Samstag, 18. Oktober 2014

Beihilfe zum Freitod

Um der Möglickeit des Mißbrauches willen den Gebrauch verbieten?

In der Debatte um die Erlaubbarkeit einer Beihilfe zum Freitod fällt regelmäßig ein äußerst fragwürdiges Argument: um den Mißbrauch zu verhindern, müsse auch der Gebrauch verboten werden. Das würde auf das Internet bezogen heißen: weil das Internet die Möglichkeit in sich hat, pornographische Bilder und Filme anzusehen, müsse zur Verunmöglichung dieses Mißbrauches auch der Gebrauch des Internetes verboten werden. Und moralisch noch relevanter: weil in einer demokratischen Wahl die Mehrheit der deutschen Wähler antidemokratische Parteien wählte, die KPD und die NSDAP erhielten 1933 zusammen mehr als 50 % der Stimmen, sodaß keine demokratische Regierung mehr möglich war und so Hitler Kanzler wurde mit all den bekannten Folgen, müßte da, um solch einen Mißbrauch des Wahlrechtes ein für alle mal zu verunmöglichen, das Wahlrecht nicht für immer abgeschafft werden? Wehrt dem Mißbrauch des Wahlrechtes!
Dies Argument kann dann noch unterfüttert werden mit der sozialwissenschaftlich belegten Trivialthese, daß die meisten freien Entscheidungen von Bürgern durch Außeneinflüsse manipuliert sind, durch Medien, Werbung, Vorurteilen und dem Gerede, was man denn so dazu meint. Eigentlich treffen Menschen in unserer Massenmedienwelt gar keine Entscheidung frei, sondern stets irgendwie manipuliert, sodaß das Recht auf eine freie Entscheidung der Staat getrost abschaffen könne, weil faktisch keine freie Entscheidung eine freie ist.
Und so tönt es: daß um der Möglichkeit des Mißbrauches einer Beihilfe zum Freitod willen auch der Gebrauch einer Beihilfe zum Freitod zu verbieten ist. Nun stellt uns dies Argument vor beachtliche Probleme. Wenn der Freitod rechtlich nicht gesehen keine strafbare Handlung ist, wie kann dann die Beihilfe zum Freitod strafbar sein? Davon strikt zu unterscheiden ist es, ob aus moralischer Sicht der Freitod erlaubbar ist. Unbestreitbar existieren in einer pluralistisch strukturierten Gesellschaft verschiedene Moralvorstellungen. Das Gesetz des Pluralismus besagt nun, daß jede einzelne Moral für sich das Recht hat, Anhänger zu gewinnen und andere Moralen als weniger gute zu kritisieren. Aber was moralisch so vertreten wird, ist nur die Privatmoral von Staatsbürgern. Für das rechtliche Handeln gilt allein das positive Recht des Staates. Wenn der Staat den Freitod nicht als eine strafbare Handlung definiert, dann ist diese Handlung erlaubt, auch wenn es in der Gesellschaft Moralen gibt, die diese Handlung als unmoralisch qualifizieren.
Wird nun gefragt: soll der Staat die Beihilfe zum Freitod erlauben, dann müßte gelten: weil der Freitod nicht unerlaubt ist, kann auch eine Beihilfe zum Freitod nicht unerlaubt sein. Um der Gefahr eines Mißbrauches zu wehren, muß der Mißbrauch straffbar sein, aber es darf nicht deshalb der Gebrauch verboten werden!
In der Regel ist es so, daß ein, um es politisch korrekt zu formulieren, Mobilitätsbeeinträchtiger seinen Tod freiwillig will, aber ob seiner Beeinträchtigung nicht ohne eine Beihilfe realisieren kann. Das Problem: daß hier ein Mensch eine Handlung tun will, die erlaubt ist, und die er, wenn er nicht mobilitätsbeeinträchtigt wäre auch realisieren könnte, die er nun aber nicht realisieren kann, weil ihm die ihm dazu notwendige Beihilfe verweigert wird, weil das Gesetz diese Beihilfe verböte. Das hieße, daß einem Behinderten, weil er behindert ist, die Realisierung seines Wollens faktisch verboten wird, weil ihm die zur Realisierung notwendige Hilfe dafür verboten wird.
Zur Veranschaulichung: wenn jemand, im Sterben liegend, ein tödliches Gift nimmt, weil er das Sterben abkürzen will und sich das Erleiden des Absterbens ersparen möchte, dann ist das eine strafrechtlich gesehen erlaubte Handlung.
Wenn er Zuhause ist und gelähmt ist, sodaß er nicht mehr selbstständig das Gift einnehmen kann und sein Ehepartner ihm dann das Gift etwa zum Trinken in einem Glas zum Munde führt, ist das eine erlaubte Handlung als Beihilfe zum Freitod, weil jetzt die eigentliche Tat, die der Einname der Erkrankte vollbringt und der Beihelfer die Tat nur assestiert, indem er das Gift ihm so darreicht, daß der Erkrankte es einnehmen kann. Anders wäre es, wenn der Erkrankte das Gift durch den „Beihelfer“ verabreicht bekommen würde, etwa indem er das Gift ihm per Spritze verabreichte: das wäre eine Tötung auf Verlangen und die ist strafbar. Bei der Beihilfe geht es also um den Fall, daß der Erkrankte die Tat wesentlich selbst vollzieht und der Helfer nur assistiert und nicht die Tat selbst vollbringt.
Wenn nun ein Arzt dem Erkrankten das Gift zur Einnahme reicht, sodaß der Erkrankte dann dies Mittel selbstständig einnimmt, wäre dies, weil es ein Arzt unternimmt-nach jetzigem Recht- eine strafbare Handlung, aber nur weil er als Arzt dies tut an einen seiner Patienten. Nur die besondere Arzt-Patient-Beziehung verbietet hier das, was einer Privatperson in diesem Falle erlaubt wäre. Dieser Sonderfall ist das Problem! Denn jetzt wird einem der Aufsicht eines Arztes unterworfenen Sterbenden faktisch verboten, was er tun dürfte, läge er sterbend Zuhaus. Problematisch ist nun aber auch, ob der Arzt eine Heimkehr des Sterbenden aus der Klinik, in der er seinen Dienst vollzieht, erlauben darf, wenn der Arzt berechtigt davon ausgehen muß, daß der Sterbende nur nach Hause will, um dort sich das Leben zu nehmen! Er wird es wohl-meines Wissens nach-strafrechtlich nicht dürfen, es sei denn er könnte glaubwürdig nachweisen, daß er von dieser Freitodabsicht des Erkrankten nichts wußte. Das hieße nun aber, daß der Sterbende, weil er unter der Aufsicht eines Arztes sich befindet, das nicht mehr tun darf und kann, was er nach dem Recht dürfte- weil ihn die praktizierte Aufsicht des Krankenhauses daran hindert.
Eigentlich ist dies Problem zu subsumieren unter der Frage: auf wie vieles eigentlich Erlaubte muß ein Behinderter verzichten, weil er zur Realisierung des eigentlich Erlaubten auf eine fremde Hilfe angewiesen ist und die ihm von den potentiellen Helfern verweigert wird. Zur Veranschaulichung: gesetz den Fall, es gäbe bei Bundestagswahlen nicht die Möglichkeit zur Briefwahl, sodaß jeder Wähler seine Stimme in einem Wahllokal abzugeben habe und die Wahllokale wären für Gehbehinderte nicht zugänglich und es fände sich niemand, der ihn ins Wahllokal hineinhelfen würde, wäre es dann für Gehbehinderte zumutbar, auf das Wahlrecht faktisch verzichten zu müssen, weil ihnen die dazu nötige Hilfe zum Erreichen des Wahllokales verwehrt wird?
Der Einwand, bei Wahlen ginge es um etwas ganz anderes als wenn es um den Freitod geht, übersieht, daß beide Handlungen, die des Wählens und die des Freitodwählens eines gemeinsam haben: beides sind nicht unerlaubte Handlungen in unserem Staate, und darum sind sie vergleichbar. Aber es ist undenkbar, daß Gehbehinderte ob ihrer Behinderung von der Wahl ausgeschlossen werden dürfen-nein, das, was notwendig ist an Beihilfe, damit sie wählen können, wird selbstverständlich unternommen, dagegen wird dem Mobilitätsbeeinträchtigten die Beihilfe durch einen Arzt verweigert, sodaß er ob seiner Behinderung das nicht realisieren kann, was er freiwillig will.

Nun hört man oft, daß der Arzt, statt eine Beihilfe zum Freitod zu gewähren, eine Schmerztherapie anzubieten habe mit der Verheißung, daß der Sterbende so schmerzfrei sterben werde. Dem wird niemand widersprechen. Das Problem ist nur: darf der Arzt gegen den Willen des Sterbenden ihm dieser Therapie unterziehen? Wenn der Sterbende freiwillig Ja sagt zur Schmerztherapie, dann ist es in Ordnung. Problematisch ist es aber, wenn der Sterbende gegen seinen Willen so therapiert wird, wenn also der Sterbende auf seinen Willen beharrt, lieber sterben zu wollen, als sich einer Schmerztherapie zu unterziehen! Nun könnte dies Problem einfach dadurch „gelöst“ werden, indem man den Sterbenden für „entmündigt“ erklärt und dann freier Hand ihn gegen seinen Willen therapiert. Aber ist es menschenwürdig, bloß weil ein Sterbender etwas will, was der Moral des Ärztestandes widerspricht, ihn zu entmündigen und ihn dann gegen seinen Willen zu behandeln. (Mich persönlich erinnert das an den Umgang mit Dissidenten in totalitären Staaten, die man einfach, weil sie „verkehrt“ dachten, für verrückt erklärte und in Irrenanstalten dann einsperrte, um sie da zu therapieren.)
Nun könnte man als Christ einwenden, daß der eigentliche Fehler darin läge, daß der Staat den Freitod nicht mehr als strafbare Handlung definiert. Denn dann wäre selbstverständlich auch jede Beihilfe zum Freitod unerlaubt und strafbar. Das ist richtig. Dann muß aber auch konsequenterweise wieder die Einführung der Strafbarkeit des Freitodes gefordert werden mit der Folge, daß „gescheiterte Selbstmörder“ dann mit einer Gefängnisstrafe zu rechnen haben zusätzlich zur Zwangstherapie: warum darf ich meinen Tod nicht freiwillig wollen! Ob das aber noch der Maxime eines humanen Strafvollzuges entspricht, dahinter wird man wohl ein Fragezeichen setzen müssen.

