Mittwoch, 29. Oktober 2014

Gottes Vollkommenheit und das Gebet

Gottes Vollkommenheit und das Gebet

Eine unkonventionelle Betrachtung zur Vollkommenheit Gottes
oder ist Gott so vollkommen, daß Gott um etwas zu bitten, ein sinnwidriger Akt ist?

Zur Vollkommenheit Gottes

Ob ein Wesen ist, das als Gott zu bezeichnen ist, das ist umstritten, aber Theisten und Atheisten wie auch Agnostiker stimmen in der Vorstellung, was man sich unter Gott vorzustellen habe, überein:
Gott meint das Vollkommene. A. Kreiner hat nun in seinem fundamentaltheologisch orientierten Buch: Das Antlitz Gottes1 zu bestimmen versucht, was der Theist wie der Atheist unter Gott versteht, wie ein der Vernunft verpflichtendes Denken den Begriff Gott expliziert und ob es vernünftige Gründe gibt, von diesem so gedachten Gott zu prädizieren, daß er existiert. Wesentliches Kriterium des Denkens Gottes ist es nun nach Kreiner, ob Gott widerspruchsfrei gedacht werden kann.

Denn etwas, was nicht widerspruchsfrei gedacht werden kann, von dem kann nicht prädiziert werden, daß es sein kann, weil etwas nicht Mögliches nicht wirklich sein kann. Die Kritik an der Allmacht Gottes ist bekannt2: Wenn Gott allmächtig ist, kann er dann einen Stein schaffen, der so schwer ist, daß Gott ihn nicht heben kann? Könnte er diesen Stein nicht schaffen, wäre er nicht allmächtig, weil er etwas nicht könnte. Könnte er solch einen Stein schaffen, wäre Gott nicht allmächtig, weil es nun etwas gäbe, was Gott nicht könnte, nämlich diesen Stein zu heben. Daraus wird konsekutiert, daß der Begriff der Allmacht ein nicht widerspruchsfrei zu denkender Begriff sei, so daß es kein Wesen geben könne, von dem Allmächtigkeit zu prädizieren sei.

Kreiner erwidert diese feinsinnige Argumentation mit der These, daß Gott auch als Allmacht nicht als Hervorbringer von Zuständen in Anspruch genommen werden kann, die als unmöglich, weil sich
selbst widersprechend nicht beschreibbar sind. Gott kann nicht einen rechteckigen Kreis schaffen und auch nicht die Unmöglichkeit eines nicht von einem allmächtigen hebbaren Steines, denn dieser
Stein ist so unmöglich wie ein rechteckiger Kreis. Im Hintergrund steht die in sich einsichtige These, daß nur etwas, was möglich ist, auch wirklich sein kann und die erhellbaren Bedingungen des Möglichen sind so auch die Limitierungen von wirklichem Sein. Kreiner sagt deshalb: „Für jeden widerspruchsfrei beschreibbaren Zustand Z gilt, dass Gott die Macht hat, Z zu aktualisieren.“3

Zwei Fragen sollen nun andiskutiert werden:
a) ist Gottes Vollkommenheit widerspruchsfrei zu denken, so daß Vollkommenheit als existierend gedacht werden kann und
b) kann die Praxis des Bittgebetes widerspruchsfrei gedacht werden unter der Prämisse, daß Gott als Vollkommenheit zu denken ist.

In der Lehre von der göttlichen Vollkommenheit ist zwischen zwei Konzeptionen zu distinguieren.Es ist zwischen der ontologischen und der moralischen Vollkommenheit Gottes zu unterscheiden.Der Kerngedanke der ontologischen Vollkommenheit besagt, daß Gott als Sein ohne Mangel zu denken sei. Moralische Vollkommenheit setzt den freien Willen als Vermögen voraus, gut oder böse kontingent wollen zu können, so daß das Gute Wollen dem Subjekt als moralisch relevante Entscheidung zugesprochen werden kann. Ein moralisch vollkommenes Wesen wäre so eines, das immer das moralisch Gute will. Wenn Gott als das zu denken ist, über das nichts Vollkommeneres zu denken ist, dann muß Gott die ontologische wie die moralische Vollkommenheit zugeschrieben werden.Kreiner fragt nun „ob die Handlungen einer allmächtigen und allwissenden Person moralisch qualifizierbar sind.“ 4Allmacht und Allwissenheit sind dabei Elemente der ontologischen Vollkommenheit Gottes, die die Möglichkeit einer moralisch qualifizierbaren Tat des ontologische vollkommen gedachten Gottes in Frage zu stellen scheinen.

