Fragen
zum Meßopfer
„Die
Frage nach dem tiefsten Wesen speziell des Meßopfers wird nicht mehr
behandelt; es
dürfte
sich jedenfalls um ein Glaubensgeheimnis im strengen Sinne handeln,
da alle bisher aufgestellten Theorien nicht begreiflich machen
können, wie die immer neue Wirklichkeit ex opere operato des
Meßopfers mit seiner Identität mit dem einmal endgültig
vollzo-genen Kreuzopfer zu vereinbaren ist.“, resümiert leicht
resigniert J. Rothkranz, zu diesem Zeitpunkt noch nicht
Sedisvakantist 19871
und auch wenn dies Urteil schon historisch anmutet, es ist auch heute
noch gültig.
Hier
soll nun ein Aspekt dieses sehr weiten Feldes erörtert werden: die
Frage nach der Einheit vom gottesdienstlichen Kult des ersten Bundes,
dem Kreuzopfer Christi und derchristlichen Eucharistiefeier. Die
These der Einheit dieser drei differenten Wirklichkeiten soll dabei
als Alternative ins Gespräch gebracht werden zu der näher liegenden
Vor-stellung, es handle sich um drei verschiedene Wirklichkeiten, so
daß ob des einmal endgültig vollzogenen Kreuzesopfers Jesu Christi
die Opfer des Alten Testamentes eigentlich überflüssig wären und
die Eucharistie kein Opfer sein könne, denn das widerspräche der
hinreichenden Genügsamkeit des einen einmal vollbrachten
Karfei-tagsopfers. Damit ist aber auch die Frage der Beziehung des
Alten Testaments zum Neuen aufgeworfen und das Verhältnis zur
Kirchengeschichte: warum gab es vor dem Kreuzopfer Christi eine
Religionsgeschichte mit Kultopfern und warum ist das Kreuz Christi
nicht das Ende jeder Kultpraxis, so daß es nun nur noch eine
Religion in den Grenzen der praktischen Vernunft gibt, sondern
weiterhin den christlichen Gottesdienst, der gerade im Meßopfer
seinen Höhepunkt hat, wie es ausdrücklich das 2. Vatikanum
konfirmiert? Gelingt es nicht, die Einheit vom Opferkult des alten
Bundes und der Eucharistiefeier des neuen Bundes zu denken, dann wird
sich in diesen Spalt zwischen den beiden Opferkulten immer wieder
aufs Neue der marcionitische Geist revitalisieren.Wenn das Alte und
das Neue Testament einen Gott verkündigt und nicht zwei, kann der
jeweilige von Gott eingesetzte Gottesdienst nicht ein der Substanz
nach verschiedener sein! Eine substantielle Differenz zerrisse die
Einheit Gottes. Der Vorwurf des christlich - jüdischen
Gesprächskreises des ZK, daß die traditionelle Messe marcionitisch
ausgerichtet wäre, träfe zu, wenn der in alten Messe exzeptionell
betonte Opfercharakter der Messe die Aussage beinhalten würde, daß
nun in der hl. Messe statt der falschen Kultopfer des AT das wahre
Opfer Gott dargebracht werden würde. Das von Gott im alten Bund
einge-setzte Kultwesen mit seiner Opferpraxis stünde dann ja im
Widerspruch zu Gottes neu eingesetzter Eucharistiefeier, dem wahren
Opfer. Gottes Anordnung des Kultes stünde wider Gottes neuer
Kultordnung, Gott stünde wider Gott.
Zur
Veranschaulichung: das Opfer, das das fromme Israel zugunsten der
gefallenen Krieger darbringt, damit diese durch dies Opfer entsühnt
an der geglaubten Auferstehung der Toten teilhaben werden, kann das
wesentlich ein von dem Meßopfer zugunsten Verstorbener und der armen
Seelen im Fegefeuer verschiedenes sein? Können zwei substantiell
verschiedene Opfer die selbe Frucht erwirken, daß verstorbene Sünder
entsühnt werden und so Zugang zum ewigen Leben erlangen?
Selbstredend präsumiert die Hl. Schrift (2.Makkabäer 12, 39- 46),
daß dieses Sühnopfer für die Verstorbenen effektiv wirksam ist;
nicht kann deshalb dies Sühnopfer nur als prophetische Verkündigung
des zukünftigen Meßopfers gedeutet werden. Es ist ein reales, da
vollzogenes Opfer gemeint, das Sühne für die Verstorbenen erwirkt.
Kann Gott im alten Bund ein Meßopfer zur Entsühnung der
Verstorbenen einsetzen und dies dann als ungültig durch ein völlig
anderes ersetzen? Ist nicht das Moment der Kontinuität, Beschneidung
und Taufe, das Gottes Volk des alten Bundes, das neue Gottesvolk,
stets ist der Bund einer mit einem Volke, unübersehbar.
In
ersten Korintherbrief spricht der Apostelfürst Paulus gar von einer
Taufe auf Mose im alten Bund wie von einer geistlichen Speise, einer
eucharistischen Speisung des Volkes: sie tranken Christus.2
Es ist nun eine theologische Aufgabe, zu ergründen, warum es nicht
nur das Karfreitags-opfer Christi gibt sondern auch den alten
vorchristlichen Kult und den neuen nachchrist-lichen. Sowohl der alte
wie auch der neue muß dabei als von Gott gewollte und selbst
eingesetzte Ordnung begriffen werden. Am Rande steht dabei auch die
Frage, wie das wahre Opfer Christi sich zu all den anderen Opfern der
Religionen verhält.
Nikolaus
Gihr schreibt in seiner sehr gediegenen Studie: „Das heilige
Meßopfer“: „Es genügt darum nicht, daß die christliche
Religion und Kirche ein Opfer, das einmal dargebracht worden, zur
Grundlage habe: sie muß auch ein Opfer, das ständig wiederholt
wird, als Grundpfeiler ihrer Fortdauer besitzen.“3
Kraftvoll betont Gihr die konstitutive Bedeutung des Opferkultes für
die christliche Religion. „Zur Vollkommenheit einer Religion gehört
aber notwendig ein vollkommener Gottesdienst, d.h. Darbringung des
Opfers; denn das Opfer ist die vorzüglichste Art und die vornehmste
Bestätigung der Gottesverehrung. Hätte die christliche Religion
kein ständiges Opfer, dann hätte sie keinen vollkommenen
Gottesdienst und wäre nicht in jeder Hinsicht vollkommen, sondern in
einem wesentlichen Punkte mangelhaft und ungenügend, was nicht
angenommen werden darf.“ „was wäre aber die christliche Kirche,
wenn sie kein Opfer, keinen Priester und keinen Altar hätte?“4
Gihr bestimmt das Verhältnis vom alttestamentlichen Opfer zum
Kreuzopfer und zum Meßopfer wie folgt: Das Meßopfer „darf nicht
bloß sinnbildlich das Kreuzopfer nachbilden, wie die
alttestamentlichen Opfer dasselbe vorgebildet haben, sondern es muß
wahrhaft und wirklich das einst auf dem Kalvarienberge vollzogene
Opfer darstellen und vergegenwärtigen.“5
Durch diese problematische Bildtheorie, die zwischen einem bloßen
Nachbilden und einer wahrhaftigen Vergegenwärtigung des Kreuzopfers
unterscheidet, wird nun der Opferkult des alten Bundes zu einer
bloßen Scheinveranstaltung ohne Substanz, der Kult ist leer und
verweist nur auf seine zukünftige Substanz, das Kreuzopfer.
Bedenkenswert ist die These, das Meßopfer vergegenwärtige das
Kreuzopfer. Damit wird der nicht unproblematische Gedanke
derständigen Wiederholung präzisiert. Im Padre Pio Büchlein zur
Meßfeier heißt es aber:„O Herr, unser Gott, wir sind hier, um dem
heiligen Meßopfer beizuwohnen, das uns an das Kreuzopfer Deines
Sohnes Jesus Christus erinnert und es täglich erneuert.“6
Unter dem Opfer, „das ständig wiederholt wird“7
könnte ja eine unendliche Serie von Opfern verstanden werden, die
ihren Anfang im ersten Opfer, dem Kreuzopfer gehabt hat. Auch in
einer Serie ist das folgende nicht unabhängig vom ersten Opfer („Das
neutestamentliche Opfer kann und darf nicht unabhängig sein vom
Kreuzopfer.“8);
die Serie der Opfer konstituiert sich dadurch, daß eines immer auf
das andere folgt, aber die Folge wäre, daß nun es nicht mehr das
einmal vollbracht wordene Opfer gäbe, sondern eine unendliche Reihe
von Opfern, die das Heil des Menschen erwirkten. Der Begriff der
Vergegenwärtigung des Kreuzopfers bewahrt, daß ein Opfer das Heil
wirkt und nicht eine Serie von Opfern, aber er läßt völlig im
Unklaren, wie denn nun das eine Kreuzopfer sich in den vielen
Meßopfern vergegen-wärtigt. Der Begriff der Vergegenwärtigung ist
ein noch zu begreifender Begriff. Und hier könnte eine Bildtheorie
hilfreich sein. Es sei hier schon die bedenkenswerte Erwägung
Hansjürgen Verweyens über das Absolute und sein Bild verwiesen.9
Wie
deutet Gihr nun selbst den Begriff der Vergegenwärtigung des
Kreuzopfers? „Das immerwährende Opfer des Neuen Bundes kann nicht
den Zweck haben, neues Verdienstzu erwerben oder aufs neue für die
Sünden der Menschen Genugtuung zu leisten,sondern es kann nur dazu
bestimmt sein, Sühne und Verdienst des Kreuzopfers den hilfs-und
heilsbedürftigen Menschen zuzuwenden.“10
In Paragraph 2 „Das Opfer im eigent-lichen Sinne“ weiß Gihr
noch, daß das Opfer Gott dargebracht wird11,
hier hat er seine Explikation zum Opfer vollständig vergessend ganz
wie die reformatorische Abendmahls-theologie die Bedeutung des
Meßopfers auf seine rein sakramentale reduziert: das Sakra-ment des
Altares teilt die Gnade aus und ist somit kein Opfer sondern nur die
Austeilung der Früchte des Kreuzopfers. Ein Opfer, das keinen
Verdienst erwirkt, ist kein Opfer.
