bezeugen!
Wenn also Religionen eifersüchtig sind, daß also die in ihr verehrten Götter oder der verehrte Gott keine Verehrung anderer Götter zuläßt, so werden Religionen verkultiviert, damit sie neben sich jede andere Religion akzeptieren, ja als Gottgläubige auch bejahen, daß es etwa in den USA auch eine öffentlich anerkannte „Kirche des Satans“ gibt.
Zizek beschreibt das so: „Vielleicht erhebt sich deshalb >Kultur< gerade zur zentralen Kategorie der Lebenswelt.Im Hinblick auf Religionen glauben wir nicht länger >wirklich<,wir folgen nur (verschiedenen)religiösen Ritualen und Verhaltensweisen, um dem >Lebensstil< der Gemeinde Respekt zu erweisen“. „>Ich glaube nicht wirklich daran, es ist nur ein Teil meiner Kultur< scheint die vorherrschende Art und Weise des verschobenen Glaubens zu sein, der für unsere Gegenwart so charakteristisch ist.“ (45). Wer sich angesichts dieser Aussage die volkskirchliche Praxis der Taufe, der Firmung, der Erstkommunion, der Beerdigung und einiger noch kirchlich Heiratenden vor Augen führt, wird Zizek zumindest in diesem Punkte zustimmen.
Die christliche Religion ist zu einem Teil der westlichen Kultur geworden, hieße dann, daß sie zu etwas geworden ist, was wohl noch praktiziert wird, wenn oft auch nur noch in der Gestalt einer passiven Kirchenmitgliedschafts, aber an das nicht mehr geglaubt wird, daß eben die Inhalte der christlichen Religion nicht mehr als wahr geglaubt werden, auch wenn die Riten dieser Religion noch praktiziert werden, von der Taufe bis zum kirchlichen Begräbnis.
Zur Veranschaulichung: „Wir durchlaufen das Ritual des Weihnachtmannes,da unsere Kinder (angeblich)daran glauben und wir sie nicht enttäuschen wollen;und sie tun so, als ob sie daran glaubten, um uns und unseren Glauben an ihre Naivität nicht zu enttäuschen (und natürlich um Geschenke zu bekommen).“ Zizek, S.44. Wenn man statt „Weihnachtsmann“ Firmung und Erstkomunion liest, ahnt man, wie treffend hier Zizek den Nagel auf den Kopf trifft. Polemisch überspitzt formuliert: In den heutigen Volkskirchen wird der Glaube nur noch simuliert. Fundamentalisten, Traditionalisten und ähnliche werden dann für so eine Kirche zu unzumutbaren Existenzen.
„Kultur ist das, woran man nicht mehr glaubt.“ Wie kam es dann dazu, daß die christliche Religion zu einem Kulturgut in diesem Geiste wurde? Zu vermuten ist, daß dazu die innerchristlichen Religionskriege des 17.Jahrhundertes das Fundament legte, indem durch die Aufklärung die christliche Religion domestiziert wurde zu einem Kulturgut
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