„Der Grund hierfür hängt damit zusammen, dass die ontologische Vollkommenheit an Wissen und Macht eine unabdingbare Voraussetzung moralischer Qualifizierbarkeit unterminiert. Ein an Wissen und Macht vollkommener Gott könnte aufgrund seiner Natur nämlich in jeder Situation immer nurdas Beste tun. Definitionsgemäß weiß er, was das jeweils Beste wäre. Außerdem besitzt er die uneingeschränkte Macht, das Beste auch zu verwirklichen. Ein ontologisch vollkommenes Wesen scheint somit niemals die Möglichkeit zu haben, auch anders handeln zu können. Bestünde aber niemals die Möglichkeit, dass Gott auch anders handelt, dann wäre keine seiner Handlungen frei.“ 5
Wenn die Handlung aber nicht frei gesetzt ist, sondern notwendig sich aus der vollkommenen Natur
Gottes ergäbe, dann kann das nicht als eine moralisch qualifizierbare Tat verstanden werden.„Es wäre also moralisch überhaupt nicht qualifizierbar.“6 Die Freiwilligkeit des Gewollten ist die notwendige Bedingung seiner moralischen Bewertbarkeit. Und unter Freiwilligkeit ist hier immoraltheologischen Sinne zu verstehen, kontingent das Gute oder das Nichtgute wählen zu können.

Wenn Gott aber die moralische Vollkommenheit so abgesprochen werden müßte ob seiner ontologischen Vollkommenheit, stünde Gott selbst als ein defizitär gedachtes Wesen da, denn es fehlte ihm nicht nur die moralische Vollkommenheit, er wäre moralisch überhaupt nichtqualifizierbar. Und so wäre ein Wesen denkbar, das vollkommener als Gott wäre, nämlich jedes,von dem ein moralisch relevantes Verhalten aussagbar wäre. Zudem stellte sich die Frage, ob Gott noch widerspruchsfrei als das Vollkommene zu denken wäre,wenn Gott als ontologische Volkommenheit gedacht es verunmöglichen würde, Gott als moralisch qualifizierbares Wesen zu denken.

Die klassische Lösung

Die klassische Lösung soll abbreviaturhaft anhand von L.Otts Standarddogmatik nachgezeichnet werden. Es ist schwer, ein zweites Werk zu finden, indem so klar und so präzise der Glaube der Katholischen Kirche expliziert wird, wie im Grundriß der Dogmatik von Ludwig Ott. Darum soll dieser Dogmatik nun das Wort gegeben werden. Die ontologische Vollkommenheit Gottes wird in den Paragraphen 11 bis 27 der Gotteslehre expliziert.7 Dabei werden bestimmte potentielle Prädikate Gott abgesprochen, weil sie der Vollkommenheit Gottes widersprechen würden. „Von der göttlichen Freiheit ist jede heschöpfliche Unvollkommenheit fernzuhalten. Sie darf darum nicht als libertas contrarietatis aufgefaßt werden, d.h. Als Freiheit, zwischen gut und Böse zu wählen; denn die Möglichkeit, das Böse zu wollen, ist zwar ein Zeichen der Freiheit, aber nicht das Wesen der Freiheit, bedeutet vielmehr Unvollkommenheit.“8
Damit ist ausgesagt, daß die göttliche Freiheit nur darin bestünde, immer nur das Gute wollen zu können, denn das Nichtgute wollen zu können, wäre ein Mangel an Gutsein und soetwas ist nicht inGott. In moralischer Hinsicht hat dieses aber zur Konsequenz, daß Gott, weil er notwendig immer nur das Gute wollen kann, im strengen Sinne des Wortes kein moralisches Handeln zuschreibbar ist.
Wenn nun auf den analogen Sprachgbrauch verwiesen werden sollte, daß Gottes Moralität eben eine andere sei als die kreatürliche, so daß nur von der menschlichen gelten würde, daß ihm eine Tat als moralisch wertvoll zusprechbar sei, wenn er sie freiwillig gesetzt hätte und das hieße, daß er auch das Böse hätte vollziehen können, daß aber Gott auch dann moralisch wirke, wenn er nicht anders als gutwollend handeln könne, so muß respondiert werden,daß hier der Begriff des Moralischen äquivok benutzt würde. Er wäre so sinnlos9Die klassische Dogmatik will, um der Vollkommenheit Gottes willen, das Unvollkommene von Gott ausschließen und das heißt im moralischen Raume, das Nichtgute, vernichtet dabei aber unfreiwillig auch Gottes Vermögen zum Guten, denn das Vermögen zum Guten ist moralphilosophisch gesehen notwendigerweise auf die Möglichkeit, nicht das Gute wollen zu können, angewiesen. Nur wer das Nichtgute kann, der kann das Gute im moralischen Sinne.

