„In der Zeit als das Wünschen noch geholfen hat“ - oder was wir alles verloren haben
Das Märchen: „Der Froschkönig“ beginnt mit diesem Satz, der uns so schon gleich in eine Zeit versetzt, von der aus das nur noch eine plusquamperfektische Vergangenheit ist, aber der Satz suggeriert auch, daß das einmal eine Realität gewesen ist, von der aber schon dies Märchen weiß, daß sie vergangen ist.
Slavoj Zizek urteilt über die Kultur, daß sie das sei, woran wir nicht mehr glaubten, die wir aber noch praktizierten. Als Ergänzung dazu erzählt er gern die Geschichte von einem Mann,der ein Hufeisen an seiner Türe befestigt und sagt, daß er nicht daran glaube, aber daß er gehört habe,daß es auch helfe,wenn man nicht daran glaube. Zum Geburtstag, zu Weihnachten und und wünscht man anderen etwas Gutes, Glückwunschkarten werden immer noch gekauft und abgeschickt, aber glaubt man denn noch daran, daß der geäußerte Wunsch: „Alles Gute Dir“ wirklich dem Adressaten des Wunsches hilft? Das Wünschen verweist nun auch auf eine dunkle Seite, auf die des Verfluchens. „Fluche nicht, verfluche gar niemanden“, das ist ein Gebot, das immer noch gilt, auch wenn, früge man nach, kaum noch begründbar sein dürfte.Denn daß das Wünschen hülfe, und daß das Verfluchen schade, das sind doch wohl Vorstellungen, die einer abergläubischen Welt angehören, die längst zugrunde gegangen ist. Würde die Homosexlobby nicht um das Recht, daß auch eine Homoehe von der Kirche gesegnet wird, streiten, kaum wer würde noch zum Thema des Segens etwas schreiben. Es drängt sich zudem der Verdacht auf, daß in diesem Streit die Homosexlobbisten den Segen als eine öffentliche Anerkennungshandlung einer Homoehe sehen.
In einer Aussendung des „Hessischen Rundfunkes“, vom 18.5.2018 hieß es zu dieser Causa: „In der Zeit,als das Wünschen noch geholfen hat“:Saskia Wendel, eine Theologien und Religionsphilosophin sagt: „Wünschen hilft sehr wohl, indem es mich nämlich befähigt, meinen Horizont zu erweitern. Wenn ich mir oder der Gesellschaft etwas wünsche, schaue ich über den Tellerrand hinaus, sehe, was es noch gibt, geben könnte. Wünschen kann das Immer-weiter-so des Alltags unterbrechen.“ Diese modernistische Theologin demonstriert hier in typischer Weise, wie durch den Geist des Säkularismus eine religiöse Praxis, hier die des Wünschens genichtet wird, indem ihre Substanz, hier die des Hoffens darauf, daß Wünsche erfüllt werden, beseitigt wird. So könnte man auch die Praxis des Betens nichten durch die Erklärung etwa, daß durch ein Gebet der Beter sich selbst zum Tuen von etwas motiviere.So wäre das Gottesdienstgebet: „Gott tröste die Trauernden!“ ein Appell an die Hörer , ihre Mitmenschen, wenn er denn trauerten, zu trösten. Ein geäußerter Wunsch könnte so auch nur dem Wünschenden helfen oder dem Adressaten nur, wenn er diese Äußerung als eine Sympathiekundgebung verstünde. Ein Verfluchen dagegen manifestiere nur eine gehegte Antipathie und so ein Negativgefühl äußert kein kultivierter Mensch einem Mitmenschen gegenüber, es sei denn es ginge um einen so hassenswerten Politiker wie Trump und Putin.
Praktizieren wir also, indem wir Glückwünsche aussprechen oder jemandem zukommen lassen, genau das, was Zizek unter einer kulturellen Praxis versteht, an die wir selbst nicht mehr glauben? Aber was war das noch für ein Universum, in dem Menschen an sich erfüllende Wünsche oder sich realisierende Flüche geglaubt hatten und wie ist uns das abhanden gekommen, obschon wir es doch noch praktizieren? Das Universum, in dem geäußerte Wünsche erfüllt wurden, in dem aber auch Verfluchungen möglicherweise auch in Erfüllung gingen, das war ein religiöses Universum, eines in dem auf Gottes Wirken in der Welt vertraut wurde, in dem man aber auch damit rechnete, daß daimonische Kräfte Verfluchungen in die Tat umsetzten. Das Äußern von Wünschen und Flüchen war also ein Appellieren an die überirdischen Mächte, das Geäußerte als eine Bitte an sie: „Bewirke das!“ zu erhören.
Aber was passiert, wenn nun auch der Glaube an die Aufklärung beginnt, sich aufzulösen, wenn die große Emanzipationserzählung vom Menschen ihre Glaubwürdigkeit verliert, wie es Lyotard in seinem Buch über das postmoderne Wissen diagnostiziert? Die postmoderne Haltung kann am einfachsten so veranschaulicht werden: Wenn Luther noch bekannte: „Hier stehe ich und kann nicht anders!“, erwidert der postmoderne Mensch: „Hier stehe ich zwar, aber ich könnte auch ganz anders!“. Er sagt vor dem Altar: „Ja, Dich will ich ehelichen!“, aber er sagt sich: „Eine andere Frau könnte ich auch heiraten oder gar keine!“ Peter Slotderdijk bezeichnet diese Haltung in seiner Vorlesung über die Ästhetik von Heidegger und Luhmann als die der Ironie.
Das verbirgt sich bei Zizek in der Aussage: Aber der Mann hat gehört, daß das aufgehängte Hufeisen helfe, auch wenn man nicht daran glaube. Man muß nicht an die Astrologie glauben, um sich astrologisch in Beziehungsproblmen beraten zu lassen, denn das könnte ja auch helfen, glaubt man nicht an die Astrologie. So scheinen die Geburtstagsglückwünsche, ja die Praxis des einem Gutes Wünschen zu funktionieren: Man glaubt nicht recht dran, aber es könnte vielleicht doch was nützen. Plausibler wird diese Praxis noch, wenn der These, daß die Kultur ein Resultat der Säkularisation der Religion ist, zugestimmt wird. Eigentlich gehört die Praxis des Wünschens in ein religiöses Universum und da nun die Aufklärung die Welt enttzaubert hat, hat diese Praxis kein Existenzrecht mehr in diesem säkularisiertem Universum, aber sie überlebt die Entzauberung in dem Gestus: Es könnte ja doch was dran sein.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen