Donnerstag, 5. März 2020

Paternalismus und Freiheit- ein paar Erwägungen


Wo Menschen Freiheit zugebilligt wird, also Handlungsfreiheit, da entsteht auch die Möglichkeit des Mißbrauches dieser Freiheit. Der Mensch kann zwar wollen, denken und fühlen, was er will, aber das dann noch frei äußern zu können, das erscheint als unkalkulierbares Risiko. Daraus gründet sich die Idee des paternalistischen Staates, der seine Bürger davor schützen will, ihre Freiheit zu mißbrauchen, indem er sie faktisch abschafft. So könnte aus politisch korrekter Sicht die DDR als ein guter Staat angesehen werden, weil er es verunmöglichte, daß seine Bürger ihr Wahlrecht mißbrauchen konnten zur Wahl falscher Parteien. Jetzt mißbrauchen offensichtlich viele Ostdeutsche ihr Recht, indem sie eine falsche Partei statt einer der demokratischen Blockparteien zu wählen.
Die menschliche Freiheit müsse eben vor ihrem Mißbrauch geschützt werden.
So praktizierte es auch der Staat, solange er den Suizid als strafbare Handlung qualifizierte und so auch den Versuch zur Selbsttötung und somit auch eine Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellte. Aber nun gilt der Freitod nicht mehr als strafbare Handlung und somit auch eine Beihilfe zum Freitod. Das Bundesverfassungsgericht entschied so konsequent, die Folgerung aus dem Nichtmehrstrafbarkeit des Freitodes ziehend. Aber nun sind fast alle empört: Das ist ein Zuviel an Freiheit.
Bezeichnend ist nun, wie das paternalistische Interesse gegen die Freiheit ausgespielt wird. Es wird nun deklariert, daß Niemand freiwillig seinen eigenen Tod wolle. Wer ihn also wolle, der will ihn gar nicht. Deshalb darf der Wille, sich töten zu wollen, nicht als Wille zum Freitod wahrgenommen werden.
Die beliebteste Phrase dafür lautet dann: Solche Menschen riefen doch nur um Hilfe, daß sie ihnen gewährt wird, wenn sie sagen, daß sie ihrem Leben ein Ende bereiten wollen. Darum müssen sie auch gegen ihren geäußerten Willen am Leben erhalten werden, wenn nötig mit Gewalt, körperlicher oder psychischer oder in den Fällen, in denen der Freitod nicht mehr selbstständig realisiert werden kann, daß ihnen dann die benötigte Hilfe zum Freitod verweigert wird. Immer wissen dabei die Anderen, im Regelfall der Staat besser als der Einzelmensch, was ihm das Gute ist, und wenn er das nicht will, dann muß der Mensch eben gezwungen werden, das Nichtgute zu unterlassen.
Der wirklich freie Mensch würde ja sowieso nur das wollen, was der Staat ihm als das Vernünftige vorschreibt; will also ein Staatsbürger etwas anderes als dies Vernünftige, dann beweist er damit nur, daß er seine Freiheit zu mißbrauchen beabsichtigt. Vor diesem Mißbrauche habe nun der Staat jedermann zu schützen, indem er, soweit es ihm möglich ist, Menschen daran hindert, den Freitod zu wählen.
Nur, weiß der Staat immer, was für seine Bürger das Gute ist und was nicht? Die Anthropologie in politischer Hinsicht entscheidet darüber: Je mehr der Einzelmensch als zum Bösen hin geneigt gedacht wird, desto mehr wird man ihn unter das Kuratell des Staates stellen wollen, damit er seine Freiheit nicht zum Bösen mißbraucht; je mehr dagegen nach der Erfahrung totalitärer Staaten der Staat als Gefahr des Bösen angesehen wird, desto mehr werden dann aber die Freiheitsrechte des Einzelnen gegen den Staat verteidigt.
Ist nun ein Staat, der seinen Bürgern das Recht zum Freitod und so auch zur Annahme von Beihilfen zum Freitod gewährt, ein zu liberaler Staat, weil er seinen Bürgern ein Zuviel an Selbstverantwortlichkeit zumutet oder ist er einer, der das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers anerkennt?
Im Punkto der Religionsfreiheit steht der Staat vor einem ähnlichen Problem: Gehört es zu seinen Aufgaben, die wahre Gottesverehrung zu erkennen und zu fördern und somit auch falsche zu unterbinden, weil die Wohlfahrt des Ganzen von der wahren Gottesverehrung abhängt, oder soll er einräumen, die wahre nicht erkennen zu können, um so jede beliebige in seinem Staatsgebiete zuzulassen? Müßte er dann nicht auch folgerichtig den Glauben aufgeben, daß die wahre Gottesverehrung die Voraussetzung für das Gemeinwohl des Staatsvolkes sei, sondern daß stattdessen für das Allgemeinwohl die Frage, welche Religon und ob überhaupt eine in dem Staate ausgeübt wird, gleichgültig sei?
Könnte so der Staat alle Freiheitsrechte mit ihrer Mißbrauchsmöglichkeit gewähren, insofern ein Mißbrauch das Allgemeinwohl nicht schädigt? Dann könnte gemeint werden, daß, weil die Selbsttötung dies Gemeinwohl nicht beeinträchtigt, sie zu erlauben sei. Der Einzelne zählt nicht (mehr) und so kann auf ihn verzichtet werden, das bildete dann die Rückseite der neuen Toleranz des Staates dem Willen zum Freitode gegenüber, wie sie sich im Urteile des Bundesverfassungsgerichtes widerspiegelt. Der paternalistische Staat sieht dann im Kontrast dazu in jedem Staatsbürger ein prinzipiell nützliches Glied für das Allgemeinwohl und deshalb währt er ihm das Recht zum Freitod, weil bei einer Gewährung sonst das Allgemeinwohl geschädigt wird. Dürfte so dieser Staat, das Allgemeinwohl so verstehend, den Freitod als etwas Unerlaubtes qualifizieren, sodaß nun das Freiheitsrecht des Einzelnen dem Allgemeinwohl zu subordinieren ist?

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