Hat sich die Morallehre der Kirche weit, etwa zu weit von der hl.Schrift entfernt?
Spontan müßte die katholische Antwort darauf lauten: Mitnichten, es habe wohl eine Weiterentwickelung stattgefunden, daß Impliziertes nun im Fortschreiten der Moraltheologie expliziert worden sei, oder daß die Moraltheologie Probleme zu bearbeiten hätte, die es vordem noch nicht gegeben habe, obschon es beim Prediger Salomon heißt, daß es nichts Neues unter der Sonne gäbe, aber ein Sichentfernen von den Wahrheiten der Bibel könne es sich in der von Jesus Christus selbst geführten Kirche nicht geben.
Aber damit wird nun die Tatsache außer Acht gelassen, daß die Kirche als Zweitursache mitwirkt und daß so die in der Kirche mitwirkenden Menschen auch irren können, wenn auch die Kirche als Ganzes nicht irren kann.Die Morallehre der Kirche ist, wie es schon selbst der Lehrer der Kirche selbst, Jesus Christus praktizierte in erster Linie eine Praxis der Auslegung der Gebote Gottes und darum der Rechtswissenschaft verwandt. Die Konflikte zwischen Jesus und den Pharisäern und Schriftgelehrten waren so zuvörderst Lehrstreitigkeiten zwischen Berufskollegen, so sehr dann auch gilt, daß Jesu Gesetzesauslegungen, da er diese in der Autorität des Sohnes Gottes vollzog, von daher den Anspruch erhoben und erheben, die wahren zu sein.
Zur Kunst der Gesetzesauslegung gehört nun, daß ein Einzelgesetz im Kontext des Gesamtgesetzeskorpus ausgelegt wird und nicht aus ihm herausgezogen abstrakt. Nur das Ganze ist das Konkrete, wird eine Einzelbestimmung herausabstrahiert für sich allein betrachtet, passiert dann das,was der Apostelfürst Paulus meint, wenn er urteilt:“Denn der Buchstabe tötet,der Geist aber macht lebendig“. (2.Kor 3.6.), wobei dann der Buchstabe ein Achten auf das Einzelgesetz unter der Absehung des Kontextes, des Gesamtgesetzkorpus meint und der Geist das Betrachten des Einzelnen im Sinne der Gesetzesintention des ganzen Gesetzes. Die potentielle Fehlerquelle einer Gesetzesauslegung ist so die Möglichkeit einer abstrakten Auslegung eines Gesetzes.
Laut dem jetzt geltenden Katechismus ist ein Suizid immer eine in sich selbst widermoralische Handlung, die auch durch einen noch so guten Zweck nicht gerechtfertigt werden kann. Das würde auch dann gelten, wenn ein Christ nur durch seinen Freitod das Leben anderer retten könnte. Aber wenn die Möglichkeit besteht, den Tod unschuldiger Menschen zu verhindern, dem das möglich ist, dies unterläßt, dann sündigt er gegen das Gebot der Nächstenliebe. Begeht er dann den Freitod, sündigt er, da er sich freiwillig das Leben nimmt, aber so genügt er dem Gebot der Nächstenliebe. Nur wenn das Gebot des Verbotes jedes Freitodes abstrakt vorausgesetzt wird, muß auch ein Freitod, der vollzogen wird, um anderen Menschen das Leben zu retten, als nicht rechtfertigbare Handlung verurteilt werden.Das hieße aber in letzter Konsequenz, daß selbst Jesus gesündigt hätte, als er freiwillig seinem Kreuzestod zugestimmt hatte, um vielen das Leben zu retten. Er war ja nicht einfach ein den Kreuzestod passiv Erleidender sondern er bejahte und wollte so sterben, um die Vielen zu retten. Jesu Kreuzestod beweist, daß aus etwas Negativem, dem Tod Jesu Christ etwas sehr Gutes erwachsen kann, nämlich die Errettung der Vielen.
Dies Beispiel zeigt nun, daß tatächlich diese Gesetzesauslegung eine buchstabengetreue so den Sinn des Gesamtgesetzeskorpus verfehlt, weil nun damit die Möglichkeit, in einer Exremsituation die Nächstenliebe zu praktizieren, indem ein Christ sein Leben opfert, um das anderer zu retten als moralisch verwerflich verurteilt wird. Aber gerade das Opfer steht im Zentrum der christlichen Religion, Jesu Christi Sühnopfer und das Abbild dieses Urbildopfers in der Eucharistie.
Das gilt ebenso für die Verurteilung des Inzests als eine durch nichts rechtfertigbare Handlung: Hätten sich alle Kinder Evas und Adams an dies Gebot gehalten, wäre die Menschheit notwendigerweise mit dem Absterben des letzten Kindes Adams und Evas ausgestorben, da es für diese Kinder keine Möglichkeit gab, im Einklang mit der Morallehre der Kirche, Kinder zu bekommen.
Das erste Gebot, das Gott den Menschen gab und zwar schon vor dem Sündenfall, lautet: „Seid fruchtbar und mehret Euch!“ Eine Überprüfung der Ehe- und Sexualmorallehre der Kirche muß hier zu dem Ergebnis führen, daß hier eine abstrakte Gesetzesauslegung vorherrscht, die so der Gesetzesintention Gottes gänzlich widerspricht. Wenn eine Frau, unverschuldet geschieden, nicht mehr heiraten darf, solange ihr Ehemann noch lebt und die Ehe gültig geschlossen wurde, dann verunmöglicht die Gesetzesbestimmung, daß sie nur mit ihrem Ehemann eine Familie gründen darf, daß sie dem 1.Gebot Gottes nachkommt. Das Gesetz Gottes verlangt nicht Hörer des Gesetzes zu sein, sondern Täter des Gesetzes zu sein, sodaß jede Mutter dieses Gebot erfüllt, auch wenn sie es gar nicht kennt. Wie wichtig diese Gebot Gottes ist, beweist der Ordo salutis für die Frau, 1.Tomotheus 2,15.
Aber alle Bestimungen der Sexual- und Ehemorallehre sind diesem 1.Gebot Gottes subordiniert. Die Bibel gibt auf die Frage, was ist zu tuen, wenn eine Fortpflanzung in der Ehe nicht möglich ist, die klare Antwort, daß dann gegen die Eheordnung verstoßen werden darf, damit ein Kind hervorgebracht werden kann. So kann ein Ehemann sich eine andere Frau nehmen, um mit ihr ein Kind zu zeugen, das dann aber als ein legitimes Kind der Ehe gilt, obzwar es mit einer anderen Frau erzeugt worden ist.Die leibliche Mutter ist faktisch eine Leihmutter, auch wenn das die heutige Moraltheologie nicht wahrhaben will.
Die Morallehre der Kirche kennt so einen Rigorismus nicht, der entsteht, wenn ein Einzelgesetz nur abstrakt zugrunde gelegt wird,sodaß seine Intention, die sich aus dem Einzelgesetz im Kontext mit dem Gesamtgesetzeskorpus ergibt, überlesen wird.
Es klingt kontraintuitiv, wenn gerade da, wo ein Einzelgesetz genau befolgt wird, es wohl nach seinem Buchstabengehalt beachtet, seiner Intention nach aber gerade so verfehlt wird. Im Hintergrund steht ein unangemessenes Verständnis von dem,was abstrakt und dem, was konkret bedeutet, daß nämlich das, was man unmittelbar naiv als das Konkrete ansieht, das Einzelne das Abstrakte, das aus dem Ganzen Abstrahierte ist, wohingegen das Ganze, das dem naiven Betrachter das Abstrakte ist, das wahrhaft Konkrete ist.
 
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