Samstag, 13. August 2022

Alles nur eine Frage des Geschmackes...das Ende jeder Kunst?

Alles nur eine Frage des Geschmackes...das Ende jeder Kunst?


Wenn alles nur noch eine Frage des Geschmackes wäre, über den man bekanntlich nicht streiten kann, wie soll es dann noch eine ernst zu nehmende Ästhetik geben können? Findet so die Frage nach dem Schönen ihr Grab im radicalen Subjektivismus, daß eben in der Kunst alles beliebig sei? Nur, wieso kann dann noch von einem „guten“ und einem „schlechten“ Geschmack die Rede sein? Oder beruht diese Unterscheidung einfach auf der Konvention, daß wer Liebes- und Kriegsromane liest, damit seinen schlechten Geschmack erweist, wer dagegen Goethe und Thomas Mann bevorzugt, seinen conservativen Geschmack und einen „guten Geschmack“ nur der hat, der gerade das liest, was als besonders progressiv und authentisch gilt?

Könnte es denn doch noch Qualitätskriterien geben, wenn nicht alles dem puren Subjektivismus unterworfen werden soll? Ein kleiner Versuch soll hier nun vorgelegt werden. Im Hintergrund steht die Erfolgsmusik der Gruppe Rammstein mit der simplen Frage: Könnte der Erfolg etwas mit der Qualität dieser Musik zu tuen haben.

Ein Lied weist eine einfache Struktur auf:Im Vordergrund die Gesangsstimme und evtl sie begleitende Musikinstrumente. Nach einem kurzem Vorspiel der Instrumentenstimmen erklingt die Gesangsstimme bis dann zum Abschluß gelegentlich zumindest die Instrumentenstimmen ein kurzes Nachspiel bieten. Dabei steht der gesungene Text im Vordergrund, bei den „Liedermachern“ dann der Inhalt des Textes. Der Gehalt des Liedes wird dabei oft mit der Aussage des gesungen werdenden Textes identifiziert, als trüge das Gesungensein und die Instrumentenstimmen zum Gehalte nichts bei.

Eine viel komplexere Struktur zeichnet dagegen die Musik der „Neuen Deutschen Härte“ aus, dessen bekanntester Vertreter die Musikgruppe „Rammstein“ ist. Die Gesangsstimme und alle Instrumentenstimmen stehen anfänglich auf der „Nullposition“ und dann tritt mal die eine, dann die andere Stimme in den Vordergrund, oder sie dialogisieren miteinander, mal führt das Schlagzeug, mal die Gitarren, mal der Gesang. Die starre Struktur des Liedes wird also dynamisiert und in jedem einzelnen Musikwerk neu geregelt. Diese komplexere Struktur könnte nun als ein Qualitätsmerkmal angesehen werden. Es gibt nun die Spannung zwischen der Individualität der Stimme und der Einheit des Musikwerkes. 2 Fehlwege sind denkbar: Daß die Individualität der Einzelstimme in der Einheit untergeht oder daß die Diversität der Einzelstimmen keine Einheit mehr zuläßt. Die Qualität eines Musikwerkes bestünde dann darin, die Individualität der Einzelstimmen zum Ausdruck kommt und daß doch ein Ganzes, eine Einheit dabei entsteht. Das Liveconcert: Carlos Santana, Tanglewood 1970 zeigt diese Einheit in größt- möglicher Individualität.

Das heißt nun nicht, daß ein Musikwerk solch höherer Qualität auch besser gefallen muß, aber daß hier eben eine höhere Qualität vorliegt.Denn hier sind dann alle Stimmen konstitutiv für das Musikwerk, und nicht nur die eine Gesangsstimme, die instrumental begleitet wird. Und noch eines: Der Gesang und nicht mehr der Text, der dann auch noch gesungen wird, steht im Vordergrund. Worte verfügen über eine Wortbedeutung und einen Klangwert. In der komplexeren Struktur dominiert beim Gesang der Klangwert des Gesungenen und nicht wie bei einem Liedermacher der Inhalt des Gesangtextes. Hier wird sozusagen der Gesang einer Heteronomie entzogen, daß sein eigentlicher Gehalt in etwas außerhalb von ihm existiert,in dem Text, der dann auch noch gesungen wird.

Wie stehen die Musiker nun zum Musikwerk? Sind sie ein integrales Element des Werkes, wie der Schauspieler auf der Bühne, wenn ein Theaterstück aufgeführt wird, oder stehen sie außerhalb des Werkes wie der Maler bezüglich seines von ihm gemalten Bildes? Die Komplexität eines Musikwerkes steigert sich dadurch, daß die Musiker sich als Bestandteile des Musikwerkes interpretieren. Sie inszenieren ihre Musik auf der Bühne.Ein Schritt hin zur Inszenierung des Musikwerkes auf der Bühne ist, wenn es eine Bühnenshow gibt. Aber die Show bleibt der Musik noch äußerlich, wie ein Geschenkpapier dem Geschenk.Erst wenn die Musik auf der Bühne so inszeniert wird wie eine Oper auf einer Opernbühne ,wird die Inszenierung zu einem konstitutiven Element des Gesamtkunstwerkes. In der Einheit von der Gesangsstimme,den Instrumentenstimme, der Bühne in ihrer besonderen Ausleuchtung und der Bühne als einer Kulisse generiert sich so ein Gesamtkunstwerk, das sich durch seine Qualität auszeichnet.

Diese so sehr fragmentarisch skizzierte Einheit des Musikwerkes in seiner lebendigen inneren Vielfalt könnte als ein Qualitätskriterium von Musikwerken angesehen werden. Das heißt nun aber nicht, daß einfacher strukturierte Musikstücke weniger gefallen müssen, denn die Qualität eines Kunstwerkes ist nicht die seines Gefallens.


Soweit ein erster sicher noch nicht zufrieden stellen könnender Versuch

 

Corollarium 1

Die Klangwelt der Musik lebt aus ihrer  Umwelt, wie sie als gehörte uns präsent ist, indem die dortigen Klänge und Töne in musikalische Töne und Klänge transformiert wird. Die Umwelt des (post)modernen Menschen ist nicht mehr die Natur mit ihren natürlichen Klangfarben sondern die künstliche Welt, die technisierte. Die zeitgenössische Musik bezieht sich so auf diese Kunsttechnikwelt: der Siegeszug der elektrischen Gitarre veranschaulicht dies. In der musikalischen Stilrichtung der Technomusik wird dies gar zum Programm erhoben. Die Qualität zeitgenössischer Musik wäre dann auch ablesbar an der Weise, wie es ihr gelingt, die "Umweltgeräusche" und Klänge in künstlerische Ton- und Klangwelten umzugestalten. "Angerfist" ist für eine so gelungene Transformation, gerade ihre Livekonzerte ein gediegenes Beispiel.


 

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