Sonntag, 8. März 2020

Warum der Mensch so viel leidet auf Erden ein unkonventioneller Gedanke zur Passion

Wo steht das geschrieben: „Wir leben nur um der Vollendung unserer Seelen willen“? Gustav Meyrink, Der weiße Dominikaner, 3.Kapitel, Die Wanderung.Weiteres zur Seelenlehre: „Glauben Sie,daß sich seine Seele zu solchem Zweck den komplizierten Apparat, Menschenleib genannt, geschaffen hat? Mit dem hier in Frage gestelltem Zweck des Lebens ist gemeint, einer Arbeit nachzugehen, eine Familie zu gründen, krank zu werden, um dann zu sterben. Dazu wäre die Seele doch wohl nicht ins Leben getreten!
Zuvörderst ist „Der weiße Dominikaner“ ein gut geschriebener Roman, einer der den Leser die Seiten verschlingen läßt bei der Erstlektüre, der aber beim wiederholten Lesen erst seine vielen Schätze offenbart, die zum Innehalten und Durchdenken des Gelesenen einladen.
Auch der Leser wird in diesem Roman so angefragt: „Würdest du das Kreuz auf dich nehmen,heute nacht zu träumen, so deutlich als sei es Wirklichkeit, daß du tausend Jahre Dasein beispielloser Armut durchlebst,wenn ich dir jetzt die Gewißheit gäbe,du fähndest als Belohnung dafür am nächsten Morgen beim Erwachen einen Sack voll Gold vor deiner Tür!“ Diese Frage wird wohl nicht fehlinterpretiert, wenn hier mit dem nächtlichen Träumen das Erdenleben gemeint ist, sodaß das Erwachen den Punkt benennt, in der die Erkenntnis sich ereignet, das bisherige Leben als Traum geführt zu haben, nun aber aus diesem Lebenstraum erwacht sich erst in der Wirklichkeit zu befinden, in ihr angekommen zu sein. Ist damit der Tod gemeintund das Wachsein das Leben nach dem Gestorbensein, oder kann die Seele schon auf Erden dieses Erwachen erleben? Der Roman als ganzes legt die Antwort nahe, daß dies Erwachen prämortal das Ziel der Bildungsgeschichte der Seele ist.
Aber ersteinmal dominiert eine andere Frage diese Anfrage an den Leser: Warum ist dein Leben, so wie es ist? Das ganze Leben wird dabei als ein Kreuzweg, als eine Passion empfunden. Aber nicht, daß nun eine dunkle Schicksalsmacht dies Kreuz der Seele auferlegt hätte, sondern daß sie sich diesen Kreuzweg selbst erwählt hat. Das Kreuzschicksal wird so zu einem Selbstbestimmungsakt. Eines bleibt dabei aber im Dunkeln: Warum kann die Seele das positive Ziel nur über den Kreuzweg erreichen? Dabei ist zu betonen, daß die Seele diese Passion zwar nur träumt, sie ihm aber wie ein wirkliches Leben vorkommt, sodaß nun doch das Erleiden des Kreuzes auch relativiert wird, denn das war eigentlich nur ein einziger Albtraum.
Um welches Zieles willen nimmt nun die Seele diesen Passionsweg auf sich? Nicht um eines Sackes voll Gold, sondern: Nach der Aufforderung, sein Lebensschicksal nicht zu beklagen heißt es: „Weißt du denn, ob du diesen- wenn`s hoch komm nur siebzigjährigen -qualvollen Traum, Erdenleben genannt, nicht selbst gewählt hast in der Hoffnung, etwas weit Herrlicheres als einen Sack schäbigen Geldes beim Erwachen zu finden?“ Diese Frage soll der Leser selbstverständlich bejahen und indem er hier Ja sagt, soll ihm sein Passionsleben begreiflich werden in der Erkenntnis, dies Leben selbst erwählt zu haben und daß es nur ein (Alb)Traum ist, der sich in dieser Erkenntnis schon lichtet. Das darf wohl als ein Kerngedanke der Gnosis bezeichnet werden, den hier der Autor in eine attraktive Neufassung zur Sprache bringt: Erlösung der Seele durch die Erkenntnis. Modern und damit nichtgnostisch ist nun die Pädagogisierung, daß der Fall der Seele in die Fremde, aus der die Seele sich wieder befreien will, um zu ihrer Heimat zurückzukehren, zu einer Bildungsvita umgedeutet wird: Die Seele absolviert auf Erden ihre Lehrjahre, um ausgebildet dann das Erdenausbildungsprogramm erfolgreich abgeschlossen verlassen zu können.
Das Leben der Seele im Körper, im Fleische wird dann aber auch- ganz im Geiste der Gnosis- so begriffen: „Daß einer auf Erden geboren wird, ist nichts anderes, als daß er lebendig begraben wird.“ Das Kreuz, daß die Seele also auf sich nimmt, ist das Leben im menschlichen Körper auf der Erde, aber sie nimmt das Kreuz nur auf sich, weil nur so sie ihr Selbstbildungsprogramm realisieren kann,das ist dann eine antignostische typisch moderne Vorstellung vom Leben als eines Bildungsauftrages: Der Mensch lebt, um sich zu bilden; damit ist aber gerade nicht eine Ausbildung zu etwas gemeint, sondern humanistisch die Herausbildung zu einem bestimmten Menschsein, zu einer Persönlichkeit. Daß dieser Ausbildungsweg aber als ein Kreuzweg, eine Passion erfaßt wird, zeigt dann an, wie weit dies Konzept schon entfernt ist von den Anfängen des humanistischen Projektes der Selbstaufklärung des Menschen (Kant) und seiner Selbstoptimierung durch bürgerliche Bildungskonzepte. Der Lehrweg ist der des Kreuzes und damit wird dies Konzept auch wieder christlich. Die christliche Religion und die Gnosis, ungefähr zeitgleich entstanden, standen und stehen sich viel näher als der entschiedend geführte Kampf der Kirche gegen die Gnosis erahnen läßt. Man stritt sich, weil man sich so nahe stand.
Meyrinks Roman ruft so die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen in Erinnerung, und versucht die mit der modernen Idee der Selbstbestimmung in Einklang zu bringen, indem nun der Stand der Erlösungsbedürftigkeit, des Aufwachens aus dem Albtraum des Erdenlebens selbst als das Resultat freier Selbstbestimmung gedeutet wird, daß die Seele diesen Weg so gewollt hat. Diese Vorstellung knüpft offenkundig an die christologische an, daß der Sohn Gottes selbst Mensch werden wollte, um durch seinen Passionsweg, anfangend bei der Geburt bis zu seinem Kreuzestod das Erlösungwerk zu vollbringen. Nur durch das Kreuz hindurch ist die Erlösung möglich.
Gustav Meyrinks Romane sind eben viel mehr als gut geschriebene Unterhaltung!

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