Dieses zu bestreiten,hieße den Begriff der Moral in der Gotteslehre äquivok zur menschlichen Moralität zu verwenden und ihn so jedes Aussagegehaltes zu entleeren. Wenn es in Otts Dogmatik heißt: „Die Allmacht Gottes besagt, daß er alles bewirken kann, was er wollen kann, d.i. Alles Wirkliche und Mögliche“10, dann soll damit ausgeschlossen werden, daß Gottes Allmacht das Nichtgute wollen kann, aber damit wird auch die Möglichkeit Gottes genichtet, das Gute im moralischen Sinne zu wollen. Besonders deutlich wird dieses an dieser Aussage:„Die Sündelosigkeit Gottes ist darum nicht bloß ein tatsächliches Freisein von der Sünde (impeccantia), sondern eine innere (metaphysische) Unmöglichkeit zu sündigen (Unsündlichkeit, impeccabilitas).“11 Von einem Wesen, das nicht sündigen kann, kann selbstredend auch nicht eine Sündlosigkeit prädiziert werden. Schweigen kann nur, wer sprechen kann.

En passant seien die Folgen dieser Theorie für die Christologie angedeutet: Von Jesus Christus als dem Sohne Gottes nach seiner göttlichen Natur wäre nicht mehr aussagbar, daß er dem Vater gehorsam gewesen wäre, denn die denknotwendige Präsumption für die Aussage des Gehorsames ist das kontingente Vermögen zum Ungehorsam. Würde jetzt die Möglichkeit zum Ungehorsam als ein Mangel in der göttlichen Vollkommenheit qualifiziert, müßte vom Gottessohn ausgesagt werden, daß er ob seiner Natur nicht anders konnte als zu gehorchen und das würde den Begriff des Gehorsames vernichten, so daß nicht mehr vom Gehorsam des Sohnes gesprochen werden könnteund das hieße, daß die Vorstellung der Verdienste Christi nach seiner göttlichen Natur zum sinnlosen Begriff würde. Christus könnte nur nach seiner menschlichen Natur verdienstliche Werke
wirken. Diekamp bestimmt als eine der Bedingungen für ein verdienstliches Werk: „Das verdienstliche Werk muß frei sein,d.h. Es darf weder äußerem Zwange noch innerlicher Nötigung unterliegen:“12 Kann das vom Werke Christi nach seiner göttlichen Natur ausgesagt werden, wenn es doch gelten würde, daß er ob seiner vollkommenen göttlichen Natur gar nicht anders könnte als zu gehorchen?

Diekamp muß dann auch einräumen, daß ob des Unvermögens Christi zum Sündigen der Eindruck entstehen könne, daß er zu keiner sittlichen Tat fähig gewesen wäre. „Es könnte nun scheinen, daß die Unmöglichkeit zu sündigen die sittliche Freiheit Christi beeinträchtigt und seine Fähigkeit, durch sein Leiden und Sterben uns das Heil zu verdienen , aufgehoben habe.“13 „Viele Theologen sind in der Tat der Meinung, der Gottmensch habe einem eigentlichen Gebote des Vaters gegenüber die zu verdienstlichem Handeln nötige Freiheit nicht besessen.“14 Damit wäre aber das gesamte Erlösungswerk Christi in Frage gestellt! Die Behauptung, „er leistete Gehorsam, den er nicht versagen konnte, und litt und starb dennoch mit völlig freiem Willen“15 kann nicht überzeugen, denn wenn unter dem Nichtversagenkönnen nicht eine moralische sondern physische Unmöglichkeit verstanden wird, es ist ihm ob seiner Natur nicht möglich, wider den Willen Gottes zu handeln, dann fehlt diesem naturbedingten Gehorsame jede sittliche Qualität. Christus gehorchte nicht, er hätte nur funktioniert wie eine göttliche Maschine ohne eigenen freien Willen. Ott behauptet, daß Christus wenn er auch nicht gegen das Gebot des Vaters handeln konnte, „ so hat eres doch nicht gezwungen, sondern mit freier Willenszustimmung erfüllt.“16 Nur kann nicht von einer freien Willenszustimmung gesprochen werden, wenn die göttliche Natur ihn dazu determiniert hat, zuzustimmen, da er ob dieser Natur gar nicht anders sich entscheiden konnte. Kreiner stellt zu recht fest, daß von einer freien Willensentscheidung nur zu sprechen ist, „wenn der Handelnde selbst die Ursache seiner Entscheidung ist und nicht seine Charakterdisposition, seine Natur oder seine Umwelt.“17 Dieser Exkurs über die Folgen der These der ontologischen Vollkommenheit zeigen, daß die Infrsagestellung des moralischen Handelnkönnens Gottes für die gesamte Soteriologie die verhängnisvollsten Folgen zeitigt (Jesus Christus ist die Verdienstursache der Rechtfertigung!18 ) und darum ernsthaft diskutiert werden muß.

Kann Gottes ontologische Vollkommenheit in Einklang mit seiner moralischen Volkommenheit gedacht werden? Kann von Gott, damit er im moralischen Sinne das Gute wollend gedacht werdenkann, prädiziert werden, daß er auch das Nichtgute wollen könnte, ohne daß dieses seine ontologische Vollkommenheit einschränkt. Oder muß auf den Begriff der moralischen Vollkommenheit in der Gotteslehre verzichtet werden, weil eine Moralität, die nicht freiwillig realisiert wird, nicht als Moralität qualifizierbar ist. Kreiner muß zugestimmt werden, wenn er urteilt: „Sittlich signifikante Willensfreiheit setzt nicht notwendig voraus, daß das Böse tatsächlich
gewählt wird, wohl aber die Möglichkeit, das Böse wählen zu können. Ohne diese Möglichkeit liegt kein sittlich relevanter Freiheitsspielraum vor.“19 Wenn Musil in seinem Opus: „Der Mann ohne Eigenschaften“ tiefsinnig feststellt: „Schließlich besteht ja das Ding nur durch seine Grenzen und damit durch einen gewissermaßen feindseligen Akt gegen seine Umwelt“20 dann bedeutet diese Einsicht auf das Gebiet der Moral übertragen, daß das Gute nur durch sein Gegenteil, das Nichtgute
ist, wie jedes nur durch seine bestimmte Verneinung als etwas Bestimmtes ist.
Der vollkommene Gott und das Gebet

Bevor diese Frage erörtert werden soll, soll nun ein Blick in eine eigentümliche Problematik des Gebetslebens getätigt werden.

Die provokannte These lautet, daß es der Vollkommenheit Gottes widerspricht, wenn ein Gläubiger Gott um etwas bittet. Der Beweis lautet:
A) Gott will immer das Vollkommene.
B) Wenn der Gläubige Gott um etwas bittet, dann ist das, worum er bittet, entweder selbst das
Vollkommene oder etwas davon Verschiedenes.
C)Gott wirkt immer das Vollkommene, unabhängig davon, um was der Gläubige bittet.
D)Gott kann ob seiner Vollkommenheit kein Gebet erhören, wenn darunter verstanden wird, daß Gott etwas will, das er nicht gewollt hätte, wenn er nicht darum gebeten worden wäre. Gott
kann keine Gebete erhören ob seiner Vollkommenheit, denn jede Änderung von Gottes Wollen
wäre eine Verminderung des Vollkommenen, das er nur wollen kann.

(Nebenbei sei angemerkt, daß dem Verfasser wirklich Theologen begegnet sind, die ihm mit diesem Argument begründet haben, warum sie keine Bittgebete mehr sprechen würden! ) Statt das Bittgebet so als unsachgemäßes Verhalten dem vollkommenen Gott gegenüber aufzugeben, präsentieren modernistische Theologen eine völlige Entkernung des Bittgebetes, so daß nur noch die äußerliche Fassade stehen bleibt. Exemplarisch sei dies an H. Schallers Lexikonartikel „Gebet“
veranschaulicht21 Das Gebet wird als „zweckfreies Tun“22 bezeichnet. „Der erlöste, voraussetzungslos geliebte Mensch kann das Geschenk seines Daseins betend bejahen und darf so, auch ohne rechtfertigende Tat, vor seinem Gott bestehen.“23 Daß Gott den Mensch voraussetzungslos liebt kommt hier als Folge der Vollkommenheit der göttlichen Liebe zu stehen.Daß der Mensch betet, kann dann an der Beziehung Gottes zum Betenden nichts ändern, denn die Qualität der Beziehung Gottes zum Menschen ist volkommen unabhängig von dem, wie der Mensch sich zu Gott verhält. Deshalb ist das Gebet zweckfrei. Unter Zweck wird dabei verstanden, daß der Betende die Hoffnung hegt, daß sich durch sein Beten das Verhalten Gottes zu ihm ändert,daß ihm von Gott etwas gewährt wird, was ihm nicht gewährt werden würde, betete er nicht. Das wäre ein zweckorientiertes Beten. Das Bittgebet ist so auch nach Schaller ein zweckfreies Tun!
Nicht bittet der Beter in dem Vertrauen, daß Gott ihm ob des Gebetes etwas gewährte, was er ihm nicht gewähren würde, betete er nicht. Bei Schaller heißt das so: „Diese dem Gebet vorangehende Zugeneigtheit Gottes zum Menschen offenbart sich als sein Wille, uns an seinem Wirken teilnehmen zu lassen. Der Mensch ist eingeladen, frei- aktiv wie passiv- auf den Heilsplan Gottes einzugehen und sich auf ihn abzustimmen. Der Ort, wo dies erfahren wird und mit der ganzen Existenz vollzogen werden kann, ist das Bittgebet.“24 Nicht tritt durch das Gebet eine Willensveränderung in Gott ein, er ist so vollkommene Liebe, daß er sich nicht ändern kann,sondern im und durch das Bittgebet verändert sich ausschließlich der betende Mensch. Das Bittgebet wirkt nur auf den veränderlichen Menschen und es kann auch nur auf ihn wirken, weil nur er die Potenzder Veränderlichkeit besitzt. Konsequent wird dann die Absage an das Verständnis des Bittgebetes, daß Gott um etwas gebeten wird, formuliert: „So verstanden braucht Gott weder zum Geben motiviert noch in Bewegung gesetzt zu werden. Es ist unnütz, irgendein Eingreifen Gottes (welch deeistischer Ausdruck!) in dieser Welt zu erwarten; so als ob für den Menschen zusätzliche Hilfe nötig und für die Welt nachträgliche Korrekturen am Platze wären.“25 Weil Gott als vollkommene Liebe immer schon allem Beten des Menschen zuvorkommend in der Welt ist, den Menschen zugewandt, kann diese Proexistenz Gottes gar nicht zum Wohle des Menschen durch ein Bittgebet verändert werden. Einfacher gesagt: Gott verhält sich immer schon vollkommen gut zum Menschen, so daß jede Bitte nicht nur überflüssig sondern auch, wenn sie erhört werden würde, nurzum Nachteil des Menschen. Gott würde sein optimales Verhalten, veranlaßt durch ein Gebet nur zum weniger optimalen verändern können, wenn er denn überhaupt sein Verhalten verändern kann.
Gott ist so vollkommen, daß er nicht eingreifen kann und so kann er auch keine Bittgebete erhören,wird unter der Erhörung verstanden, daß Gott dem Beter etwas gewährt, was er ihm nicht gewährt hätte, wenn der Mensch nicht gebetet hätte. „Das bittende Gebet- „Dein Reich komme!“- ist das Wagnis, in dem der Mensch sich Gottes Nähe öffnet und sie durch sein Leben wirken läßt:“26
Durch das Gebet kann nur der Betende durch sein Gebet verändert werden. Das Beten wird zu einer
rein immanenten psychologisch aufhellbarern Tat, die in Hinsicht auf Gott völlig sinnlos ist. So ist
der Adressat des Bittgebetes faktisch, wider den äußeren Schein, der Beter selbst, der darauf hofft, daß er sich durch sein Beten verändert. Der Zusammenhang zwischen der Vorstellung der göttlichen Vollkommenheit verstanden als Unvermögen zu einer Willensänderung und der These, daß deshalb nur der Mensch als veränderbarer durch das Gebet verändert werden kann, ist offensichtlich. Selbstredend darf dabei die Veränderung des Menschen durch das Gebet nicht auf Gottes Wirken zurückgeführt werden, denn dann hätte das Gebet ja ein kontingentes Einwirken Gottes veranlaßt,aber genau dies wird von Schaller ja vehement abgelehnt: Gott kann nicht in seine vollkommenen Schöpfung eingreifen, auch nicht, um Menschen zu öffnen für seine Botschaft. Der Gott, so vorgestellt, stirbt an seiner Vollkommenheit. Wie kann Gott als vollkommen und doch auch als Gebete erhören könnender Gott gedacht werden? .


Ein Lösungsversuch

Kann Gottes ontologische Vollkommenheit so gedacht werden, daß sie nicht notwendigerweise, wenn auch ungewollt, die moralische nichtet und so Gott als unvollkommen weil bar jeder Moralität denkt und kann dann noch das, was überall und zu allen Zeiten Gläubige taten und tun, Gott um etwas zu bitten als sinnvolle katholische Praxis begriffen werden, wenn und obgleich Gott vollkommen ist?

Der Verfasser möchte diese Frage beantworten mit der These, daß der Grund dieses Problemkomplexes in einer sehr fragwürdig- problematischen Verhältnisbestimmung zwischen dem göttlichen Erkenntnisvermögens und der Bestimmung des freien Willens sich gründet.Wenn Gottes Erkenntnisvermögen immer das Wissen des Guten inkludiert, dessen was das Beste ist in Betug auf jede denkbare Situation, dann darf nicht gefolgert werden, daß der göttliche Wille als freier durch das Erkannte determiniert wird. Die Freiheit des Willens besteht darin, das vom Erkenntnisakt als das Gute Erkannte frei erwählen oder auch nicht erwählen zu können. Würde das vom Erkennen Erkannte den Willen bestimmen, so daß der Wille, wenn das Erkennen etwas als gut erkannt hat, dann nur noch das als gut Erkannte wollen könnte, dann wäre er kein freier Wille.Ontologisch geurteilt ist der freie Wille Gottes nur dann als freier Wille vollkommen gedacht, wenn er auch das Nichtgute wählen kann, denn wäre diese Wahlfreiheit dem Willen nicht zu eigen,würde er durch das als gut Erkannte determiniert und wäre so kein freier Wille. Einen freien Willen nicht zu haben, wäre aber ein Defizit in Gott. Gott könnte ohne einen freien Willen keine moralisch relevanten Handlungen setzen und das wäre seine moralische Unvollkommenheit. Dies wäre aber auch eine ontologische, weil ein unfreier Wille, ein durch das Erkannte determinierter, weniger wäre als ein freier.

Anselm von Canterbury vertritt in seinem Werk: „Über die Freiheit des Willens“ eine entgegengesetzte Position. Die Meinung des Schülers, die Willensfreiheit bestünde in dem Vermögen, zu sündigen oder nicht zu sündigen, widerlegt Anselm durch die These, daß von Gott prädziert wird, daß er nicht sündigen könne und daß er einen freien Willen habe. Da unter dem Begriff des freien Willens bei Gott und dem Menschen nicht etwas völlig Verschiedenes gemeint sein dürfe, könne der freie Wille nicht im Vermögen, das Gute zu tun oder nicht zu tun, bestehen.Gottes Wille wäre als freier zu begreifen, auch wenn er nur gut wollen könne. Anselm fragt: „Welcher Wille (voluntas) erscheint dir freier: einer, der so nicht sündigen will und kann, daß er auf keine Weise von der Rechtheit, nicht zu sündigen, abgebracht zu werden vermag, oder einer,der auf irgendeine Weise zum Sündigen bewogen werden kann?“27 Dieses Argument vermag nicht zu überzeugen, denn der Komparativ „freier“ ergibt nur in handlungstheoretischem Sinne von Freiheit einen Sinn, (wie frei bin ich, das Gewollte zu verwirklichen) und nicht im Bereich der Willensfreiheit, denn hier gilt, daß entweder der Wille sich frei bestimmt oder nicht.Zudem wird der moralische Begriff des Guten technisch mißverstanden. Eine Maschine, die immer nur gut funktioniert und nicht störanfällig ist,ist besser als eine störanfällige aber für ein moralisch veantwortliches Handlungssubjekt gilt, daß ihm etwas nur als gutes Wollen zuschreibbar ist, wenn es dieses Wollen kontingent selbstständig hervorgebracht hat und das hat es nur, wenn es auch die Potenz in sich hat, nicht gut zu wollen. Ein Subjekt, das nur gut wollen könnte im moralischen, nicht in einem technisch- funktionalen Sinne, könnte gar nicht im moralischen Sinne gut wollen.