Nach
Gihr soll das Meßopfer ein Sühnopfer sein, indem es die
sündentilgende Kraft des Kreuzopfers den Menschen zuwendet. 12
Hier wird nun vollends das Wesen des Opfers mit dem des Sakramentes
verwechselt und das Meßopfer hört so auf, ein Opfer zu sein, indem
es nur noch als gnadenausteilendes Sakrament expliziert wird. Zum
Kultopfergehört konstitutiv die Ausrichtung auf Gott mit dem Zweck,
„Gott dem höchsten Herrn und Gebieter, zu huldigen, sei es durch
Anbetung oder Dank, Bitte oder Sühne;“13
zum Wesen des Sakramentes, daß der Mensch der Adressat dieser
kirchlichen Handlung ist.
Ott
definiert so das Kultopfer: „Im engeren liturgischen Sinn versteht
man unter Opfer eine äußere religiöse Handlung, in der eine
sinnenfällige Gabe durch einen rechtmäßigen Diener Gott
dargebracht wird zur Anerkennung der absoluten Oberherrlichkeit
Gottes und seit dem Sündenfall zur Versöhnung Gottes.“14
Ein Opfer, das nicht Gott dargebracht wird und das nach dem
Sündenfall nicht der Versöhnung Gottes (Genitivus objectivus)dient,
ist kein Opfer. Das Sakrament definiert Ott demgegenüber so: „Die
Sakramente des Neuen Bundes enthalten die Gnade, die sie bezeichnen,
und verleihen sie denen, die kein Hindernis entgegensetzen.“15
Aus diesen beiden Definitionen ergibt sich, daß, wenn das Meßopfer
ausschließlich als die Distribution des durch das Kreuzopfer
Gewirkten gedacht wird, es nicht als sacrificium sondern als
Sakrament verstanden wird. Erstaunlicherweise zitiert Gihr bei der
Entfaltung des Meßopfersals Sühnopfer: „Durch Wirksamkeit dieses
Opfers versöhnt, erhöre, o Herr, huldvoll unsere Bitte und gib, daß
wir von den eigenen Verschuldungen los und mit fremden Sünden nicht
belastet werden.“16
Durch das Meßopfer wird Gott versöhnt, das ist die direkte Wirkung
des Opfers und weil Gott versöhnt worden ist, kann er nun als
Versöhnter gebeten werden,Gutes für die Menschen zu tun. Dies
Gewähren von Gutem ist so nicht die direkt erwirkte Frucht des
Meßopfers, sondern eine Gabe, von der gehofft wird, daß Gott sie
dem Bittenden gewährt, weil Gott durch das Meßopfer versöhnt,
bereit ist, menschliche Bitten zu erhören. Im Kapitel 2 der Lehre
und Kanones des Trienter Konziles über das Meßopfer heißt es ja:
„Durch seine Darbringung versöhnt, gewährt der Herr nämlich
Gnade und das Geschenk der Buße.“ Durch die Darbringung des
Meßopfers wird Gott versöhnt, nicht wird Gott durch das Meßopfer
nur an das Kreuzopfer erinnert, es geschieht jetzt im Vollzuge des
Meßopfers Gottes Versöhnung. So kann Diekamp nicht zugestimmt
werden, wenn er interpretierend dies Kapitel kommentiert: daß das
Meßopfer „ebenso wie die Sakramente nur ein Mittel ist, die
Früchte dieses Opfers den Gläubigen zuzuwenden.“17
Durch
diese Deutung will Diekamp den protestantischen Einwand, daß
Meßopfer setze eine defizitäres ergänzungsbedürftiges
Opferverständnis des Kreuzes entgegenhalten, „daß das Meßopfer
nach katholischer Lehre keine neuen Verdienste Christi begründet und
den Sühnewert des Kreuzesopfers nicht ergänzt.“18
Auch an dieser Formulierung wird deutlich, daß hier Diekamp das
Kreuzesopfer und das Meßopfer als zwei Opfer denkt, um dann um der
Alleingenügsamkeit des Kreuzesopfers willen, dem Meßopfer faktisch
seinen Opfercharakter abspricht und das Sacrificium zum bloßen
Sakrament umdeutet.
