Um
der Möglickeit des Mißbrauches willen den Gebrauch verbieten?
In
der Debatte um die Erlaubbarkeit einer Beihilfe zum Freitod fällt
regelmäßig ein äußerst fragwürdiges Argument: um den Mißbrauch
zu verhindern, müsse auch der Gebrauch verboten werden. Das würde
auf das Internet bezogen heißen: weil das Internet die Möglichkeit
in sich hat, pornographische Bilder und Filme anzusehen, müsse zur
Verunmöglichung dieses Mißbrauches auch der Gebrauch des Internetes
verboten werden. Und moralisch noch relevanter: weil in einer
demokratischen Wahl die Mehrheit der deutschen Wähler
antidemokratische Parteien wählte, die KPD und die NSDAP erhielten
1933 zusammen mehr als 50 % der Stimmen, sodaß keine demokratische
Regierung mehr möglich war und so Hitler Kanzler wurde mit all den
bekannten Folgen, müßte da, um solch einen Mißbrauch des
Wahlrechtes ein für alle mal zu verunmöglichen, das Wahlrecht nicht
für immer abgeschafft werden? Wehrt dem Mißbrauch des Wahlrechtes!
Dies
Argument kann dann noch unterfüttert werden mit der
sozialwissenschaftlich belegten Trivialthese, daß die meisten freien
Entscheidungen von Bürgern durch Außeneinflüsse manipuliert sind,
durch Medien, Werbung, Vorurteilen und dem Gerede, was man denn so
dazu meint. Eigentlich treffen Menschen in unserer Massenmedienwelt
gar keine Entscheidung frei, sondern stets irgendwie manipuliert,
sodaß das Recht auf eine freie Entscheidung der Staat getrost
abschaffen könne, weil faktisch keine freie Entscheidung eine freie
ist.
Und
so tönt es: daß um der Möglichkeit des Mißbrauches einer Beihilfe
zum Freitod willen auch der Gebrauch einer Beihilfe zum Freitod zu
verbieten ist. Nun stellt uns dies Argument vor beachtliche Probleme.
Wenn der Freitod rechtlich nicht gesehen keine strafbare Handlung
ist, wie kann dann die Beihilfe zum Freitod strafbar sein? Davon
strikt zu unterscheiden ist es, ob aus moralischer Sicht der Freitod
erlaubbar ist. Unbestreitbar existieren in einer pluralistisch
strukturierten Gesellschaft verschiedene Moralvorstellungen. Das
Gesetz des Pluralismus besagt nun, daß jede einzelne Moral für sich
das Recht hat, Anhänger zu gewinnen und andere Moralen als weniger
gute zu kritisieren. Aber was moralisch so vertreten wird, ist nur
die Privatmoral von Staatsbürgern. Für das rechtliche Handeln gilt
allein das positive Recht des Staates. Wenn der Staat den Freitod
nicht als eine strafbare Handlung definiert, dann ist diese Handlung
erlaubt, auch wenn es in der Gesellschaft Moralen gibt, die diese
Handlung als unmoralisch qualifizieren.
Wird
nun gefragt: soll der Staat die Beihilfe zum Freitod erlauben, dann
müßte gelten: weil der Freitod nicht unerlaubt ist, kann auch eine
Beihilfe zum Freitod nicht unerlaubt sein. Um der Gefahr eines
Mißbrauches zu wehren, muß der Mißbrauch straffbar sein, aber es
darf nicht deshalb der Gebrauch verboten werden!
In
der Regel ist es so, daß ein, um es politisch korrekt zu
formulieren, Mobilitätsbeeinträchtiger seinen Tod freiwillig will,
aber ob seiner Beeinträchtigung nicht ohne eine Beihilfe realisieren
kann. Das Problem: daß hier ein Mensch eine Handlung tun will, die
erlaubt ist, und die er, wenn er nicht mobilitätsbeeinträchtigt
wäre auch realisieren könnte, die er nun aber nicht realisieren
kann, weil ihm die ihm dazu notwendige Beihilfe verweigert wird, weil
das Gesetz diese Beihilfe verböte. Das hieße, daß einem
Behinderten, weil er behindert ist, die Realisierung seines Wollens
faktisch verboten wird, weil ihm die zur Realisierung notwendige
Hilfe dafür verboten wird.
Zur
Veranschaulichung: wenn jemand, im Sterben liegend, ein tödliches
Gift nimmt, weil er das Sterben abkürzen will und sich das Erleiden
des Absterbens ersparen möchte, dann ist das eine strafrechtlich
gesehen erlaubte Handlung.
Wenn
er Zuhause ist und gelähmt ist, sodaß er nicht mehr selbstständig
das Gift einnehmen kann und sein Ehepartner ihm dann das Gift etwa
zum Trinken in einem Glas zum Munde führt, ist das eine erlaubte
Handlung als Beihilfe zum Freitod, weil jetzt die eigentliche Tat,
die der Einname der Erkrankte vollbringt und der Beihelfer die Tat
nur assestiert, indem er das Gift ihm so darreicht, daß der
Erkrankte es einnehmen kann. Anders wäre es, wenn der Erkrankte das
Gift durch den „Beihelfer“ verabreicht bekommen würde, etwa
indem er das Gift ihm per Spritze verabreichte: das wäre eine Tötung
auf Verlangen und die ist strafbar. Bei der Beihilfe geht es also um
den Fall, daß der Erkrankte die Tat wesentlich selbst vollzieht und
der Helfer nur assistiert und nicht die Tat selbst vollbringt.
Wenn
nun ein Arzt dem Erkrankten das Gift zur Einnahme reicht, sodaß der
Erkrankte dann dies Mittel selbstständig einnimmt, wäre dies, weil
es ein Arzt unternimmt-nach jetzigem Recht- eine strafbare Handlung,
aber nur weil er als Arzt dies tut an einen seiner Patienten. Nur die
besondere Arzt-Patient-Beziehung verbietet hier das, was einer
Privatperson in diesem Falle erlaubt wäre. Dieser Sonderfall ist das
Problem! Denn jetzt wird einem der Aufsicht eines Arztes
unterworfenen Sterbenden faktisch verboten, was er tun dürfte, läge
er sterbend Zuhaus. Problematisch ist nun aber auch, ob der Arzt eine
Heimkehr des Sterbenden aus der Klinik, in der er seinen Dienst
vollzieht, erlauben darf, wenn der Arzt berechtigt davon ausgehen
muß, daß der Sterbende nur nach Hause will, um dort sich das Leben
zu nehmen! Er wird es wohl-meines Wissens nach-strafrechtlich nicht
dürfen, es sei denn er könnte glaubwürdig nachweisen, daß er von
dieser Freitodabsicht des Erkrankten nichts wußte. Das hieße nun
aber, daß der Sterbende, weil er unter der Aufsicht eines Arztes
sich befindet, das nicht mehr tun darf und kann, was er nach dem
Recht dürfte- weil ihn die praktizierte Aufsicht des Krankenhauses
daran hindert.
Eigentlich
ist dies Problem zu subsumieren unter der Frage: auf wie vieles
eigentlich Erlaubte muß ein Behinderter verzichten, weil er zur
Realisierung des eigentlich Erlaubten auf eine fremde Hilfe
angewiesen ist und die ihm von den potentiellen Helfern verweigert
wird. Zur Veranschaulichung: gesetz den Fall, es gäbe bei
Bundestagswahlen nicht die Möglichkeit zur Briefwahl, sodaß jeder
Wähler seine Stimme in einem Wahllokal abzugeben habe und die
Wahllokale wären für Gehbehinderte nicht zugänglich und es fände
sich niemand, der ihn ins Wahllokal hineinhelfen würde, wäre es
dann für Gehbehinderte zumutbar, auf das Wahlrecht faktisch
verzichten zu müssen, weil ihnen die dazu nötige Hilfe zum
Erreichen des Wahllokales verwehrt wird?
Der
Einwand, bei Wahlen ginge es um etwas ganz anderes als wenn es um den
Freitod geht, übersieht, daß beide Handlungen, die des Wählens und
die des Freitodwählens eines gemeinsam haben: beides sind nicht
unerlaubte Handlungen in unserem Staate, und darum sind sie
vergleichbar. Aber es ist undenkbar, daß Gehbehinderte ob ihrer
Behinderung von der Wahl ausgeschlossen werden dürfen-nein, das, was
notwendig ist an Beihilfe, damit sie wählen können, wird
selbstverständlich unternommen, dagegen wird dem
Mobilitätsbeeinträchtigten die Beihilfe durch einen Arzt
verweigert, sodaß er ob seiner Behinderung das nicht realisieren
kann, was er freiwillig will.
Nun
hört man oft, daß der Arzt, statt eine Beihilfe zum Freitod zu
gewähren, eine Schmerztherapie anzubieten habe mit der Verheißung,
daß der Sterbende so schmerzfrei sterben werde. Dem wird niemand
widersprechen. Das Problem ist nur: darf der Arzt gegen den Willen
des Sterbenden ihm dieser Therapie unterziehen? Wenn der Sterbende
freiwillig Ja sagt zur Schmerztherapie, dann ist es in Ordnung.
