Ein
Standartvorwurf conservativen Denkens an die liberale Staatsordnung
lautet ja,daß sie nur ein Konzept für gute Zeiten sei, sobald
stürmische Zeiten anbrechen, müsse sich dann der Staat
entliberalisieren. Wer sich den aktuellen Maßnahmenkatalog der
Bundesregierung und der Länderregierungen anschaut, kann nicht
umhin, in der jetzigen Praxis eine Bestätigung dieser Kritik zu
sehen.Wer hätte es denn vor dieser Coronaepidemie für möglich
gehalten, daß fast die ganze Wirtschaft heruntergefahren wird, daß
fast keine Geschäfte mir aufgesperrt werden dürfen außer zum Leben
unverzichtbare, ja daß gar Ausgehverbote erlassen werden müssen, um
die Epidemie einzudämmen?
In Italien
stehen Ärzte vor Problemen, die es moralphilosophisch gar nicht
geben dürfte, daß Ärzte vor 2 Erkrankten stehen, daß beide
künstlich beatmet werden müssen, damit sie überleben können, es
aber nur für einen von den Zweien der dazu notwendigen Apparat zur
Verfügung steht. Hier muß der Arzt so über Leben und Tod von
(unschuldigen)Menschen entscheiden, denn wenn er einen beatmen läßt,
verurteilt er den Anderen zum Tode. In den Zeiten des allgemeinen
Reichtumes ist eben vergessen worden,daß es solche Notsituationen
geben kann. Soll hier nun der Arzt individuell vor Ort entscheiden,
oder hat der Staat auch solche Extremfälle gesetzlich zu regeln?
Der Glaube
an ein unlimitiertes Wachstum von allem Herstellbaren bot für alle
Probleme eine Lösung: Wachstum. Wenn der gesellschaftliche Reichtum
sehr ungleich verteilt war, dann konnte auch noch dem Kleinverdiener
zum Troste gesagt werden, daß auch er Jahr für Jahr eine
Gehaltsaufbesserung sich erhoffen dürfe und somit auch es ihm und
später dann seinen Kindern und Enkeln besser gehen würde. Zum
Funktionieren des liberal verfaßten Staates gehört so konstitutiv
die Ideologie des unbegrenzten Wachstumes in seiner
sozialintegrativen Funktion. Verliert dieser Glaube an die
Möglichkeit unendlichen Wachsens seine Plausibilität,
revitalisieren sich die Verteilungskämpfe der verschiedenen Gruppen.
Der Gruppenegoismus erkennt nämlich, daß die jeweilige Gruppe nur
zu Lasten anderer wachsen kann, wenn das Gesamte nicht mehr wächst.
So verschafft der Wohnungsmangel Vermietern die Möglichkeit zu
Wuchermieten zu Ungunsten der Mieter, wenn der Mangel an Wohnungen
nicht durch eine erhöhte Bauaktivität beseitigt werden kann.
Der liberale
Staat würde dies Problem dem freien Markt überlassen, dem freien
Kräftespiel des Marktes, auf dem jetzt die Partei der Vermieter
triumphiert mit ihrer Möglichkeit der Wuchermiete. Ein auf das
Allgemeinwohl ausgerichteter Staat kann aber diese Situation der
Wuchermieten nicht akzeptieren, er wird gesetzgeberisch eingreifen,
um bezahlbaren Wohnräume zu ermöglichen.
Auch dieses
Beispiel zeigt an, daß die liberale Ordnung nur für gute Zeiten
etwas taugt, daß aber, sobald es ernsthafte Probleme gibt, der Staat
sich entliberalisieren muß um des Allgemeinwohl willens.
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