Der
Staat und die Todesstrafe
Es
gibt wohl kaum ein Thema, daß die Differenz zwischen der
christlichen Religion und dem Humanismus so deutlich macht, wie die
Gretchenfrage: „Wie stehst Du zur Todesstrafe?“. Für das
humanistische Denken ist der Straftäter primär jemand, der
gebessert werden muß. Er ist so das Vorzugsobjekt der Pädagogik,
insofern sein verbrecherische Tat die eines nicht angemessen
Gebildeten ist oder er ist das Vorzugsobjekt therapeutischer
Maßnahmen, sofern als Grundursache seiner verbrecherischen Tat eine
psychische Erkrankung oder Fehlentwicklung irgendeiner Art gesehen
wird. Bildung und Therapie sind so gefordert. Da, bevor die Therapie
und die Bildung Erfolge zeitigen können, eine Wiederholung der Untat
nicht auszuschließen ist, ist eine zeitlich befristete Absonderung
des Täters von der Gesellschaft vonnöten, um sie vor der
Gefährlichkeit des potentiellen Wiederholungstäters zu schützen,
bis die Therapie und die Bildung den Täter zum Guten hin gebessert
hat. Denn prinzipiell jetzt jeder Mensch besserbar, vorausgesetzt er
wird nur richtig therapiert und erzogen.
Das
humanistische Denken sieht dann noch seine Grenzen ein, wenn es die
gesellschaftliche Bedingtheit der Untat wahrnimmt und damit den
Zusammenhang zwischen einer „inhumanen“ Gesellschaft und der
Neigung von Menschen, die in dieser so gearteten Gesellschaft leben
und so eine gesellschaftlich bedingte Neigung zum „Verbrechen“
mit sich bringen. Vulgärsoziologisch: Arme Menschen neigen eher zum
Diebstahl als reiche, weil die Reichen alles sich kaufen können, was
dem Armen verwehrt ist, so daß sie dazu neigen, das zu stehlen, was
sie sich nicht erkaufen können. Also, jedes geschehene Verbrechen
ist so ein Appell an die Sozialingenieure, die Gesellschaft humaner
zu gestalten, denn dann würde das Verbrechen schon aufhören, kommt
das Böse doch allein aus einem erlittenen Mangel.
Der
Gedanke der „Strafe“ ist in das humanistische Denken nicht
integrierbar. Wie ein Fremdkörper soll er ausgeschieden werden und
durch den einer therapeutischen Bildungsarbeit ersetzt werden. Und
nur, um die Gesellschaft vor den noch nicht Therapierten zu schützen,
schließt man sie eine kleine Zeit lang ein, abgesondert in
„Gefängnisse“, um sie schnellst möglich gebessert und geheilt
wieder in die Gesellschaft zu reintegrieren!
Die
Todessstrafe ist so gesehen die Perversion staatlichen Handelns
schlechthin. Denn zum Schutze der Gesellschaft vor den Tätern reiche
deren Einsperrung in ein Gefängnis, bis sie therapiert wieder
freigelassen werden können. Viel gravierender ist aber, daß durch
den Vollzug der Todesstrafe der Versuch einer Therapie verunmöglicht
wird-Tote kann man nicht mehr therapieren-und darum verfehlt diese
„Strafe“ die Aufgabe des Staates an Verbrechern, sie wieder zu
guten Staatsbürgern und human lebenden Menschen zu erziehen oder zu
therapieren.
Grundsätzlicher:
der Humanismus glaubt an das Gute in jedem Menschen, das nur durch
widrige Umstände zurückgedrängt und gar verdunkelt werden könne,
aber das doch das Wesen jedes Menschen ausmache, daß jeder
liebenswürdig sei und so es schon ein Verstoß gegen das Menschsein,
seine Würde wäre , ihn zu strafen, statt ihn heilen zu wollen.
Ganz
anders der Katholische Glaube! Nicht in irgendeinem Nebenartikel
einer Katholischen Dogmatik, sondern als die „Grundwahrheiten
unseres Glaubens“ bekundet etwa das noch 1950 im Erzbistum München
und Freising gültige Gottesdienstbuch:
„Gott
belohnt das Gute und bestraft das Böse. Ewige Seligkeit oder ewige
Verdamnis wird das endgültige Geschick der unsterblichen Seele
sein.“1
Im Gotteslob 1988 ist ein Gebet des hl. Thomas von Aquin enthalten,
in dem es heißt: „ Laß mich, o Herr, deine Strafen hienieden
tragen im Geist der Buße und deine Wohltaten recht gebrauchen durch
deine Gnade.“2
Es gehört zu den Grundwahrheiten der christlichen Religion, daß der
Mensch für sein Tun und Lassen verantwortlich ist und daß Gott ihn
gemäß seinem Tun und Lassen belohnen und bestrafen wird, entweder
„hienieden“, also in unserem Erdenleben oder nach dem Tode,
entweder mit dem ewigen Leben oder mit der ewigen Verdamnis. In diese
Grundordnung ist nun der Staat als eine von Gott gewollte
Institution, die wichtigste neben der Institution der Ehe und der
der Kirche eingezeichnet. Der Apostelfürst Paulus schreibt es
unmißverständlich: „Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die
nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt.“ (Röm 13, 1)
„Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienst
Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut.“ (Röm
13,4). Uns wird hier einiges zugemutet. Der Staat, gerade als
Gewaltstaat (nicht in erster Linie als Erbauer von Schulen und
Spitälern) steht im Dienste Gottes. Durch ihn richtet und straft
Gott „hienieden“, um es mit dem hl. Thomas zu sagen. Denn es
steht schon in den Weisheitssprüchen (Sprüche 8,15): „Durch mich
[Gott]regieren die Könige und entscheiden die Machthaber, wie es
Recht ist;“. Wenn wir den Staat theologisch bedenken, dürfen und
können wir von der Staatslehre der hl. Schrift nicht abstrahieren
und ersatzweise uns mit irgendwelchen soziologischen oder
populärwisenschaftlichen Meinungen über den Staat abgeben.
Theologisch
muß man dies also sagen: Gott regiert vermittels zweier Gewalten,
der der Kirche und der des Staates. Das Ringen um eine sachgemäße
Zuordnung dieser beiden Gewalten oder auch Schwerter, wie die Kirche
zu sagen pflegt, gehört so zu den zentralsten Aufgaben der
Theologie. Aber nicht bestritten werden darf, daß nicht nur die
Kirche, sondern auch der Staat im Dienste Gottes steht. Für diese
Dienstaufgabe gab Gott dem Staate das Schwert. Wozu genau? Wir
meinen, immer schon zu wissen, wozu der Staat ist, indem wir einfach
den empirische Staaten vor Augen habend, daraus „abstrahierend“
Erkenntnisse für das Wesen des Staates gewinnen. Wie nun aber, wenn
der Staat sich von seinem Wesen entfremden könnte, und so sein Wesen
sich unseren Augen verdunkelte. Oder wollte ein Christ ernsthaft
behaupten, daß es zum Wesen des Staates gehört, werdenden Mütter
die Tötung ihrer Kinder zu erlauben? Dieser Fall macht eines klar:
der Staat kann Dinge tuen (hier konkret die Abtreibung legalisieren),
die seinem Wesen widersprechen. Der Staat widerspricht dabei seinem
Wesen, so wie jeder Mensch seinem Wesen widerspricht, wenn er
sündigt. Denn das Wesen des Menschen, wie das des Menschen ist das,
wozu Gott es geschaffen hat. Das nennt die Tradition die ontologische
Wahrheit von einem Etwas, im Gegensatz zur empirischen Erscheinung,
in der sich das Erscheinende von seinem Wesen entfremden kann. Die
ontologische Wahrheit ist die, daß der Staat eine Ordnung Gottes
ist, mit und durch die er die Welt regieren will. Und das Ziel dieses
staatlichen Regierens ist die Gerechtigkeit.
Wir
müssen uns, um der Klarheit willen hier auf das Zentrum der
christlichen Religion kaprizieren: auf den Kreuzestod Christi und
jetzt unter der Frage: „Warum ist der Römische Staat in der
Gestalt des Pontius Pilatus an dem Kreuzestod beteiligt?“ Jesus
hätte ja auch, wie kurz darauf der hl. Stephanus von den Juden
allein hingerichtet werden ohne eine Mitbeteiligung des Römischen
Staates! Hätte Jesus nicht auch so-gesteinigt-für unsere Sünden
sterben können als Sühnopfer? Historisch Urteilende können nun
vielleicht Plausibiltäten aufweisen, daß es wohl wahrscheinlicher
war unter den gegebenden Umständen, daß Jesus von römischen
Soldaten gekreuzigt als von Juden gesteinigt zu werde.
Nur,
das ist keine theologische Aussage und Erkenntnis. Nein, wir müssen
da tiefer fragen und denken. Wenn Pontius Pilatus an der Kreuzigung
beteiligt gewesen war, dann war das auch Gottes Wille-denn im Kreuz
Christi geschah Gottes Wille! „Dein Wille geschehe!“ bat Jesus,
seinen Kreuzestod vor Augen. Heute soll diese Erörterung hier
abbreviaturhaft durchgeführt werden, um schneller und damit wohl
auch leserfreundlicher zum Kern des Problemes vorzustoßen. Ich setze
also Anselm von Canterburys Konzeption als bekannt voraus und
urteile, daß um der göttlichen Gerechtigkeit willen sein göttlicher
Sohn die notwendige Satisfaction Gott darbrachte. Anders gesagt: die
Sünden der Menschen verlangte nach einer adäquaten Strafe, wobei
unter Gerechtigkeit zu verstehen ist, daß das Maß des Leides, das
durch die Sünden, die Ungerechtigkeiten entstanden ist, durch das
Maß der Leiden, durch die Strafe hervorgerufen, ausgeglichen
werden.Da Gott der durch die Sünden „Geschädigte“ ist, er wird
durch unser Sünden beleidigt, richtet sich das Maß der Strafe nach
der göttlichen Würde. (Wenn dagegen etwa eingewandt würde, daß
Gott unberührbar sei als absoluter Gott, dann verkennt dies, daß
Gott,indem er zum Gott von Menschen und für Menschen wurde, er durch
diese Relation auf andere zu einem von Menschen berührbaren Gott
sich selbst bestimmte.) Um der göttlichen Gerechtigkeit willen
ereignete sich also der Tod Jesu. Daß er aber am Kreuze starb und
nicht gesteinigt wurde wie der erste Märtyrer Stephanus, das ist die
Folge davon, daß der Römische Staat diese Causa in die Hand nahm.
Pilatus kreuzigte Jesus. Der Römische Staat kreuzigte den Heiland
der Welt. Oberflächlich Urteilende sehen darin nur einen
Justizirrtum oder das erste Opfer von: „Mehr Demokratie
wagen!“-weil Pilatus ja das Leben Jesu einer basisdemokratischen
Entscheidung unterwarf: die vox populi bestimmte: Kreuzige ihn, den
Jesus Christus!
Aber
was war nun der Wille des göttlichen Vaters? Genau dies, daß der
Sohn um der göttlichen Gerechtigkeit willen den Tod erleiden sollte.