Problematisch ist es aber, wenn der Sterbende gegen seinen Willen so
therapiert wird, wenn also der Sterbende auf seinen Willen beharrt,
lieber sterben zu wollen, als sich einer Schmerztherapie zu
unterziehen! Nun könnte dies Problem einfach dadurch „gelöst“
werden, indem man den Sterbenden für „entmündigt“ erklärt und
dann freier Hand ihn gegen seinen Willen therapiert. Aber ist es
menschenwürdig, bloß weil ein Sterbender etwas will, was der Moral
des Ärztestandes widerspricht, ihn zu entmündigen und ihn dann
gegen seinen Willen zu behandeln. (Mich persönlich erinnert das an
den Umgang mit Dissidenten in totalitären Staaten, die man einfach,
weil sie „verkehrt“ dachten, für verrückt erklärte und in
Irrenanstalten dann einsperrte, um sie da zu therapieren.)
Nun
könnte man als Christ einwenden, daß der eigentliche Fehler darin
läge, daß der Staat den Freitod nicht mehr als strafbare Handlung
definiert. Denn dann wäre selbstverständlich auch jede Beihilfe zum
Freitod unerlaubt und strafbar. Das ist richtig. Dann muß aber auch
konsequenterweise wieder die Einführung der Strafbarkeit des
Freitodes gefordert werden mit der Folge, daß „gescheiterte
Selbstmörder“ dann mit einer Gefängnisstrafe zu rechnen haben
zusätzlich zur Zwangstherapie: warum darf ich meinen Tod nicht
freiwillig wollen! Ob das aber noch der Maxime eines humanen
Strafvollzuges entspricht, dahinter wird man wohl ein Fragezeichen
setzen müssen.
Nun
könnte man noch hinzufügen, daß es eine besondere Aufsichtspflicht
des Arztes seinen Patienten gegenüber gibt, die eine Beihilfe zum
Freitod ausschlösse. Nur muß dann gefragt werden: darf der Arzt
gegen den ausdrücklich geäußerten Willen des Erkrankten ihn so
therapieren, wie der Arzt es möchte. Wenn der Erkrankte nun
tatsächlich so durch seine Erkrankung beeinträchtigt ist, daß
berechtigte Gründe dafür sprechen, daß er nicht mehr „Herr in
seinem eigenen Hause“ ist, er also partiell nicht mehr
zurechnungsfähig ist, dann wird es für den Arzt geboten sein, ihn
gegen seinen geäußerten Willen zu behandeln. Aber nur das bloße
Faktum, daß ein Sterbender seinen Tod will, kann noch nicht als
hinreichender Grund dafür angesehen werden, daß hier etwas gewollt
wird, was der Patient eigentlich nie wollen kann und daß so dieser
Wille nicht zu berücksichtigen ist.
Unter
Theologen erfreut sich die Meinung, daß jeder freiwillig gewollter
Freitod gar kein freiwillig gewollter ist, größter Beliebtheit:
denn damit kann das Problem, wie mit Selbstmördern kirchlich
umzugehen ist, elegant gelöst werden. Denn nun ist der Selbstmörder
nicht mehr ein für seine Tat voll Verantwortlicher und so kann er
kirchlich beerdigt werden. Früher urteilte man: wer als Selbstmörder
starb, starb im Stande der Todsünde und so könne er nicht kirchlich
beerdigt werden. Ja, es war sogar fraglich, ob man für ihn beten
dürfe, heißt es doch im 1. Johannesbrief: „ Wer sieht,daß ein
Bruder eine Sünde begeht, die nicht zum Tode führt, soll (für ihn)
bitten; und Gott wird ihm Leben geben, allen, deren Sünde nicht zum
Tode führt. Von ihr spreche ich nicht, wenn ich sage, daß er bitten
soll“ (5,16) Statt, wie es die frommen Makkabäer taten, als sie
sahen, daß Soldaten von ihnen in der Schlacht gefallen waren, weil
sie Götzenamulette trugen und sie ein Sühnopfer für diese Sünder
darbrachten, verlegt man sich heuer darauf, zu bestreiten, daß der
Todsünder, der Selbstmörder für seine Sünde voll verantwortlich
ist! (Vgl 2.Makkabäer 12, 32-45) Das ist leider typisch für die
nachkonziliare Theologie: statt daß anerkannt wird, daß jemand in
Sünden starb und dann auf die Kraft des Meßopfers als Sühnopfer zu
hoffen, wird die Verantwortlichkeit des Sünders für seine Tat
wegdiskutiert. Und dazu benutzt man dann Vulgärpsychologie und
Soziologie, um zu urteilen, daß Niemand wirklich freiwillig seinen
Freitod gewollt habe und daß so jeder „Selbstmörder“ nicht voll
verantwortlich für seine Tat ist. Mehr Vertrauen in die versöhnende
Kraft des Mßopfers und weniger Vertrauen in die neuesten
Erkenntnisse der Psychologie wäre da wohl angebrachter!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen