Wo
steht das geschrieben: „Wir leben
nur um der Vollendung unserer Seelen willen“? Gustav Meyrink, Der
weiße Dominikaner, 3.Kapitel, Die Wanderung.Weiteres zur
Seelenlehre: „Glauben Sie,daß sich seine Seele zu solchem Zweck
den komplizierten Apparat, Menschenleib genannt, geschaffen hat? Mit
dem hier in Frage gestelltem Zweck des Lebens ist gemeint, einer
Arbeit nachzugehen, eine Familie zu gründen, krank zu werden, um
dann zu sterben. Dazu wäre die Seele doch wohl nicht ins Leben
getreten!
Zuvörderst
ist „Der weiße Dominikaner“ ein gut geschriebener Roman, einer
der den Leser die Seiten verschlingen läßt bei der Erstlektüre,
der aber beim wiederholten Lesen erst seine vielen Schätze
offenbart, die zum Innehalten und Durchdenken des Gelesenen einladen.
Auch
der Leser wird in diesem Roman so angefragt: „Würdest du das Kreuz
auf dich nehmen,heute nacht zu träumen, so deutlich als sei es
Wirklichkeit, daß du tausend Jahre Dasein beispielloser Armut
durchlebst,wenn ich dir jetzt die Gewißheit gäbe,du fähndest als
Belohnung dafür am nächsten Morgen beim Erwachen einen Sack voll
Gold vor deiner Tür!“ Diese Frage wird wohl nicht
fehlinterpretiert, wenn hier mit dem nächtlichen Träumen das
Erdenleben gemeint ist, sodaß das Erwachen den Punkt benennt, in der
die Erkenntnis sich ereignet, das bisherige Leben als Traum geführt
zu haben, nun aber aus diesem Lebenstraum erwacht sich erst in der
Wirklichkeit zu befinden, in ihr angekommen zu sein. Ist damit der
Tod gemeintund das Wachsein das Leben nach dem Gestorbensein, oder
kann die Seele schon auf Erden dieses Erwachen erleben? Der Roman als
ganzes legt die Antwort nahe, daß dies Erwachen prämortal das Ziel
der Bildungsgeschichte der Seele ist.
Aber
ersteinmal dominiert eine andere Frage diese Anfrage an den Leser:
Warum ist dein Leben, so wie es ist? Das ganze Leben wird dabei als
ein Kreuzweg, als eine Passion empfunden. Aber nicht, daß nun eine
dunkle Schicksalsmacht dies Kreuz der Seele auferlegt hätte, sondern
daß sie sich diesen Kreuzweg selbst erwählt hat. Das Kreuzschicksal
wird so zu einem Selbstbestimmungsakt. Eines bleibt dabei aber im
Dunkeln: Warum kann die Seele das positive Ziel nur über den
Kreuzweg erreichen? Dabei ist zu betonen, daß die Seele diese
Passion zwar nur träumt, sie ihm aber wie ein wirkliches Leben
vorkommt, sodaß nun doch das Erleiden des Kreuzes auch relativiert
wird, denn das war eigentlich nur ein einziger Albtraum.
Um
welches Zieles willen nimmt nun die Seele diesen Passionsweg auf
sich? Nicht um eines Sackes voll Gold, sondern: Nach der
Aufforderung, sein Lebensschicksal nicht zu beklagen heißt es:
„Weißt du denn, ob du diesen- wenn`s hoch komm nur siebzigjährigen
-qualvollen Traum, Erdenleben genannt, nicht selbst gewählt hast in
der Hoffnung, etwas weit Herrlicheres als einen Sack schäbigen
Geldes beim Erwachen zu finden?“ Diese Frage soll der Leser
selbstverständlich bejahen und indem er hier Ja sagt, soll ihm sein
Passionsleben begreiflich werden in der Erkenntnis, dies Leben selbst
erwählt zu haben und daß es nur ein (Alb)Traum ist, der sich in
dieser Erkenntnis schon lichtet. Das darf wohl als ein Kerngedanke
der Gnosis bezeichnet werden, den hier der Autor in eine attraktive
Neufassung zur Sprache bringt: Erlösung der Seele durch die
Erkenntnis. Modern und damit nichtgnostisch ist nun die
Pädagogisierung, daß der Fall der Seele in die Fremde, aus der die
Seele sich wieder befreien will, um zu ihrer Heimat zurückzukehren,
zu einer Bildungsvita umgedeutet wird: Die Seele absolviert auf Erden
ihre Lehrjahre, um ausgebildet dann das Erdenausbildungsprogramm
erfolgreich abgeschlossen verlassen zu können.
Das
Leben der Seele im Körper, im Fleische wird dann aber auch- ganz im
Geiste der Gnosis- so begriffen: „Daß einer auf Erden geboren
wird, ist nichts anderes, als daß er lebendig begraben wird.“ Das
Kreuz, daß die Seele also auf sich nimmt, ist das Leben im
menschlichen Körper auf der Erde, aber sie nimmt das Kreuz nur auf
sich, weil nur so sie ihr Selbstbildungsprogramm realisieren kann,das
ist dann eine antignostische typisch moderne Vorstellung vom Leben
als eines Bildungsauftrages: Der Mensch lebt, um sich zu bilden;
damit ist aber gerade nicht eine Ausbildung zu etwas gemeint, sondern
humanistisch die Herausbildung zu einem bestimmten Menschsein, zu
einer Persönlichkeit. Daß dieser Ausbildungsweg aber als ein
Kreuzweg, eine Passion erfaßt wird, zeigt dann an, wie weit dies
Konzept schon entfernt ist von den Anfängen des humanistischen
Projektes der Selbstaufklärung des Menschen (Kant) und seiner
Selbstoptimierung durch bürgerliche Bildungskonzepte. Der Lehrweg
ist der des Kreuzes und damit wird dies Konzept auch wieder
christlich. Die christliche Religion und die Gnosis, ungefähr
zeitgleich entstanden, standen und stehen sich viel näher als der
entschiedend geführte Kampf der Kirche gegen die Gnosis erahnen
läßt. Man stritt sich, weil man sich so nahe stand.
Meyrinks
Roman ruft so die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen in
Erinnerung, und versucht die mit der modernen Idee der
Selbstbestimmung in Einklang zu bringen, indem nun der Stand der
Erlösungsbedürftigkeit, des Aufwachens aus dem Albtraum des
Erdenlebens selbst als das Resultat freier Selbstbestimmung gedeutet
wird, daß die Seele diesen Weg so gewollt hat. Diese Vorstellung
knüpft offenkundig an die christologische an, daß der Sohn Gottes
selbst Mensch werden wollte, um durch seinen Passionsweg, anfangend
bei der Geburt bis zu seinem Kreuzestod das Erlösungwerk zu
vollbringen. Nur durch das Kreuz hindurch ist die Erlösung möglich.
Gustav
Meyrinks Romane sind eben viel mehr als gut geschriebene
Unterhaltung!
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