Das
kann aber nicht als sachgemäße Ausdeutung der Lehre vom Meßopfer
des heute noch gültigen Trienter Konziles gelten. So heißt es in
Lumen Gentium eindeutig: Der Amts-priester „vollzieht in der Person
Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen
Volkes Gott dar.“19
Wenn Gott das Opfer Jesu Christi durch die Kirche darge-bracht wird,
erwirkt dieses Opfer bei Gott, weil er es gnädig annimmt, Versöhnung
und diese gewirkte Versöhnung ist die Voraussetzung dafür, daß
Gott nun seine Gnadengaben an Menschen austeilt. Nicht erwirkt so das
Meßopfer unmittelbar die Gnadengaben, sondern Gott gewährt sie ob
der Wirkung des Meßopfers. Wie dieses nun zu denken ist, ohne daß
dies das Mißverständnis provoziert, daß das Kreuzesopfer Christi
defizitär gewesen sei und nun des Supplementes weiterer Opfer
bedürfe, ist ein noch ungelöstes Problem. Nicht darf aber um der
reformatorischen Kritik willen, nun das Meßopfer seines
Opfercharakters entkleidet werden,um es nur noch als Altarsakrament
stehen zu lassen.
Ott
sagt zum Verhältnis des Meßopfers zum Kreuzopfer in seiner
brillanten Dogmatik: „Im Meßopfer wird das Kreuzesopfer
sakramental dargestellt,das Gedächtnis desselben begangen und die
Heilskraft desselben zugewandt.“20
Der Begriff der sakramentalen Darstellung soll dabei a) ausdrücken,
daß das Kreuzesopfer ein absolutes, das Meßopfer ein relatives
Opfer ist. Das heißt: das Meßopfer wäre ohne das Kreuzopfer kein
Opfer; nur in Relation zum Kreuzesopfer ist es ein wahres Opfer,
b)ausdrücken, daß dieses Meßopfer aber nicht nur eine Erinnerung
an das einstig geschehene Opfer ist, sondern eines, durch dessen
Vollzug ex opere operato Gott versöhnt wird und daß Gott als
Versöhnter dann Gnaden gewährt.21
Wie aber nun das Verhältnis vom Kreuzesopfer zum Meßopfer zu denken
ist, verbirgt dieser Begriff der sakramentalen Darstellung.
Man
kann jetzt schon konstatieren, daß ein offenkundiges Defizit der
vorkonziliaren Theologie darin besteht, zwar zu bekennen, daß die
Eucharistie ein wahres Opfer ist,daß es ihr aber kaum gelingt, das
Bekannte denkerisch zu begreifen. Was aber nicht im theologischen
Denken begriffen wird, neigt dazu, zur bloßen Formel zu erstarren
und dann als Unbegriffenes aus dem Glaubensleben zu verschwinden. Daß
in der nachkonziliaren Reformeuphorie der Opferbegriff weitestgehend
verschwunden ist in Folge einer Überbetonung des Mahlcharakters der
Euchartistiefeier ist in diesem Defizit vorkonziliarer Theologie
präfiguriert. Es liegt eben sehr nahe, aus der These, das Meßopfer
appliziere die Früchte des Kreuzesopfers, zu folgern, daß diese
Applikation primär in der Kommunion sich ereigne, so daß das
Wesentliche der Eucharistie die Mahlfeier sei. J. Wohlmuth steht
sicher nicht allein mit seinem freimütigen Bekenntnis:„Nicht
Opfer, das wir darbringen, sei die Eucharistie, sondern Mahl, das wir
empfangen.“
„Wie
schwer fällt es uns, den Tod Jesu und seine sakramentale Feier noch
irgendwie opferterminologisch zu verstehen! Wäre ich mit der
Erstellung der neuen Eucharistie-gebete nach dem Konzil befaßt
gewesen, hätte auch ich dafür plädiert, auf das Wort„Opfer“
möglichst zu verzichten. Endlich hatten wir doch auch Luthers
Fundamental-kritik verinnerlicht, die da lautet, das Opfer sei Werk
des Menschen, das an die Stelle des einmaligen Opfers Christi am
Kreuz tritt und so sich zu einer Größe verselbständigt, die aller
Gnaden- und Rechtfertigungstheologie widerspricht.“22
Luthers Kritik am Meßopfer gründet nicht in einer prinzipiellen
Ablehnung des Begriffes des Opfers, daß Jesus Christus für uns sich
Gott als Sühnopfer dargebracht hat, sondern aus dem Unvermögen, das
Verhältnis vom einmaligen Karfreitagsopfer und der Serie der
Meßopfer anders als ein Konkurrenzverhältnis zu denken. Dem einen
Opfer stehen die vielen gegenüber und weil das eine heilsgenügsam
sei, sind die anderen nicht nur überflüssig, sondern ihr Vollzug
ist ein Nein zur Heilsgenügsamkeit des einen Kreuzopfers. Luthers
Kritik am Meßopfer um des einen wahren Kreuzopfers willen muß dabei
distinkt unterschieden werden von der von modernistischen Theologen
erhobenen Kritik am Kreuzopfer. Verweyen deklariert etwa: „Es ist
nicht so- wie eine jahrhunderte alte Sühnetheologie meinte- daß
Gott Jesus an die Gewalt ausliefert, weil er ein Opfer zur
Besänftigung seines Zornes will.“23
Die klassische Sühne- und Kreuzestheologie wird dabei von Verweyen
wie auch von Menke ersetzt durch die Vorstellung, daß Gott unbedingt
die Freiheit des Menschen anerkenne und daß er um dieser unbedingten
Anerkennung willen den Freiheitsmißbrauch der Menschen, die Jesus
kreuzigen wollen, nicht verhindern konnte, weil er damit die
unbedingte Anerkennung der menschlichen Freiheit revozieren würde.
Bei Menke liest sich das so: „Der Gott, der unbedingte Liebe ist,
will den Kreuzweg seines Sohnes nicht- ganz und gar nicht! Die
Wahrheit ist eine andere: Er kann diesen Kreuzweg nicht verhindern.“24
Denn
Gott ist als unbedingte Liebe den Menschen unbedingt liebend und so
unbedingt seine Freiheit anerkennend. Die Freiheit würde Gott nicht
unbedingt anerkennen, wenn Gott den Freiheitsmißbrauch ausschlösse.
So wird das Kreuz Christi zum Symbol der vollkommenen Anerkenntnis
der Freiheit des Menschen durch Gott. Und das meint die Bibel unter
dem Begriff der Liebe, so Menke: Die Bibel versteht unter Liebe: „die
unbedingte Anerkennung des Anderen.“25
Beginnt also die Zerfallsgeschichte mit der These, daß um des einen
wahren Opfers willen alle anderen nicht mehr legitim sind mit Luther,
so wurde damit auch der Emergenzpunkt dafür gesetzt, nun total den
religiösen Gedanken des Opfers zu verwerfen, wie es hier
exemplifiziert worden ist an Verweyen und Menke. Aber wenden wir uns
dem Anfang der Verfallsgeschichte wieder zu: dem Problem der
Verhältnisbestimmung von den vielen kultischen Opfern zu dem einen
Kreuzaltaropfer.
Gibt
es aus diesem Dilemma einen Ausweg? Ich meine, daß B. Poschmann in
seiner Lehre von der Kirche hier sehr hilfreich sein könnte. In dem
Kapitel: „Der Zweck der Kirche und ihre Heilsnotwendigkeit“ wird
das Verhältnis vom Kreuzopfer Christi zur Kirche so bestimmt: „Das
einfürallemal vollendete objektive Erlösungswerk bedarf der
Ergänzung der subjektiven Erlösung, und zu ihr bedient sich
Christus als causa principalis der Kirche als causa instrumentalis.
Die Kirche ist sein lebendiges Werkzeug.“26
Dies könnte so gelesen werden, daß die Kirche eine rein
distributive Funktion besitzt. Durch sie teilt Christus das im Kreuz
erwirkte Heil aus. Dann wäre der einzige Adressat aller kirchlichen
Handlungen der Mensch. „Wie es neben dem einen Hohenpriester
Christus kein anderes selbständiges Priestertum gibt, sondern nur
ein „Priestertum der Teilhabe“, so auch neben dem einen Opfer am
Kreuze kein anderes selbständiges Opfer, vielmehr auch nur ein
„Opfer der Teilhabe“, mit anderen Worten ein sakramentales Opfer.
Im Wesen des Sakraments liegt es, daß es wirksam wird durch
Vermittlung eines Zeichens, und so kommt auch das sakramentale Opfer
zustande, indem Christi Opfertod unter den getrennten Gestalten de
Leibes und des Blutes sinnbildlich dargestellt wird. Ein
histo-rischer Akt verliert nichts von seiner Einmaligkeit, wenn es in
noch so vielen Bildern dargestellt wird. Das Meßopfer ist indes- und
darin liegt das Mysterium-nicht bloßes sondern reales Bild.“27
Das Meßopfer bildet real das Kreuzesopfer ab. Diese Aussageverlangt
nun eine Theorie des Bildes, um verstanden zu werden.
