Ein kurzer Einblick in eine mißratende
Religionsunterrichtsstunde irgendwo an einem bayrischen Gymnasium.
Oder eine Betrachtung über den Niedergang kirchlicher Morallehre.
Besser:
Liebt Gott unbedingt?
Anmerkungen über den
Triumph des Indifferentismus
1.Ein Blick in eine
Religionsunterrichtsstunde
Der Religionslehrer
entfaltete auf hohem intellektuellen Niveau, die Schüler damit
offensichtlich ansprechend, die These, daß Gott als unbedingte Liebe
jeden Menschen, so wie er ist, bejahe. Dieses unbedingte
Angenommensein durch Gott befähige nun selbst den sich so geliebt
erfahrenden und wissenden Menschen zu einer Praxis gelebter
Nächstenliebe. Das sei das Wesen christlicher Existenz. Ein
blitzgescheites Madel respondierte aber: wenn Gott jeden unbedingt
liebe, wäre es diesem Gott der Liebe ja gleichgültig, wie ich dann
als Antwort auf seine Liebe lebe. Also ist Gott für meine ethische
Lebenspraxis irrelevant, weil ihm meine Lebensweise gleichgültig
ist: er liebt mich, egal wie ich lebe. Denn wenn Gott sagte: wenn du
deinen Nächsten nicht liebst, dann höre ich auf, dich zu lieben,
wäre das eine bedingte und nicht eine unbedingte Liebe! Gott liebe
aber unbedingt, wie just der Lehrer es expliziert hatte. Und so
bewiese dieser Gott, daß es überhaupt keine christliche Ethik geben
könne, ja, daß Gott für unser praktisches Leben gerade ob seiner
unbedingten Liebe gleichgültig sei.
2.Über denknotwendige
Voraussetzungen jeder religiösen Praxis
Wenn es keinen Gott gibt,
dann ist alles erlaubt. Dieser die Schrecken einen atheistisch
fundierten Nihilismus beschwörenden Aufruf ist uns allen wohl
bekannt, aber die Einsicht, daß ein Gott unbedingter Liebe ebenso
eine nihilistische Lebenspraxis aus sich heraussetzt, der ist, trotz
Platons Politeia leider heutzutage in Vergessenheit geraten. Einst
stellte Platon nämlich fest, daß die denknotwendigen
Voraussetzungen jeder lebendigen Religion diese sind: daß Gott, bzw.
die Götter sind, daß Gott sich kontingent zum kontingenten
Verhalten der Menschen verhält und daß es nicht leicht sei, die
Gunst Gottes zu erwerben.1
Diese Präsumption ist in sich evident.
Darum reicht eine kurze
Erläuterung. Auch wenn es heuer zum guten Ton gehört, Glauben als
ein bloßes Fürwahrhalten von Glaubenssätzen für einen
defizitären Modus des wahrhaft personalen
Gottvertrauensverhältnisses zu dysqualifizieren, unbestreitbar
setzt jedes personale Vertrauen voraus, daß der, dem vertraut wird,
auch existent ist. Religion verwandelte sich in Magie, könnte gesagt
werden: immer dann, wenn Menschen das tun, dann wird Gott dieses tun,
sodaß der Mensch durch solche magischen Praktiken zum Herrscher über
Gott wird: Die Praktiken bezwängen Gott. Den Gegenpol bildet die
Vorstellung eines vollkommen souveränen alles determinierenden
Schicksalsgottes, der dem Menschen nur als Fatum entgegen tritt.
Nebenbei: Luthers Lehre vom verborgenen Gott trägt in sich solch
eine Verzeichnung zum Schicksalsgott.
Daß Gottes Gunst zu
erlangen, für die Lebenspraxis nur ein relevantes Ziel ist, wenn das
Ziel nicht leicht zu erreichen ist, mag auf den ersten Blick
irritieren- aber jedes Nachdenken muß hier zustimmen. Wenn es eine
Selbstverständlichkeit geworden ist, zu glauben, wenn es einen Gott
gibt, so liebt er selbstredend jeden Menschen, dann wird die Liebe
Gottes kein relevantes Motiv menschlichen Handelns mehr sein können,
weil im Meer der nur mit Müh und Plag erreichbaren Ziele dann dem
selbstverständlich leicht Erreichbaren kaum noch Aufmerksamkeit
gezollt wird. Der oben skizzierte Religionsunterricht bestätigt
diese platonische Einsicht.
3.Der Gott der
unbedingten Liebe- der Gott des Nihilismus?
In der heutig gängigen
Predigtpraxis der Geschichte vom verlorenen Sohn zeitigt diese
Vorstellung von der unbedingten Liebe Gottes erstaunlich bedenkliche
Folgen: Gottes Liebe wäre ja eine bedingte, wäre das
Schuldbekenntnis, die Reue und die Bereitwilligkeit zur
Selbsterniedrigung des verlorenen Sohnes, nun als Knecht beim Vater
arbeiten zu wollen, die Voraussetzung dafür, daß der väterliche
Gott seinen Sohn wieder in Gnaden aufnimmt.Ergo wird gepredigt,
landauf, landab, daß ohne einen Reueakt hätte der Vater seinen Sohn
in Liebe aufgenommen, denn er hat ihn nie aufgehört, ihn zu lieben.
Genau genommen hatte der Sohn sich nur falsche Vorstellungen von Gott
gemacht, wenn er erwartete, daß der Vater ihm zürne ob seiner
Sünden! Somit wird von der Kanzel herab die Beichte, die Reue und
jede Sühne als überflüssig gepredigt ist, denn der Vater habe nie
aufgehört, seinen Sohn zu lieben .Der aufmerksame Hörer zieht so
den Schluß: Beichte überflüssig, dieses Sakrament der Versöhnung
ist nur etwas für Menschen, die unter einem falschen Gottesbild
leiden. Der Gott als die unbedingte Liebe erkannt Habende braucht den
Beichtstuhl nicht mehr. Und so sind die Beichtstühle leer gepredigt
worden.
Aber es soll nun nicht
vor den leer gepredigten Beichtstühlen stehen geblieben werden. Daß
die Kirche in Deutschland zur Zeit einer ihrer schlimmsten
moralischen Krisen durchleidet, ist nicht mehr wegdiskutierbar.
Sicher wird der faktisch geschehene sexuelle Mißbrauch in der Kirche
durch kirchenfeindliche Medien in maßlos übersteigerter Form
genußvoll ausgeschlachtet, aber unbestreitbar ist: es haben sich
Fälle sexuellen Mißbrauches in der Kirche ereignet. Und so sehr
dieses auch immer individuelle Einzelfälle sind, so muß diese Krise
doch auch generalisierend moraltheologisch reflektiert werden: was
sind die generellen Voraussetzungen dafür, daß solches im Raume der
Kirche sich ereignen kann? Und hier soll nun nur von den
Voraussetzungen gesprochen werden, für die die Kirche selbst
eigenverantwortlich ist, um nicht einfach in eine allgemeine
Klagelitanei über den Sittenverfall im einstigen christlichen
Abendlande einzustimmen, der nun leider auch nicht vor den Toren der
Kirche halt macht. Diese Reduktion der Ursachenforschung hat dabei
auch einen rein pragmatischen Grund: es soll sich auf das kapriziert
werden, das durch die Kirche selbst gestaltbar ist, statt über das
übermächtige Verhängnid der Sosomisierung Europas zu jammern.
Aber, warum so viel
Sittenverfall in der Kirche? Einst las die Kirche in der Hl. Schrift:
„Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist.Wer die Welt liebt,
hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles, was in der Welt ist, die
Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit
dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt und
ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in
Ewigkeit.“ So steht es geschrieben im 1.Johannesbrief. Die Aussage:
wer den Willen Gottes tut, der lebt ewiglich, macht das Erreichen des
Zieles des ewigen Lebens abhängig von der Erfüllung der Kondition:
nur wer den Willen des Vaters tut! Wer gemäß der Begierde des
Fleisches lebt, der vergeht mit der Welt in den ewigen Tod. Nicht die
Vorstellung einer bedingungslosen göttlichen Menschenliebe sondern
Gott begriffen als bedingt Liebender bestimmtr so die Theologie des
neuen Testamentes. Wenn man von Gottes allen Menschen geltender Liebe
spricht, so ist damit der universale, keinen Menschen ausschließende
Heilswille Gottes gemeint: Gott will, daß jeder Mensch ewig lebt und
Gott hat durch seine Kirche den Heilsweg zum ewigen Leben offenbart,
so daß gilt: jeder, der gemäß der Kirche lebt, erlangt das ewige
Leben und wer nicht so lebt, erlangt es nicht. Es gilt aber nach
kirchlicher Lehre nicht, daß Gottes allgemeine Menschenliebe, sein
Wille, daß jeder das Heil erlangen soll, schon selbst der
hinreichende Grund dafür ist, daß jeder das Heil erlangt.
Lebe nicht gemäß der
fleischlichen Begierde, auf daß du ewig leben wirst und nicht
untergehen wirst im ewigen Tod. Das war das unbestrittene Fundament
der traditionellen Morallehre der Kirche. Das war das, was Platon
meinte, wenn er die Vorstellung einer leicht erwerbbaren Gunst Gottes
als moralzerstörerisch ablehnte.Und, wenn wir uns an die anfänglich
skizzierte Religionsunterrichtsstunde zurück erinnern: die
Verkündigung Gottes als unbedingte Liebe zerstört gerade dieses
Fundament der christlichen Moral. Wenn Gott als bedingungslose Liebe
nicht mehr als diskriminierend geglaubt wird, als Unterschiede
machend und Menschen unterschiedlich bewertend und auch verurteilend,
dann löst sich alles Moralische auf im grauen Einerlei des alles ist
erlaubt. Jetzt kann der Christ im Einklang mit der gepredigten Moral
unbeschwert sündigen, weil er nie in Gefahr gerät, aus der Liebe
Gottes herausfallen zu können, weil er immer, auch im tiefsten
Sündenpfuhl sich suhlend, ein von Gott Angenommener bleibt.
Und das ereignet sich am
augenfälligsten in den sexuellen Mißbräuchen in den Kirche, nicht
einfach, weil die Welt erfüllt ist von fleischlicher Begierde,
sondern weil die Destruktion der katholischen Sexualmoral durch die
Verkündigung des unbedingt liebenden Gottes selbst der Freibrief
dafür ist, nun getrost fleischlich zu leben. Daß die Begierden des
Fleisches gerade in sexuellen Mißbräuchen ihre Erfüllung
findet,erstaunt nun keinen,der über den Zusammenhang von sexueller
Perversion und Ur/Erbsünde einmal nachgedacht hat.
4.Die sich selbst
nichtende reformatorische Rechtfertigungslehre
Eine Frage drängt sich
nun auf: wie kam es gegen Schrift, Tradition und Lehramt zu diesem
eigentümlichen Gottesbild der unbedingten Liebe Gottes, daß Gott
jeden, so wie er ist, bejaht und daß das die hinreichende Bedingung
für den Eintritt in das Reich Gottes ist, sofern der von Gott
bedingungslos Geliebte sich nicht selbst vom Reich Gottes
ausschließt, indem er, obwohl in der Liebe Gottes ewig lebend,
einfach diese nicht annehmen will und so im Licht mit verschlossenen
Augen in selbstverschuldeter Dunkelheit verharrt?
Eine Antwort kann hier
nur abbreviaturhaft skizziert werden. Die Erfahrung des
innerchristlichen Religionskrieges des 17. Jahrhundertes evozierte
die Frage: wie kann und muß die christliche Religion umgeformt
werden,damit Religionskontroversen nicht mehr einen legitimen Grund
von Gewaltanwendung sein kann? Statt der radikalen Lösung der
Nichtung der Religion in der atheistischen Weltanschauung um des
innerweltlichen Friedens willen, wurde der Versuch der Domestikation
der christlichen Religion unternommen mit der Zentralthese, daß Gott
die faktisch bestehenden Differenzen in Lehrfragen innerhalb des
Christentumes gleichgültig sind, und nur die Religion im Rahmen der
natürlichen Gotteserkenntnis Gott selbst bedeutsam sei. Gott selbst
sind so
Kirchenlehren und
Religionsauffassungen gleichgültig, Hauptsache der Mensch lebe
sittlich anständig. Das war der erste Triumph des Indifferentismus
über die Lehre der Kirche, indem sie als Gott selbst gleichgültig
entwertet worden ist. Ergo: was Gott gleichgültig ist, das kann dann
selbstredend unter Gläubigen niemals ein Grund ernsthaften Streitens
oder gar Gegeneinanderankämpfens sein! Damit ist die Vorstellung
Gottes als unbedingte Liebe präfiguriert, aber immer noch steht dem
Indifferentismus entgegen die Vorstellung, daß Gott den Menschen zu
einem sittlichen Leben verpflichtet, so daß die Gunst Gottes auch
verlierbar sei, wenn ein Mensch völlig unsittlich lebt.
Erst die Umformung der
reformatorischen: Allein aus Gnade Rechtfertigungslehre im
Protestantismus löste diesen letzten Widerpart gegen den ethischen
Indifferentismus auf. Verkürzt formuliert: Die reformatorische
Rechtfertigungslehre litt von Anfang an an einem inneren Widerspruch,
der diese Lehre selbst destruieren mußte. Nicht die geschichtlich
kontingente Erscheinung der Entwicklung dieses immanenten
Widerspruches sondern die innere Logik des Zerfalles soll hier nun
skizziert werden: Einerseits soll gelten, daß der Mensch allein aus
Gnade gerechtfertigt wird und andererseits soll gelten, daß es
objektive und subjektive Bedingungen dafür gibt, daß der Mensch
allein aus Gnade gerechtfertigt werden kann: das objektive Heilswerk
Christi und die subjektive Aneignung des Heilswerkes im und nur
allein durch den Vertrauensglauben.
Zwischen dem
Gnadenmonismus und der Vorstellung, daß es zu erfüllende
Bedingungen gibt, damit der Mensch vor Gott gerechtfertigt wird,
existiert ein Widerspruch, der im Laufe der Zeit verschiedene
Lösungen aus sich heraus setzte: entweder, daß die Bedingungen
aufgelöst wurden,indem sie selbst als allein durch Gott gewirkte und
erfüllte zu stehen kamen oder indem nun doch der Glaube als
Entscheidung des Menschen den Gnadenmonismus auflöste, wie schon bei
Melanchthon.2
Die Vorstellung eines unbedingt liebenden Gottes ist so ein
konsequenter Versuch der Auflösung der inneren Aporie der
reformatorischen Rechtfertigungslehre, indem nun Gottes Liebe als
einziger Grund der Rechtfertigung des Menschen zu stehen kommt und
die einstigen Bedingungen keine Bedingungen mehr sind sondern nur
noch Medien, in denen Gottes unbedingte Liebe im Kreuz Christi
offenbar und im Glauben erkannt wird. Das Kreuz Christi zeigt uns nur
Gottes unbedingte Liebe, die unabhängig vom Kreuz ist und die auch
unabhängig vom Glauben an Gottes Liebe jedem gilt. Diese
modernistisch umgeformte Rechtfertigungslehre, daß Gott als
Liebesgott unbedingt jeden liebt, die ist nun nachkonziliar in die
Verkündigungspraxis der Katholischen Kirche eingeflossen- eine der
bitteren Früchte des Ökumenismus: dem alles ist gleich-gültig der
Ökumene entspricht die Vorstellung des unbedingten Liebesgottes, dem
alles gleich-gültig ist. Und das ist der letzte Grund des
moralischen Indifferentismus: alles, was Spaß macht, ist erlaubt.
Uwe Lay, Diplomtheologe
1Platon,
Gesetze X;885.
2Vgl:
Hirsch, Emanuel, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, 1964, S.160ff.
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