Nun könnte man noch hinzufügen, daß es eine besondere Aufsichtspflicht des Arztes seinen Patienten gegenüber gibt, die eine Beihilfe zum Freitod ausschlösse. Nur muß dann gefragt werden: darf der Arzt gegen den ausdrücklich geäußerten Willen des Erkrankten ihn so therapieren, wie der Arzt es möchte. Wenn der Erkrankte nun tatsächlich so durch seine Erkrankung beeinträchtigt ist, daß berechtigte Gründe dafür sprechen, daß er nicht mehr „Herr in seinem eigenen Hause“ ist, er also partiell nicht mehr zurechnungsfähig ist, dann wird es für den Arzt geboten sein, ihn gegen seinen geäußerten Willen zu behandeln. Aber nur das bloße Faktum, daß ein Sterbender seinen Tod will, kann noch nicht als hinreichender Grund dafür angesehen werden, daß hier etwas gewollt wird, was der Patient eigentlich nie wollen kann und daß so dieser Wille nicht zu berücksichtigen ist.


Unter Theologen erfreut sich die Meinung, daß jeder freiwillig gewollter Freitod gar kein freiwillig gewollter ist, größter Beliebtheit: denn damit kann das Problem, wie mit Selbstmördern kirchlich umzugehen ist, elegant gelöst werden. Denn nun ist der Selbstmörder nicht mehr ein für seine Tat voll Verantwortlicher und so kann er kirchlich beerdigt werden. Früher urteilte man: wer als Selbstmörder starb, starb im Stande der Todsünde und so könne er nicht kirchlich beerdigt werden. Ja, es war sogar fraglich, ob man für ihn beten dürfe, heißt es doch im 1. Johannesbrief: „ Wer sieht,daß ein Bruder eine Sünde begeht, die nicht zum Tode führt, soll (für ihn) bitten; und Gott wird ihm Leben geben, allen, deren Sünde nicht zum Tode führt. Von ihr spreche ich nicht, wenn ich sage, daß er bitten soll“ (5,16) Statt, wie es die frommen Makkabäer taten, als sie sahen, daß Soldaten von ihnen in der Schlacht gefallen waren, weil sie Götzenamulette trugen und sie ein Sühnopfer für diese Sünder darbrachten, verlegt man sich heuer darauf, zu bestreiten, daß der Todsünder, der Selbstmörder für seine Sünde voll verantwortlich ist! (Vgl 2.Makkabäer 12, 32-45) Das ist leider typisch für die nachkonziliare Theologie: statt daß anerkannt wird, daß jemand in Sünden starb und dann auf die Kraft des Meßopfers als Sühnopfer zu hoffen, wird die Verantwortlichkeit des Sünders für seine Tat wegdiskutiert. Und dazu benutzt man dann Vulgärpsychologie und Soziologie, um zu urteilen, daß Niemand wirklich freiwillig seinen Freitod gewollt habe und daß so jeder „Selbstmörder“ nicht voll verantwortlich für seine Tat ist. Mehr Vertrauen in die versöhnende Kraft des Mßopfers und weniger Vertrauen in die neuesten Erkenntnisse der Psychologie wäre da wohl angebrachter!                                

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