Es
soll ein erster Versuch gewagt werden. Wenn das Karfreitagsopfer das
absolute Opfer und das Meßopfer wie auch das Opfer des alten Bundes
nur relative Opfer sind, so meint dies, daß die Substanz des
Kreuzopfers auch die Substanz in den relativen Opfern ist. Das eine
wahre Opfer vervielfältigt sich in den vielen Opfern, wie etwas in
vielen Bildern von diesem etwas. Wenn die Bilder des einen wahren
Opfers aber auch reale Opfer sein sollen und nicht nur leere Bilder,
dann stellt sich die Frage: gibt es ein wahres und viele relativ
wahre Opfer oder ist das Karfreitagsopfer und die Kultopfer des
alten Bundes und des neuen Bundes als ein Opfer zu begreifen? Auf das
Verhältnis des Kreuzopfers und des Meßopfers bezogen hieße das,
daß das Kreuzopfer als das Urbild aller wahren Opfer und das Bild
dieses Urbildes, das Meßopfer eins sind. Denn das Bild hat kein
anderes Wesen, keine andere Substanz als das des Urbildes. Das Urbild
des wahren Opfers bildet sich ab in den Vorbildern des wahren Opfers
im Kult des alten Bundes und bildet sich nach in den Abbildern des
neuen Bundes. Das das Vorabbild und das Nachabbild des wahren Opfers
ihr Sein, ihre Substanz nur in dem wahren Opfer haben, existieren sie
nur als Erscheinungdes wahren Opfers und bilden so eine Einheit. Man
könnte dann sagen, daß das historisch am Karfreitag geschehene
Opfer nie von Gott als ein einziges singuläres historisches Ereignis
intendiert war, sondern es war von Ewigkeit her gedacht als das
Urbild aller wahren Opfer, so daß es sich in den relativen Opfern
des Kultes selbst vergegenwärtigt, um so mit ihnen eine Realität zu
bilden, eine Einheit, in der das wahre Opfer sich in eins setzt mit
den Realbildern dieses Opfers. So verstanden ist das Realbild des
wahren Opfers nichts anderes als das sich vergegenwärtigende
Kreuzesopfer, das dann im vollen Sinne Dank-, Lob-, Bitt- , und
Sühnopfer ist. Wenn es nur das wahre Kreuzopfer Christi am
Karfreitag gäbe, könnte es keinen religiösen Gottesdienstkult
geben, denn ein Gottesdienst ohne ein Kultopfer wäre eine defizitäre
Religion. Weil Gott aber von den Menschen, seinem dazu erwählten
Volke, Israel und dann die Kirche verehrt werden wollte, war es
Gottes ewige Intention, das eine vollkommene Opfer so sich
vergegenwärtigen zu lassen in vielen Kultopfern, so daß diese den
Kern wahrer Religion bildeten. Da das eine vollkommene Opfer Jesu
Christi aber nicht ergänzungsbedürftig ist, nicht andere Opfer zur
Ergänzung bedarf, und es doch um der Verehrung Gottes Kultopfer
bedarf, ist das eine wahre Opfer als Einheit von dem Urbild und
seinen Abbildern gesetzt. So wie die Idee des Menschen in Gott und
die vielen Einzelmenschen eine Einheit bilden: das Menschsein,
ähnlich ist das Urbild des Opfers und die vielen Einzelopfer eine
Einheit:
das
Sein des Opfers. Diese Substanz des Opfers realisiert sich nun in
geschichtlich kontingenten akzidentiellen Gestaltungen. Auch das
wahre Kreuzopfer Christi ist als wahre Substanz des Opfers
eingekleidet in geschichtlich kontingenter Gestalt und das Meßopfer
ist die Vergegenwärtigung der Substanz dieses wahren Opfers in
anderer geschichtlich kontingenter Gestalt. Aber der Substanz nach
gibt es nur ein Opfer, das die Einheit von Urbild und Abbildern ist,
so daß so erst ein Gott wohlgefälliger Kult möglich ist. Die Opfer
des alten Bundes, gerade weil sie im alten Bund als effektiv geglaubt
wurden- rechtens können, weil sie effektiv waren, keine andere
Substanz beinhalten als das Kreuzesopfer Christi. So sagt auch Gihr
über das Verhältnis des einen wahren Opfers, dem Kreuzofer und den
vielen anderen Opfern aus: Das wahre Opfer am Kreuz ist das, „auf
welches alle anderen Opfer sich beziehen und aus welchem alle anderen
Opfer ihre Bedeutung, Kraft und Wirksamkeit schöpfen.“28Wie
könnte ein anderes Opfer als das des Heilandes Gott versöhnen und
Gott bewegen, Sündern zu vergeben und ihnen so Anteil am ewigen
Leben zu gewähren. Es sei an das Totenopfer des Makkabäerbuches
erinnert.
