Montag, 23. März 2020

Kurz und bündig: Der liberale Staat in der (aktuellen)Krise


Ein Standartvorwurf conservativen Denkens an die liberale Staatsordnung lautet ja,daß sie nur ein Konzept für gute Zeiten sei, sobald stürmische Zeiten anbrechen, müsse sich dann der Staat entliberalisieren. Wer sich den aktuellen Maßnahmenkatalog der Bundesregierung und der Länderregierungen anschaut, kann nicht umhin, in der jetzigen Praxis eine Bestätigung dieser Kritik zu sehen.Wer hätte es denn vor dieser Coronaepidemie für möglich gehalten, daß fast die ganze Wirtschaft heruntergefahren wird, daß fast keine Geschäfte mir aufgesperrt werden dürfen außer zum Leben unverzichtbare, ja daß gar Ausgehverbote erlassen werden müssen, um die Epidemie einzudämmen?
In Italien stehen Ärzte vor Problemen, die es moralphilosophisch gar nicht geben dürfte, daß Ärzte vor 2 Erkrankten stehen, daß beide künstlich beatmet werden müssen, damit sie überleben können, es aber nur für einen von den Zweien der dazu notwendigen Apparat zur Verfügung steht. Hier muß der Arzt so über Leben und Tod von (unschuldigen)Menschen entscheiden, denn wenn er einen beatmen läßt, verurteilt er den Anderen zum Tode. In den Zeiten des allgemeinen Reichtumes ist eben vergessen worden,daß es solche Notsituationen geben kann. Soll hier nun der Arzt individuell vor Ort entscheiden, oder hat der Staat auch solche Extremfälle gesetzlich zu regeln?
Der Glaube an ein unlimitiertes Wachstum von allem Herstellbaren bot für alle Probleme eine Lösung: Wachstum. Wenn der gesellschaftliche Reichtum sehr ungleich verteilt war, dann konnte auch noch dem Kleinverdiener zum Troste gesagt werden, daß auch er Jahr für Jahr eine Gehaltsaufbesserung sich erhoffen dürfe und somit auch es ihm und später dann seinen Kindern und Enkeln besser gehen würde. Zum Funktionieren des liberal verfaßten Staates gehört so konstitutiv die Ideologie des unbegrenzten Wachstumes in seiner sozialintegrativen Funktion. Verliert dieser Glaube an die Möglichkeit unendlichen Wachsens seine Plausibilität, revitalisieren sich die Verteilungskämpfe der verschiedenen Gruppen. Der Gruppenegoismus erkennt nämlich, daß die jeweilige Gruppe nur zu Lasten anderer wachsen kann, wenn das Gesamte nicht mehr wächst. So verschafft der Wohnungsmangel Vermietern die Möglichkeit zu Wuchermieten zu Ungunsten der Mieter, wenn der Mangel an Wohnungen nicht durch eine erhöhte Bauaktivität beseitigt werden kann.
Der liberale Staat würde dies Problem dem freien Markt überlassen, dem freien Kräftespiel des Marktes, auf dem jetzt die Partei der Vermieter triumphiert mit ihrer Möglichkeit der Wuchermiete. Ein auf das Allgemeinwohl ausgerichteter Staat kann aber diese Situation der Wuchermieten nicht akzeptieren, er wird gesetzgeberisch eingreifen, um bezahlbaren Wohnräume zu ermöglichen.
Auch dieses Beispiel zeigt an, daß die liberale Ordnung nur für gute Zeiten etwas taugt, daß aber, sobald es ernsthafte Probleme gibt, der Staat sich entliberalisieren muß um des Allgemeinwohl willens.

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