Die
religiösen Gefühle des Anderen nicht zu verletzen, das gehört zu
den guten Umgangsformen und reguliert so auch das Gespräch über
Religiöses im zwischenmenschlichen Bereich und nicht nur den
öffentlichen Diskurs. Das private, persönliche Gespräch ist durch
das: Was man wie zu sagen und nicht zu sagen hat, mehr als man
individuell merkt, reglementiert, der öffentliche sowieso.
Was hat
das für eine Konsequenz für den Dialog zwischen Vertretern
verschiedener Religionen oder Confessionen einer Religion? Eine der
wichtigsten Spielregeln lautet, daß es in dem Raum der Religionen
und Confessionen nicht ein Unterscheiden von wahr und unwahr geben
darf. Die berühmte Gretchenfrag, wie hältst Du es mit der Religion?
(Goethe,Faust) ist also so zu respondieren: Damit kann jeder es
halten, wie es ihm beliebt, er muß nur jede andere Religiösität
akzeptieren, egal welche er selbst auch präferieren mag. Kann unter
dieser Condition überhaupt noch missioniert werden? Die Antwort
fällt eindeutig aus:Die notwendige Voraussetzung jeglicher Art von
Mission ist, daß es eine wahre oder zumindest wahrere gibt, zu der
Missioniernde den Anders- oder Nichtgläubigen bekehren möchte.
Weiterhin muß präsumiert werden, daß es für den Menschen wichtig
ist, daß er die wahre Religion praktiziert und daß es gerade Gott
selbst nicht gleichgültig ist, wie er geglaubt und verehrt wird.
Aus
diesem Vorstellungskomplex ergibt sich erst das Urteil der
Verwerflichkeit der Blasphemie, daß so unwahr von Gott gedacht wird,
er so unwahr verehrt wird, daß dies a) den Zorn Gottes provoziert
und b) auch dem Menschen und der Gesellschaft schadet. Das Gemeinwohl
ist eben gerade von der rechten Gottesverehrung abhängig, denn alle
guten Gaben kommen von Gott und ein erzürnter Gott könnte so seine
guten Gaben verwehren.
Von
dieser Vorstellung hat nun die modern aufgeklärte Gesellschaft sich
verabschiedet. Das Gemeinwohl einer Gesellschaft ist etwas, daß wir
Menschen allein durch uns zu realisieren haben, wobei dann religiös
Motivierte auch einen nützlichen Beitrag dazu liefern können. Aber
was hier das Gute ist, das ist etwas, was die politische Vernunft
ohne jede Religion erkennen kann. Auch ist es für den einzelnen
Bürger gleichgültig, wie er es mit der Religion hält und darum
darf er jede beliebige, aber auch gar keine praktizieren. Und deshalb
darf auch niemals ein Anhänger einer Religion Andersgläubigen
gegenüber den Vorwurf der Blasphemie erheben. Denn, selbst wenn es
einen Gott gibt, und sehr viele glauben noch an einen Gott, muß
dieser Gott als einer sich allen Religionen gegenüber gleichgültig
verhaltenden gedacht werden. Das ist nun selbst keine
Gotteserkenntnis, daß Gott sich so realiter verhalte, sondern nur
eine Spielregel für jede religiöse Kommunikation, die der
pluralistisch strukturierten Gesellschaft kompatibel ist. Darum kann
und darf es in modernen/postmodernen Gesellschaften das Urteil, das
ist blasphemisch, nicht mehr geben- es kann nur noch das Gebot geben:
Respektiere jede Religion, halte alle für gleichgültig, egal welche
du nun auch rein privat präferierst. Das ist das endgültige Ende
des christlichen Abendlandes, aber auch jeder religiös fundierten
Gesellschaft.
Nur eines
bleibt dabei ungeklärt: Verhält der wirkliche Gott sich so, wie es
ihm dieser Diskurs vorschreibt, daß ihm alle Religionen und auch der
praktizierte Atheismus gleichgültig ist.
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