Zum
unlösbaren Problem wird die Verhältnisbestimmung von dem
Kreuzesopfer zum Meßopfer, wenn das Kreuzopfer als historisch
isoliertes Ereignis gedacht wird, das in sich vollkommen
heilsgenügsam sein soll und wenn dann dem Meßopfer auch noch der
Charakter eines wahren Opfers zugesprochen werden soll. Darauf
verweist Rothkranz zu recht, indem er sich flüchtet in die
Geheimnisrhetorik. Wenn aber das Kreuz Christi nicht als ein
isoliertes Geschichtsereignis zu verstehen ist, sondern als etwas,
das sich in vielen Kultopfern vergegenwärtigen soll, damit wahre
Religion sein kann, dann wird man das Kreuzopfer eher als das
Urmodell verstehen, das nur darum ist, damit es sich in vielen
Exemplaren vergegenwärtige und so als Urmodell und den vielen
Einzelmodellen eine Einheit bildet. Wenn Gott die Idee des Menschen
in sich ewig hatte und er jeden Einzelmenschen als Individuierung
dieser Idee des Menschen hervorbringt (als Erstur-sache jedes
Menschen), dann ist auch hier die Idee des Menschen nie als ein rein
selbstzwecklich Isoliertes in Gott, sondern als das Urmodell aller
Menschen und bildet mit den vielen Menschen eine Einheit, was man das
Menschsein, den Menschen an sich etc. nennt.
Was
ist damit gewonnen? Es ist ein Versuch, das eine wahre Opfer und die
vielen so zusammenzudenken, daß ausgesagt werden kann: a) immer
wollte Gott, daß eine wahre Religion und ein wahrer Kult ist. Die
Religion des alten Bundes ist nicht eine unwahre und
auch
nicht eine vor- oder gar unter- christliche Religion, sondern sie ist
die Gestalt der christlichen Religion, in der der Sohn Gottes nur
verborgen unter seinem Volke lebte und in der hoffenden Erwartung auf
sein sichtbares Kommen. Das Christentum ist in Kontinuität zur
Religion des alten Bundes die Gestalt der christlichen Religion nach
derInkarnation Gottes und in ihr ist jetzt der wahre Kult in der
Gestalt, die er bekommen hat ob der Inkarnation. Die Bibel ist als
ganzes das Fundament der einen wahren Religion,
das
sein Zentrum im Kreuzesopfer Christi hat und das sich vorabgebildet
hat im Kult des alten Bundes und nachabbildet im Kult des neuen
Bundes als das eine wahre Opfer unter kontingent geschichtlich
veränderten Gestalten. Damit soll ausgeschlossen werden, da wir
Christen von einem jüdisch-religiösen Kult der hebräischen Bibel
reden müssen und von einem christlichen Kult, der in Kontinuität
und Diskontinuität zum jüdischen Kult sich befindet, so daß das
Christentum als zu einem eigentümlichen Zwitterwesen, bestehend aus
zwei miteinander vermengelten Religionen, erscheint und das uns
unbeabsichtigt zusehens das Alte Testament mit seinem Kult zum
Fremdkörper wird. In diesem Sinne ist die Äußerung Kardinal
Ratzingers nicht unproblematisch: „Das letzte Abendmahl Jesu ist
zwar der Grund aller christlichen Liturgie, aber es ist selbst noch
keine christliche Liturgie.“29
Ist
aber erst der Kult des alten Bundes uns Christen zum
Unterchristlichen verkommen,dauert es nicht mehr lange, bis uns auch
der christliche Kult als Verfehlung des eigentlichen Anliegens Jesu
erscheint. Und so entstehen dann diese ewigen Märchenerzählungen
von einem Jesus, der den Kult des Alten Testsamentes verworfen hat,
einem kultfreien Urchristentum ohne Priester und Opfer, einer rein
ethisch ausgerichteten Jesusfrömmigkeit, die dann später
korrumpiert worden ist durch Ewiggestrige, die Opfer, Priester und
Hierachie wieder einführten, so das Urchristentum wieder in
Kontinuität zur Kultreligion des AT und der Religion überhaupt
brachten.Bogdan Snela steht so leider nicht allein, wenn er in seinem
Lexikonartikel: Priester/ Bischof phantasiert: Im Urchristentum
bedeutet das Opfer:“hier das bei der Mahlfeier mit Brot und Wein
gesprochene Gebet der Danksagung.“30
Die Gemeinde feierte von sich aus ohne leitende Amtsperson Taufe,
Eucharistie und Salbung. Die „Satzerdotalisierung“ sei dann der
Sündenfall der Kirchengeschichte gewesen und nicht einmal dem 2.