Wenn Gott als freier Wille gedacht wird, heißt das, das er vollkommen gut ist, weil und nur weil er kraft des freien Willens moralisch gut immer das Gute frei will.

Kreiner diskutiert selbst diese Lösungsmöglichkeit. „Ein radikaler Lösungsvorschlag für dieses Problem besagt, dass Gott nur kontingenterweise moralisch vollkommen ist, was bedeuten würde,dass es im weitesten Sinn durchaus logisch möglich wäre, dass Gott unmoralisch handelt bzw. sündigt. Die Verehrungswürdigkeit Gottes beruht dann nicht darauf, dass er so handelt, wie er aufgrund seiner Natur handeln muss, sondern darauf, dass er gut handelt, obwohl es grundsätzlich in seiner Macht stünde, auch anders zu handeln.“28 Kreiner kritisiert diese Lösung mit der These,daß es der ontologischen Vollkommenheit Gottes widerspräche, daß Gott, das Gute wissend und erkennend und es vermögend, es doch nicht wolle, denn das Nichtwollen des Guten wäre die denknotwendige Voraussetzung der These, daß Gott auch das Nichtgute wollen könnte. Eindeutigversteht Kreiner hier den Willen als durch das Erkannte determinierbar. Wenn das Gute erkannt ist, könne der freie Wille nicht mehr etwas anderes wollen als das als das Gute. Damit ist aber der freie Wille negiert, denn er kommt hier als ein durch das Objekt des Erkennens determinierter zu stehen. Wenn aber das Gute den freien Willen zum guten Wollen determiniert, so daß der Wille gar nicht anders kann als gut zu wollen, wäre er ein ge- und bezwungener Wille, der so nicht mehr als ein freier begriffen werden kann. Und ohne freien Willen kann es keine Moralität geben. Aber keinen freien Willen zu haben, wäre auch ein ontologischer Mangel an Gott.

Wird diese These auf die katholische Gebetspraxis des Bittgebetes appliziert, ist das Problem der ontologischen und der moralischen Vollkommenheit in Hinsicht auf das Vermögen Gottes, Bittgebete zu erhören, gelöst. Weil der Wille Gottes als ontologisch vollkommener frei ist, kann er Gebete erhören, denn er handelt nicht notwendig gütig, Gott ist nicht durch seine Natur determiniert sondern er kann kontingent handeln und so Gebetsanliegen in die Maximen seines Handelns aufnehmen. Nur der nichtdeterminierte göttliche Wille ist so frei, daß er das Bitten der Gläubigen aufnehmen kann. Wenn Gott aber durch seine Natur als determiniert gedacht wird, dann und nur dann kann er nicht mehr gedacht werden als ein Gott, der Gebete erhören kann.

Es soll hier auf keinen Fall die antikatholische Position der Entgegensetzung des Gottes der Philosophen und des Gottes der Bibel das Wort geredet werden, als verböte der philosophisch gedachte Gott die Möglichkeit der Gebetserhörung, so daß nun Zuflucht zum Gotte der Bibel gesucht werden müsse um der katholischen Gebetspraxis willen, sondern es soll zum Abschluß die These aufgestellt werden, daß ein inadäquates Verständnis der Freiheit des Willens erst das Problem der Nichterhörbarkeit von Gebeten und des Nichtmoraltät Gottes hervorruft, indem der freie Wille als durch das als gut Erkannte determiniert gedacht wird und so die Freiheit des göttlichen Willens genichtet wird. Erst der so unfrei gedachte göttliche Wille kann keine Gebete Gläubiger mehr erhören und kann selbst nicht mehr sittlich relevant handeln.

Eine Abschlußbetrachtung:

Täglich wird in der hl.Messe gebetet, Herr erbarme dich! Wenn Gott als vollkommen zu denken ist im klassischen Sinn und sein Verhalten zu Anderem durch seine vollkommene Natur bestimmt ist,kann Gott dann anders als sich erbarmend verhalten? Entweder ist das Sicherbarmen das der göttlichen Natur gemäße Verhalten zu Anderem, dann kann nicht mehr gedacht werden, daß er sich anders als erbarmend verhält oder aber es wäre kein seiner vollkommenen Natur gemäßes Verhalten, dann könnte er sich nicht erbarmend zu Anderem verhalten. Oder es müßte präsumiert werden, daß das Sicherbarmen oder das Sichnichterbarmen indifferent zur göttlichen Vollkommenheit verhielte. Die Präsumption widerspricht aber offenkundig dem Verständnis von göttlicher Vollkommenheit. Selbstredend betet nur der: Herr, erbarme dich, der a) glaubt, daß Gott sich erbarmen kann und daß er auch das Erbarmen verweigern kann und der b) glaubt, daß von Gott vorstellbar ist, daß er sich nicht in einer bestimmten Angelegenheit erbarmen würde, wenn er nichtgläubig um sein Erbarmen gebeten worden wäre. Das ist der Kern des Glaubens an einen persönlichen Gott. Diese liturgische Praxis muß nun selbst auch die Norm für die dogmatische Refexion der Gotteslehre bilden. Es kann nicht eine Lehre der Vollkommenheit Gottes als wahre Gotteslehre gelten, die diese katholische Gebetspraxis als sinnwidrige Praxis bestimmen würde.Wenn Gott aber durch seine vollkommene Natur als determiniert zu betrachten wäre, würde die gesamte Gebetspraxis als problematisch abergläubisch zu stehen kommen. In Anlehnung an Kreiner kann das Problem so erfaßt werden: Wie kann ein ontologisch vollkommenes Wesen ein menschliches Gebet erhören, „wenn es doch immer das Beste tun muss und daher nicht frei sein kann.“29
Der hier vorgeschlagene Lösungsansatz lautet, daß der freie Wille verstanden werden muß als nicht durch das Erkennen determiniert. Nur so ist er als freier Wille gedacht und dann kann von ihm ausgesagt werden, daß er, indem er das als gut Erkannte frei erwählt, einen sittlich relevanten Akt gesetzt hätte. Bestünde die Vollkommenheit des freien Willens aber gerade darin, daß wenn etwas als gut erkannt worden ist, nichts anderes als dieses Gute erwählen zu können, dann würde dieser
Determinismus die sittliche Qualität der Wahl des Guten nichten und den freien Willen selbst auch nichten. Wenn aber von Gott zu prädizieren wäre, daß er nicht freier Wille ist, dann wäre Gott nicht als Vollkommenheit gedacht! Und es könnte die katholische Gebetspraxis des Bittgebetes nicht mehr als ein sinnvolles Handeln begriffen werden.





1Kreiner, A., Das wahre Antlitz Gottes 2006
2Vgl: Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes S.309-311.
3Kreiner, A., Das wahre Antlitz Gottes S.310.
4Kreiner, A. Das wahre Antlitz Gottes 2006 S.440.
5Kreiner, A., Das wahre Antlitz Gottes S.440.
6Kreiner,A. Das wahre Antlitz Gottes S.440.
7Vgl: Ott, L. Dogmatik 11.Auflage 2005 S.62- 90.
8Ott, L.,Dogmatik S.84.
9Vgl: Kreiner, A., Das wahre Antlitz Gottes S.75- 109.
10Ott, L. Dogmstik S.85.
11Ott, L- Dogmatik S.89.
12Diekamp, F. Dogmatik Bd II 11/12 Auflage 1959 S.577.
13Diekamp, F. Dogmatik Bd II S.277.
14Diekamp, F. Dogmatik Bd II S.277.
15Diekamp, F. Dogmatik Bd II S. 278.
16Ott,L., Dogmatik S. 252. Die von Ott aufgestellte Behauptung, das Konzil zu Konstantinopel habe 553 die Lehre verurteilt, daß Christus erst nach seiner Auferstehung unsündlich war, weil er dieses von Anfang an gewesen sei,
stimmt leider in diesem sonst so zuverlässigem Buch nicht mit der angegebenen Quelle DH 434 überein.
17Kreiner, A. Gott im Leid S.217.
18Vgl: DH 1528.
19Kreiner, A., Gott im Leid 2005 S.257.
20Musil;R. Der Mann ohne Eigenschaften 1.Buch, 7.Kapitel.
21Vgl: Schaller, H. Gebet, in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe Bd 2 1984 S.26- 34.
22a.a.O. S. 32.
23a.a.O. S.32.
24a.a.O. S.33.
25a.a.O. S.33.
26a.a.O. S.33.
27Anselm von Canterbury, Vier Traktate Wahrheit und Freiheit Christliche Meister Bd 15 1982 S.71.
28Kreiner, A., Das wahre Antlitz Gottes S.442.

29Kreiner, A. Das wahre Antlitz Gottes S.443.

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