Montag, 20. Oktober 2014

Liebt Gott unbedingt?

Ein kurzer Einblick in eine mißratende Religionsunterrichtsstunde irgendwo an einem bayrischen Gymnasium. Oder eine Betrachtung über den Niedergang kirchlicher Morallehre.

Besser:

Liebt Gott unbedingt?
Anmerkungen über den Triumph des Indifferentismus

1.Ein Blick in eine Religionsunterrichtsstunde

Der Religionslehrer entfaltete auf hohem intellektuellen Niveau, die Schüler damit offensichtlich ansprechend, die These, daß Gott als unbedingte Liebe jeden Menschen, so wie er ist, bejahe. Dieses unbedingte Angenommensein durch Gott befähige nun selbst den sich so geliebt erfahrenden und wissenden Menschen zu einer Praxis gelebter Nächstenliebe. Das sei das Wesen christlicher Existenz. Ein blitzgescheites Madel respondierte aber: wenn Gott jeden unbedingt liebe, wäre es diesem Gott der Liebe ja gleichgültig, wie ich dann als Antwort auf seine Liebe lebe. Also ist Gott für meine ethische Lebenspraxis irrelevant, weil ihm meine Lebensweise gleichgültig ist: er liebt mich, egal wie ich lebe. Denn wenn Gott sagte: wenn du deinen Nächsten nicht liebst, dann höre ich auf, dich zu lieben, wäre das eine bedingte und nicht eine unbedingte Liebe! Gott liebe aber unbedingt, wie just der Lehrer es expliziert hatte. Und so bewiese dieser Gott, daß es überhaupt keine christliche Ethik geben könne, ja, daß Gott für unser praktisches Leben gerade ob seiner unbedingten Liebe gleichgültig sei.

2.Über denknotwendige Voraussetzungen jeder religiösen Praxis

Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt. Dieser die Schrecken einen atheistisch fundierten Nihilismus beschwörenden Aufruf ist uns allen wohl bekannt, aber die Einsicht, daß ein Gott unbedingter Liebe ebenso eine nihilistische Lebenspraxis aus sich heraussetzt, der ist, trotz Platons Politeia leider heutzutage in Vergessenheit geraten. Einst stellte Platon nämlich fest, daß die denknotwendigen Voraussetzungen jeder lebendigen Religion diese sind: daß Gott, bzw. die Götter sind, daß Gott sich kontingent zum kontingenten Verhalten der Menschen verhält und daß es nicht leicht sei, die Gunst Gottes zu erwerben.1 Diese Präsumption ist in sich evident.

Darum reicht eine kurze Erläuterung. Auch wenn es heuer zum guten Ton gehört, Glauben als ein bloßes Fürwahrhalten von Glaubenssätzen für einen defizitären Modus des wahrhaft personalen Gottvertrauensverhältnisses zu dysqualifizieren, unbestreitbar setzt jedes personale Vertrauen voraus, daß der, dem vertraut wird, auch existent ist. Religion verwandelte sich in Magie, könnte gesagt werden: immer dann, wenn Menschen das tun, dann wird Gott dieses tun, sodaß der Mensch durch solche magischen Praktiken zum Herrscher über Gott wird: Die Praktiken bezwängen Gott. Den Gegenpol bildet die Vorstellung eines vollkommen souveränen alles determinierenden Schicksalsgottes, der dem Menschen nur als Fatum entgegen tritt. Nebenbei: Luthers Lehre vom verborgenen Gott trägt in sich solch eine Verzeichnung zum Schicksalsgott.

