Freitag, 14. März 2025

Ein arger Verdacht: Ist die Gleichsetzung von Christlich = Bürgerlich ein Irrtum?

 

Ein arger Verdacht: Ist die Gleichsetzung von Christlich = Bürgerlich ein Irrtum?



In dem Roman: „Bonjour tristesse“ von Francoise Sagan findet sich dieses Oscar Wilde Zitat: „Die Sünde ist der einzige lebendige Farbfleck, der in der modernen Welt existiert.“1 Das bürgerliche Leben wird in diesem Roman als eine einzige Tristesse beschrieben, aus der die zwei Hauptprotagonisten auszubrechen versuchen, um zu leben. Das meinige Leben erscheint dabei als ein nur noch Gelebtwerden, in der jegliche Individualität in dem: „Man lebt“ aufgesogen ist. Dies so durchreglemenbtierte Leben scheint dann nur eine Unterbrechung zu kennen, die „Sünde“. Dadurch identifiziert dieser Roman mit Hilfe dieses Oscar Wide Zitates die bürgerliche Gesellschaft als eine durch die christliche Religion normierte, aus der somit ein Ausbrechen auch nur als ein Sichwidersetzen gegen diese Religion möglich sei eben in der Gestalt der Sünde.

Noch ärger fällt dies Votum Oscar Wildes aus: Was man die Sünde nennt, ist ein wesentliches Glied in der Kette des Fortschritts. Ohne sie würde die Welt zum Sumpfe, würde sie alt und farblos. Durch ihre Einzigkeit schon vermehrt die Sünde die Erfahrung einer Rasse. Durch die starke Betonung der Individualität rettet sie uns vor der Einförmigkeit des Typus.

Leicht kann hier erwidert werden, daß hier der Alte Adam in diesem Schriftsteller das Wort ergreift, um seine Leserschaft zu einem Leben in der Sünde zu verführen. Aber vielleicht ist diese Angelegenheit doch nicht so einfach. Nun wird es aber wirklich konfus: In der lutherischen Übersetzung aus des Jahres 1984 wurde Joh 12,25 noch so übersetzt: „Wer sein Leben liebhat,der wird es verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt haßt,der wird es erhalten zum ewigen Leben.“ Die heutige Einheitsübersetzung entschärft diese Aussage Jesu nun: „Wer an seinem Leben hängt,verliert es;wer aber sein Leben in dieser Welt geringachtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“ Die lutherische Übersetzung wird dem griechischen Text leider sehr viel gerechter als die heutige versüßte Version.

Wie nun, wenn das Leben, das in diesem Roman als eine einzige Tristesse beschrieben wird, aus der man im Ungeiste Oscar Wildes ausbrechen möchte, genau das Leben meint, das hier von Jesus selbst als gar hassenswert abqualifiziert wird? Könnte es nicht sein, daß die Verbürgerlichung der christlichen Religion dazu führte, daß nun gerade die Weise des Lebens, die hier Jesus so verurteilt wird, zu der christlichen Lebensführung wurde? Denn Jesus hatte ja auch nicht etwa Atheisten oder auch nur völlig unsittlich ihr Leben Führende vor Augen, als er so über das: „Wie man damals halt so lebte“ vor seinen Augen, urteilte.Nein, er hatte das Durchschnittsleben der damaligen Juden vor Augen, die mehrheitlich religiös waren und wohl auch so lebten, wie sie meinten als gläubiger Jude leben zu haben.

Wenn nun dies verfehlte Leben der Bürgerlichkeit als das gut christliche erscheint und geglaubt wird, liegt es dann nicht nahe, daß die Alternative dazu in einem antichristlichen Lebensstil gesucht wird. Ich vermute, daß die Ausstrahlungskraft satanistisch sich inszenierender Schwermetallmusik auch aus diesem Ausbruchsversuch aus der Bürgerlichkeit erklärbar ist. Denn Jesu eigene Lebensführung und die seiner ersten Schüler kann man schwerlich als bürgerlich bezeichnen: Er hatte nicht geheiratet, keine Familie gegründet, ging keinem ordentlichen Beruf nach, stattdessen lebte er als ein Wanderprediger und umgab sich mit Menschen, die Gutbürgerliche nicht in ihr Haus einladen möchten. Statt ein Programm zur Weltverbesserung zu skizzieren oder wenigstens Sozialreformen anzuregen, verkündete er gar das Ende dieses Äöns und den Einbruch des Reich Gottes. Wie weit entfernt ist das von dem gutbürgerlichen Leben in seiner Zentrierung um das Familien- und Berufsleben!

Aber Oscar Wilde mutet uns noch mehr zu, daß das Negative um des Fortschrittes willen ist, ohne das es ihn nicht gäbe. Bevor man diese Zumutung ad hoc verwirft, möge man sich bitte an den Traktat über den „Steppenwolf“ Hermann Hesses erinnern, Sagt Hesse da nicht, daß alle Innovationen eine Gesellschaft ihren steppenwölferisch Lebenden zu verdanken habe, daß die Menschen, die gemäß ihrer Herdentriebneigung die Garanten des :“Immer so weiter“ sind, den Widerpart des Steppenwölfischen bedürften, um nicht ganz und gar sich verkristallisierend zu erstarren? Könnte man, um in dieser Bildrede zu verweilen, urteilen, daß die einstige christliche Steppenwolfreligion in eine bürgerliche Herdentriebreligion sich transformiert hat und so ihrer Salz- und Leuchtkraft verlustig ging. Der Gründer des Opus Dei schrieb einmal – den Aphorismus kann ich just nicht wiederfinden- daß wir Christen dazu bestimmt seien, als Adler zu leben, zögen es aber vor, wie Hühner eines Hühnerstalles unser Dasein zu fristen.

Gleicht der moderne Christ nicht mehr Nietzsches „letztem Menschen“ als dem „neuen Menschen“ in Jesus Christus? Jesus stimmte doch mehr mit Nietzsches Parole der Überwindung des Menschen überein als mit der verbürgerlichten Version, daß der Alte Adam einfach bleiben solle, wie er ist, denn Gott bejahe ihn, so wie er nun mal ist und immer auch bleiben wird.

Die Katholische Kirche hat dem Rechnung getragen, indem sie neben dem verbürgrlichten Christentum die Alternative der mönchischen Existenz kreierte, aber gerade dies Zentrum löst sich nun völlig auf in dem Reformgeist des 2.Vaticanumes, sich der bürgerlichen Welt so weit wie möglich anzuähneln, um den zeitgenössischen Menschen besser erreichen zu können.

Corollarium

Die bürgerliche Gesellschaft, die bürgerliche Kultur sah sich ja bis heute der romantischen Kritik ausgesetzt, daß in ihr alles Organische aufgelöst würde zu puren Vertragsbeziehungen, dann der antibürgerlich sozialistischen, die die Partikulariät der Vernünftigkeit der bürgerlichen Gesellschaft kritisiert und der Kameradschaftsideologie der Erfahrung der Schützengrabengemeinschaft, die sich verband mit der romantischen Kritik in der Ideologie der Volksgemeinschaft als der Alternative zur Utopie der klassenlosen Gesellschaft. In der Postmoderne löst sich nun die bürgerliche Kultur auf in der Entwickelung zu einer Einheitswelt, deren Elemente nur noch völlig atomisierte Individuen sind. Die Kirche identifiziert sich seit dem 2.Vaticanum völlig mit der bürgerlichen Kultur, obschon ihr Fundament der Säkularismus ist.































1In der Übersetzung von Helga Treichel, 1.Teil, 2.Kapitel, S.32.

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