Ein arger Verdacht zum Karnevals/Faschingtreiben und dem Aschemittwoch
Die Parole der Deregulierung und der gemäigteren Variante der Entbureau-kratisierung ist jedem Zeitgenossen wohlvertraut, weniger aber Bertold Brechts Einwand, daß schlechte Zeitungen kein Argument für deren Abschaffung sondern vielmehr eines für bessere Zeitungen sei. Nicht sind bureaukratische Vorschriften an sich etwas Negatives, aber bureaukratische Regeln können nichtgute sein. Das gilt so auch für jedes Regulieren. Warum evozieren dann diese zwei Parolen ad hoc eine wohlwollende Zustimmung und was soll das denn nun gar mit dem Karnevals- und Faschingtreiben zu tuen haben?
Der natürliche Mensch frißt und säuft, der kultivierte ißt und trinkt. Wie man was ißt und trinkt reguliert die Kultur und sie reguliert auch die Sexualität. Ein Unbehagen an der Kultur kann diese Regulierung erwecken und sie produziert die Vorstellung eines natürlichen Zustandes, in der wir Menschen noch unentfremdet natürlich lebten: befreit von den Ketten der Kultur menschlich leben. Die Anfänge der Ethnologie lebten aus dieser Vision der Suche nach Menschen, die als Naturvölker noch authentisch lebten. Der „Wilde“, der glich dabei in erstaunlicher Ähnlichkeit dem gallischen Dorf von Asterix und Obelix: Ganz Gallien wird von der römischen Kultur beherrscht, aber nicht ganz Gallien, denn dies eine Dorf widersetzt sich der römischen Beherrschungskultur. Das wahre Leben unter der Zwangsherrchaft der Verkulturierung des Menschen wieder zu finden, dies Motiv findet sich bei Rousseau, aber auch bei Nietzsche und auch Elias: „Prozeß der Zivilisation“, ein Meisterwerk, lebt von dem Verdacht, daß ein Zuviel an kultureller Regelung das Leben zu sehr überfremde. Der von den Ketten der Kultur Befreite wird damit zur Utopie des guten Lebens.
Es liegt nun nahe, daß eine solche Kulturkritik sich auf die Kritik der christlichen Religion und der Katholischen Kirche kapriziert, soll doch das Abendland nichts anderes gewesen sein als eine dem Volk Wasser predigende und selbst Wein trinkenden Kirche. Der arge Verdacht, der sich nun aufdrängt, insbesondere wenn man Dostojewskis Erzählung vom „Großinquisitor“ danenben legt1, lautet: Bejahte und bejaht die Kirche das Karnevals-und Faschingtreiben als eine befristete Zeit der Deregulierung, daß nun die kulturellen Regulierungen des Trinkens und Essens und der Sexualität entschärft werden. Die da geduldete Deregulierung würde sozusagen das Eingeständnis sein, daß die Regulierungen die Menschen überfordern würden, wenn ihnen nicht befristet Ausnahmezeiten gewährt würden. Auch in dieser Narrenzeit ist nicht alles erlaubt, aber manches, was sonst nicht gestattet ist. Im Schutz der Maske, der Kostümierungen erlaubt sich dann so mancher Dinge, die er unmaskiert sich nicht trauen würde.
Der Aschemittwoch ist nun ein strenger Buß- und Fastentag, der heutzutage primär als ein Tag der inneren Ausrichtung auf das Osterfest interpretiert wird.Wie nun aber, wenn er eigentlich als die Reaktion auf die deregulierte Narrenzeit konzipiert war?Es gälte dann nicht nur, das zuviel Gegessene abzufasten als eine Art Diät, sondern daß es galt, an diesem Tage die Sünden der Narrenzeit abzubüßen? Man kann dies mit dem Phänomen der Tolerierung der Postitution durch den hl. Augustin und dem hl.Thomas von Aquin vergleichen: Um die Frauen, die bis zu ihrer Eheschließung enthaltsam leben wollten vor den sexuellen Begierden der Männer zu schützen, solle die Prostitution toleriert werden, damit die Männer da befriedigt diese Frauen nicht mißbrauchten. Um die Ordnung als Ganzes zu bewahren, müßten eben Ausnahmen gewährt werden, in denen die Kultur dereguliert wird. Die dabei tolerierte Deregulierung eröffnet nun nicht ein Reich der Anarchie, der unbegrenzten Freiheit, aber es wird dann manches erlaubt, was sonst nicht erlaubt wird.
Daß das unregulierte natürliche Leben ein gutes gewesen sein soll, ist selbstredend nur eine Phantasie der an einer scheinbaren Überregulierung leidender Bürger, die nur noch natürlich leben wollende Menschen sein wollen. Es könnte aber sein, daß die Kirche mit der Tolerierung dieser deregulierten Zeiten dem Rechnung trägt, daß die Kulturordnung nur aufrecht erhaltbar ist, wenn sie befristet solche Deregulierungen zuläßt. Um so wichtiger ist dann aber der Kirche der Aschemittwoch als Tag des Abbüßens!
Corollarium
Vielleicht ist es ein Zeichen jeder nichtrigoristischen Morallehre, daß sie solche Ausnahen kennt.
1Der „Großinquisiteur“ Dostojeweskis wird völlig mißverstanden, ließt man diesen Text als eine Kritik des Herrschaftswillens der Katholischen Kirche. Sie gleicht eher einem Arzt, der einem unheilbar Kranken, um ihm die letzten Lebenstage zu erleichtern, sagt: Es gibt für sie noch eine Hoffnung auf eine Gesundung.
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