Vatikanum wäre es gänzlich gelungen, diese Fehlentwicklung
vollständig zu korrigieren. Schneider und Hilberath sehen als einen
Grund dieser Fehlentwicklung den undifferenzierten Rückbezug auf das
Opferverständnis des alten Bundes.31
Wenn das Opfer Jesu Christi erst mal als die radikale Umprägung des
Opferbegriffes verstanden wird, so daß sein Opfer die kultische
Opferpraxis des alten Bundes ins Unrecht setzt, dann muß jede
Kontinuität
des
christlichen Kultes zum Kult des alten Bundes als Fehlentwicklung
interpretier werden.32
Es wird so aber nicht nur die Kontinuität vom Kult des alten Bundes
und dem Kreuzesopfer Jesu negiert, auch die Jesu Opfertod
nachfolgende Kultpraxis, von Christusselbst am Gründonnerstag
initiert, wird nun als Abfall gedeutet, so daß schlußendlich man
bei der protestantischen Konkurrenzthese landet, daß das eine Opfer
Christi, um der Einzigkeit willen, alle anderen Opfer ausschlösse
und so ein kultfreies Christentum kreiert wird, das faktisch nur noch
religiös- gesellige Mahlfeiern kennt. Daß sich aber diese
Verkehrung des christlichen Kultes des Meßopfers in der Kirche
durchsetzen konnte, liegt leider auch darin begründet, daß es dem
theologischen Denken nicht gelungen ist,die Einheit vom Kreuzopfer
und dem Meßopfer zu denken. Und wo die Einheit nicht gedacht werden
konnte, da generierte sich die Vorstellung von zwei in Konkurrenz
zueinander stehenden Opfern, der Ruin des Meßopfers. Und deshalb
soll hier am Schluß das große Wort zur Bedeutung des Opferkultes
für die Religion von Papst Leo XIII erinnert werden: „Das Wesen
und die Natur der Religion selbst enthüllt die Notwendigkeit des
Opfers.“ „Und wenn man die Opfer entfernt, kann eine Religion
weder sein noch gedacht werden.“33
1Rothkranz,
J., Mahl-oder Opfercharakter der heiligen Messe? 3.Auflage 2006 S.9.
2Vgl:
1.Kor. 10,1-4.
3Gihr,
Nikolaus, Das heilige Meßopfer 14-16 Auflage 1919 S.63.
4Gihr
a.s.OS.62.
5Gihr
a.s.O.S.63.
6Zitiert
nach: Weigel, A.M., Aus dem Gebetsschatz der heiligen Kirche
21.Auflage 2000 S.448.
7Gihr,
a.s.O.S.63.
8Gihr
a.s.O. S.63.
9Vgl:
Verweyen, Hansjürgen, Gottes letztes Wort 4.Auflage 2000 S.154-159.
10Gihr
a,s.O.S.63.
11Vgl:
Gihr a.s.O.S.10-16.
12Vgl:Gihr
a.s.O. S.131.
13Diekamp,
F. Katholische Dogmatik Bd. II 11/12. Auflage 1959 S. 314.
14Ott,
L. Grundriß der Dogmatik 11. Auflage 2005 S.271f.
15Ott
a.s.O. S.457.
16Gihr
a.s.O. S.132.
17Diekamp,
Katholische Dogmatik Bd. III 11./12. Auflage 1954 S.218.
18Diekamp
a.s.O. Bd.III S.218.
19DH
40. Auflage 4126.
20Ott,
a.s.O. S.553.
21Vgl:
Ott a.s.O. S.559- 563.
22Wohlmut,
Opfer – Verdrängung und Wiederkehr eines schwierigen Begriffs,
in: Das Opfer QD 186 2.Auflage 2000 S.100.
23Verweyen,H.,
Botschaft eines Toten 1997 S.86.
24Menke,
Handelt Gott, wenn ich ihn bitte? 2.Auflage 2001 S.17.
25Menke,
Handelt Gott, wenn ich ihn bitte? 2.Auflage 2001 S.17f.
26Poschmann,
B., Die Lehre von der Kirche Quaestiones non disputatae Bd 4 2000
S.140.
27Poschmann,B.
a.s.O. S.301.
28Gihr,
Das heilige Meßopfer 1919 S.38.
29Joseph
Kardinal Ratzinger, Gestalt und Gehalt der eucharistischen Feier,
in: Das Fest des Glaubens 2.Auflage
1981 S. S.37.
30Snela,
B., Priester/Bischof, in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe
Bd.3 Hrsgb: P.Eicher 1985 S.429.
31Hilberth,
Schneider, Opfer, in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe
Bd.3 Hrsgb: P.Eicher 1985 S.293.
32Vgl:
Hilberth, a.s.O. 287- 291.
33DH
3339 40.Auflage 2005
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