Daß Gottes Gunst zu erlangen, für die Lebenspraxis nur ein relevantes Ziel ist, wenn das Ziel nicht leicht zu erreichen ist, mag auf den ersten Blick irritieren- aber jedes Nachdenken muß hier zustimmen. Wenn es eine Selbstverständlichkeit geworden ist, zu glauben, wenn es einen Gott gibt, so liebt er selbstredend jeden Menschen, dann wird die Liebe Gottes kein relevantes Motiv menschlichen Handelns mehr sein können, weil im Meer der nur mit Müh und Plag erreichbaren Ziele dann dem selbstverständlich leicht Erreichbaren kaum noch Aufmerksamkeit gezollt wird. Der oben skizzierte Religionsunterricht bestätigt diese platonische Einsicht.

3.Der Gott der unbedingten Liebe- der Gott des Nihilismus?

In der heutig gängigen Predigtpraxis der Geschichte vom verlorenen Sohn zeitigt diese Vorstellung von der unbedingten Liebe Gottes erstaunlich bedenkliche Folgen: Gottes Liebe wäre ja eine bedingte, wäre das Schuldbekenntnis, die Reue und die Bereitwilligkeit zur Selbsterniedrigung des verlorenen Sohnes, nun als Knecht beim Vater arbeiten zu wollen, die Voraussetzung dafür, daß der väterliche Gott seinen Sohn wieder in Gnaden aufnimmt.Ergo wird gepredigt, landauf, landab, daß ohne einen Reueakt hätte der Vater seinen Sohn in Liebe aufgenommen, denn er hat ihn nie aufgehört, ihn zu lieben. Genau genommen hatte der Sohn sich nur falsche Vorstellungen von Gott gemacht, wenn er erwartete, daß der Vater ihm zürne ob seiner Sünden! Somit wird von der Kanzel herab die Beichte, die Reue und jede Sühne als überflüssig gepredigt ist, denn der Vater habe nie aufgehört, seinen Sohn zu lieben .Der aufmerksame Hörer zieht so den Schluß: Beichte überflüssig, dieses Sakrament der Versöhnung ist nur etwas für Menschen, die unter einem falschen Gottesbild leiden. Der Gott als die unbedingte Liebe erkannt Habende braucht den Beichtstuhl nicht mehr. Und so sind die Beichtstühle leer gepredigt worden.
Aber es soll nun nicht vor den leer gepredigten Beichtstühlen stehen geblieben werden. Daß die Kirche in Deutschland zur Zeit einer ihrer schlimmsten moralischen Krisen durchleidet, ist nicht mehr wegdiskutierbar. Sicher wird der faktisch geschehene sexuelle Mißbrauch in der Kirche durch kirchenfeindliche Medien in maßlos übersteigerter Form genußvoll ausgeschlachtet, aber unbestreitbar ist: es haben sich Fälle sexuellen Mißbrauches in der Kirche ereignet. Und so sehr dieses auch immer individuelle Einzelfälle sind, so muß diese Krise doch auch generalisierend moraltheologisch reflektiert werden: was sind die generellen Voraussetzungen dafür, daß solches im Raume der Kirche sich ereignen kann? Und hier soll nun nur von den Voraussetzungen gesprochen werden, für die die Kirche selbst eigenverantwortlich ist, um nicht einfach in eine allgemeine Klagelitanei über den Sittenverfall im einstigen christlichen Abendlande einzustimmen, der nun leider auch nicht vor den Toren der Kirche halt macht. Diese Reduktion der Ursachenforschung hat dabei auch einen rein pragmatischen Grund: es soll sich auf das kapriziert werden, das durch die Kirche selbst gestaltbar ist, statt über das übermächtige Verhängnid der Sosomisierung Europas zu jammern.

Aber, warum so viel Sittenverfall in der Kirche? Einst las die Kirche in der Hl. Schrift: „Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist.Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt und ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.“ So steht es geschrieben im 1.Johannesbrief. Die Aussage: wer den Willen Gottes tut, der lebt ewiglich, macht das Erreichen des Zieles des ewigen Lebens abhängig von der Erfüllung der Kondition: nur wer den Willen des Vaters tut! Wer gemäß der Begierde des Fleisches lebt, der vergeht mit der Welt in den ewigen Tod. Nicht die Vorstellung einer bedingungslosen göttlichen Menschenliebe sondern Gott begriffen als bedingt Liebender bestimmtr so die Theologie des neuen Testamentes. Wenn man von Gottes allen Menschen geltender Liebe spricht, so ist damit der universale, keinen Menschen ausschließende Heilswille Gottes gemeint: Gott will, daß jeder Mensch ewig lebt und Gott hat durch seine Kirche den Heilsweg zum ewigen Leben offenbart, so daß gilt: jeder, der gemäß der Kirche lebt, erlangt das ewige Leben und wer nicht so lebt, erlangt es nicht. Es gilt aber nach kirchlicher Lehre nicht, daß Gottes allgemeine Menschenliebe, sein Wille, daß jeder das Heil erlangen soll, schon selbst der hinreichende Grund dafür ist, daß jeder das Heil erlangt.

Lebe nicht gemäß der fleischlichen Begierde, auf daß du ewig leben wirst und nicht untergehen wirst im ewigen Tod. Das war das unbestrittene Fundament der traditionellen Morallehre der Kirche. Das war das, was Platon meinte, wenn er die Vorstellung einer leicht erwerbbaren Gunst Gottes als moralzerstörerisch ablehnte.Und, wenn wir uns an die anfänglich skizzierte Religionsunterrichtsstunde zurück erinnern: die Verkündigung Gottes als unbedingte Liebe zerstört gerade dieses Fundament der christlichen Moral. Wenn Gott als bedingungslose Liebe nicht mehr als diskriminierend geglaubt wird, als Unterschiede machend und Menschen unterschiedlich bewertend und auch verurteilend, dann löst sich alles Moralische auf im grauen Einerlei des alles ist erlaubt. Jetzt kann der Christ im Einklang mit der gepredigten Moral unbeschwert sündigen, weil er nie in Gefahr gerät, aus der Liebe Gottes herausfallen zu können, weil er immer, auch im tiefsten Sündenpfuhl sich suhlend, ein von Gott Angenommener bleibt.

Und das ereignet sich am augenfälligsten in den sexuellen Mißbräuchen in den Kirche, nicht einfach, weil die Welt erfüllt ist von fleischlicher Begierde, sondern weil die Destruktion der katholischen Sexualmoral durch die Verkündigung des unbedingt liebenden Gottes selbst der Freibrief dafür ist, nun getrost fleischlich zu leben. Daß die Begierden des Fleisches gerade in sexuellen Mißbräuchen ihre Erfüllung findet,erstaunt nun keinen,der über den Zusammenhang von sexueller Perversion und Ur/Erbsünde einmal nachgedacht hat.

4.Die sich selbst nichtende reformatorische Rechtfertigungslehre

Eine Frage drängt sich nun auf: wie kam es gegen Schrift, Tradition und Lehramt zu diesem eigentümlichen Gottesbild der unbedingten Liebe Gottes, daß Gott jeden, so wie er ist, bejaht und daß das die hinreichende Bedingung für den Eintritt in das Reich Gottes ist, sofern der von Gott bedingungslos Geliebte sich nicht selbst vom Reich Gottes ausschließt, indem er, obwohl in der Liebe Gottes ewig lebend, einfach diese nicht annehmen will und so im Licht mit verschlossenen Augen in selbstverschuldeter Dunkelheit verharrt?

Eine Antwort kann hier nur abbreviaturhaft skizziert werden. Die Erfahrung des innerchristlichen Religionskrieges des 17. Jahrhundertes evozierte die Frage: wie kann und muß die christliche Religion umgeformt werden,damit Religionskontroversen nicht mehr einen legitimen Grund von Gewaltanwendung sein kann? Statt der radikalen Lösung der Nichtung der Religion in der atheistischen Weltanschauung um des innerweltlichen Friedens willen, wurde der Versuch der Domestikation der christlichen Religion unternommen mit der Zentralthese, daß Gott die faktisch bestehenden Differenzen in Lehrfragen innerhalb des Christentumes gleichgültig sind, und nur die Religion im Rahmen der natürlichen Gotteserkenntnis Gott selbst bedeutsam sei. Gott selbst sind so
Kirchenlehren und Religionsauffassungen gleichgültig, Hauptsache der Mensch lebe sittlich anständig. Das war der erste Triumph des Indifferentismus über die Lehre der Kirche, indem sie als Gott selbst gleichgültig entwertet worden ist. Ergo: was Gott gleichgültig ist, das kann dann selbstredend unter Gläubigen niemals ein Grund ernsthaften Streitens oder gar Gegeneinanderankämpfens sein! Damit ist die Vorstellung Gottes als unbedingte Liebe präfiguriert, aber immer noch steht dem Indifferentismus entgegen die Vorstellung, daß Gott den Menschen zu einem sittlichen Leben verpflichtet, so daß die Gunst Gottes auch verlierbar sei, wenn ein Mensch völlig unsittlich lebt.

Erst die Umformung der reformatorischen: Allein aus Gnade Rechtfertigungslehre im Protestantismus löste diesen letzten Widerpart gegen den ethischen Indifferentismus auf. Verkürzt formuliert: Die reformatorische Rechtfertigungslehre litt von Anfang an an einem inneren Widerspruch, der diese Lehre selbst destruieren mußte. Nicht die geschichtlich kontingente Erscheinung der Entwicklung dieses immanenten Widerspruches sondern die innere Logik des Zerfalles soll hier nun skizziert werden: Einerseits soll gelten, daß der Mensch allein aus Gnade gerechtfertigt wird und andererseits soll gelten, daß es objektive und subjektive Bedingungen dafür gibt, daß der Mensch allein aus Gnade gerechtfertigt werden kann: das objektive Heilswerk Christi und die subjektive Aneignung des Heilswerkes im und nur allein durch den Vertrauensglauben.

Zwischen dem Gnadenmonismus und der Vorstellung, daß es zu erfüllende Bedingungen gibt, damit der Mensch vor Gott gerechtfertigt wird, existiert ein Widerspruch, der im Laufe der Zeit verschiedene Lösungen aus sich heraus setzte: entweder, daß die Bedingungen aufgelöst wurden,indem sie selbst als allein durch Gott gewirkte und erfüllte zu stehen kamen oder indem nun doch der Glaube als Entscheidung des Menschen den Gnadenmonismus auflöste, wie schon bei Melanchthon.2 Die Vorstellung eines unbedingt liebenden Gottes ist so ein konsequenter Versuch der Auflösung der inneren Aporie der reformatorischen Rechtfertigungslehre, indem nun Gottes Liebe als einziger Grund der Rechtfertigung des Menschen zu stehen kommt und die einstigen Bedingungen keine Bedingungen mehr sind sondern nur noch Medien, in denen Gottes unbedingte Liebe im Kreuz Christi offenbar und im Glauben erkannt wird. Das Kreuz Christi zeigt uns nur Gottes unbedingte Liebe, die unabhängig vom Kreuz ist und die auch unabhängig vom Glauben an Gottes Liebe jedem gilt. Diese modernistisch umgeformte Rechtfertigungslehre, daß Gott als Liebesgott unbedingt jeden liebt, die ist nun nachkonziliar in die Verkündigungspraxis der Katholischen Kirche eingeflossen- eine der bitteren Früchte des Ökumenismus: dem alles ist gleich-gültig der Ökumene entspricht die Vorstellung des unbedingten Liebesgottes, dem alles gleich-gültig ist. Und das ist der letzte Grund des moralischen Indifferentismus: alles, was Spaß macht, ist erlaubt.

Uwe Lay, Diplomtheologe
1Platon, Gesetze X;885.

2Vgl: Hirsch, Emanuel, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, 1964, S.160ff.

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