Und wozu hat Gott den Staat eingesetzt? Daß er durch sein Schwert
der göttlichen Gerechtigkeit dienen solle, indem er die Sünder um
der Gerechtigkeit willen straft. Nun wird es paradox. Der,der ohne
Sünde ist, nimmt die ganze Sünde der Welt auf sich, um am Kreuze,
auf das er die ganze Sünde der Welt trug, den Straftod für diese
Sünde zu erleiden. Dies ist eine der komplexesten Paradoxien der
christlichen Religion: daß Pilatus, indem er den einzig Schuldlosen
tötet, den tötet, der alle Schuld auf sich nahm und so die Strafe
erlitt, die alle Menschen sonst zu erleiden hätten. Indem Pilatus in
einem skandalösen Justizirrtum den Schuldlosen kreuzigt (weil er
der vox populi nachgab) ,kreuzigt er den Sünder Jesus, weil er alle
Schuld auf sich genommen hatte und so das tat, wozu der Staat
bestimmt ist von Gott, indem er der vox populi nachgab, die jetzt die
vox Dei war. Aber das ist nur für im Glauben Fortgeschrittene.
Der
Staat tötete also um der göttlichen Gerechtigkeit willen. Das ist
seine Aufgabe, das tut er, wenn er rechtmäßig die Todesstrafe
ausübt. (Nebenbei: der staatliche Mißbrauch des Rechtes zur
´Todesstrafe diskreditiert nicht den rechtmäßigen Gebrauch dieser
Strafmöglichkeit durch den Staat. Daß die staatliche Todesstrafe im
Einklang mit dem Willen Gottes steht, das genau offenbart uns das
Kreuz Christi ob der Beteiligung des Römischen Staates an diesem
Heilswerk. Wir brauchen nur die einfache Gegenprobe zu machen. Was
wäre geschehen, wenn Pilatus Jesus Christus freigesprochen und ihn
vorsichtshalber in Schutzhaft genommen hätte? Jesus Christus wäre
nicht gekreuzigt worden- wir lebten immer noch unter dem Zorn Gottes
als Nichterlöste.
Wir
Christen sehen den Menschen als strafwürdigen Menschen an. Er ist
für sein Tun und Unterlsassen verantwortlich. Darum gehört es zu
den Grundwahrheiten des Glaubens, daß Gott straft und belohnt. Und
ein Mittel der göttlichen Gerechtigkeit ist das Schwert des Staates,
das dazu da ist, daß schon auf Erden im Sinne der göttlichen
Gerechtigkeit gerecht gestraft wird. Diese Einsicht wird nun
verunklart dadurch, daß man die Idee der Gerechtigkeit, die die
Strafe des Bösen notwendig inkludiert, konfundiert mit den
humanistischen Vorstellungen vom von Natur aus guten Menschen,
Roussseau läßt grüßen, der nur als „Kranker“ Böses tue und
so statt zu bestrafen, zu therapieren sei. Dort, wo ein solcher
Humanismus die christliche Religion durchsäuert hat, dort versteht
man dann weder das Kreuz Christi noch die Todesstrafe durch den
Staat-dort wird dann alles modernisiert. Die christliche Religion
dagegen kennt den strafwürdigen Sünder, dem Gott aber auch seine
Sünde vergeben will, beichtet er und der ewige Strafe in endliche
wandelt und selbst von dieser nachläßt, erbittet die Kirche Ablässe
für die Armen Seelen im Fegefeuer. Der gerechte Gott straft, weil er
gerecht ist, er ist aber auch ein gnädiger Gott. Von all dem weiß
die humanistisch gewordene Religion nichts mehr, die sich durch den
Humanismus konfundieren lassen habende Religion und die kann dann im
Widerspruch zur Tradition der Kirche, verfangen im Geist des
Humanismus die Abschaffung der Todesstrafe fordern, um somit Gottes
Willen, der den Sühnetod seines Sohnes wollte, nachträglich als
Irrtum zu bezeichnen. Sie folgt damit dem Petrus, der schon bei der
ersten Leidensankündigung Jesu ausrief: Das sei ferne! Gott will das
Kreuz nicht-und Jesus Christus Petrus einen Verweis erteilen mußte:
Du denkst menschlich,nicht wie es Gott will.
1Gottesdienst,
Gebet-und Gesangbuch für das Erzbistum München und Freising, 1950,
S.15.
2Gotteslob,
Katholisches Gebet- und Gesangbuch, 1988, S.33.
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