Wo
Menschen Freiheit zugebilligt wird, also Handlungsfreiheit, da
entsteht auch die Möglichkeit des Mißbrauches dieser Freiheit. Der
Mensch kann zwar wollen, denken und fühlen, was er will, aber das
dann noch frei äußern zu können, das erscheint als
unkalkulierbares Risiko. Daraus gründet sich die Idee des
paternalistischen Staates, der seine Bürger davor schützen will,
ihre Freiheit zu mißbrauchen, indem er sie faktisch abschafft. So
könnte aus politisch korrekter Sicht die DDR als ein guter Staat
angesehen werden, weil er es verunmöglichte, daß seine Bürger ihr
Wahlrecht mißbrauchen konnten zur Wahl falscher Parteien. Jetzt
mißbrauchen offensichtlich viele Ostdeutsche ihr Recht, indem sie
eine falsche Partei statt einer der demokratischen Blockparteien zu
wählen.
Die
menschliche Freiheit müsse eben vor ihrem Mißbrauch geschützt
werden.
So
praktizierte es auch der Staat, solange er den Suizid als strafbare
Handlung qualifizierte und so auch den Versuch zur Selbsttötung und
somit auch eine Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellte. Aber
nun gilt der Freitod nicht mehr als strafbare Handlung und somit auch
eine Beihilfe zum Freitod. Das Bundesverfassungsgericht entschied so
konsequent, die Folgerung aus dem Nichtmehrstrafbarkeit des Freitodes
ziehend. Aber nun sind fast alle empört: Das ist ein Zuviel an
Freiheit.
Bezeichnend
ist nun, wie das paternalistische Interesse gegen die Freiheit
ausgespielt wird. Es wird nun deklariert, daß Niemand freiwillig
seinen eigenen Tod wolle. Wer ihn also wolle, der will ihn gar nicht.
Deshalb darf der Wille, sich töten zu wollen, nicht als Wille zum
Freitod wahrgenommen werden.
Die
beliebteste Phrase dafür lautet dann: Solche Menschen riefen doch
nur um Hilfe, daß sie ihnen gewährt wird, wenn sie sagen, daß sie
ihrem Leben ein Ende bereiten wollen. Darum müssen sie auch gegen
ihren geäußerten Willen am Leben erhalten werden, wenn nötig mit
Gewalt, körperlicher oder psychischer oder in den Fällen, in denen
der Freitod nicht mehr selbstständig realisiert werden kann, daß
ihnen dann die benötigte Hilfe zum Freitod verweigert wird. Immer
wissen dabei die Anderen, im Regelfall der Staat besser als der
Einzelmensch, was ihm das Gute ist, und wenn er das nicht will, dann
muß der Mensch eben gezwungen werden, das Nichtgute zu unterlassen.
Der
wirklich freie Mensch würde ja sowieso nur das wollen, was der Staat
ihm als das Vernünftige vorschreibt; will also ein Staatsbürger
etwas anderes als dies Vernünftige, dann beweist er damit nur, daß
er seine Freiheit zu mißbrauchen beabsichtigt. Vor diesem Mißbrauche
habe nun der Staat jedermann zu schützen, indem er, soweit es ihm
möglich ist, Menschen daran hindert, den Freitod zu wählen.
Nur,
weiß der Staat immer, was für seine Bürger das Gute ist und was
nicht? Die Anthropologie in politischer Hinsicht entscheidet darüber:
Je mehr der Einzelmensch als zum Bösen hin geneigt gedacht wird,
desto mehr wird man ihn unter das Kuratell des Staates stellen
wollen, damit er seine Freiheit nicht zum Bösen mißbraucht; je mehr
dagegen nach der Erfahrung totalitärer Staaten der Staat als Gefahr
des Bösen angesehen wird, desto mehr werden dann aber die
Freiheitsrechte des Einzelnen gegen den Staat verteidigt.
Ist
nun ein Staat, der seinen Bürgern das Recht zum Freitod und so auch
zur Annahme von Beihilfen zum Freitod gewährt, ein zu liberaler
Staat, weil er seinen Bürgern ein Zuviel an Selbstverantwortlichkeit
zumutet oder ist er einer, der das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers
anerkennt?
Im
Punkto der Religionsfreiheit steht der Staat vor einem ähnlichen
Problem: Gehört es zu seinen Aufgaben, die wahre Gottesverehrung zu
erkennen und zu fördern und somit auch falsche zu unterbinden, weil
die Wohlfahrt des Ganzen von der wahren Gottesverehrung abhängt,
oder soll er einräumen, die wahre nicht erkennen zu können, um so
jede beliebige in seinem Staatsgebiete zuzulassen? Müßte er dann
nicht auch folgerichtig den Glauben aufgeben, daß die wahre
Gottesverehrung die Voraussetzung für das Gemeinwohl des
Staatsvolkes sei, sondern daß stattdessen für das Allgemeinwohl die
Frage, welche Religon und ob überhaupt eine in dem Staate ausgeübt
wird, gleichgültig sei?
Könnte
so der Staat alle Freiheitsrechte mit ihrer Mißbrauchsmöglichkeit
gewähren, insofern ein Mißbrauch das Allgemeinwohl nicht schädigt?
Dann könnte gemeint werden, daß, weil die Selbsttötung dies
Gemeinwohl nicht beeinträchtigt, sie zu erlauben sei. Der Einzelne
zählt nicht (mehr) und so kann auf ihn verzichtet werden, das
bildete dann die Rückseite der neuen Toleranz des Staates dem Willen
zum Freitode gegenüber, wie sie sich im Urteile des
Bundesverfassungsgerichtes widerspiegelt. Der paternalistische Staat
sieht dann im Kontrast dazu in jedem Staatsbürger ein prinzipiell
nützliches Glied für das Allgemeinwohl und deshalb währt er ihm
das Recht zum Freitod, weil bei einer Gewährung sonst das
Allgemeinwohl geschädigt wird. Dürfte so dieser Staat, das
Allgemeinwohl so verstehend, den Freitod als etwas Unerlaubtes
qualifizieren, sodaß nun das Freiheitsrecht des Einzelnen dem
Allgemeinwohl zu subordinieren ist?
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