Gottes Vollkommenheit und das Gebet
Eine unkonventionelle Betrachtung zur
Vollkommenheit Gottes
oder ist Gott so
vollkommen, daß Gott um etwas zu bitten, ein sinnwidriger Akt ist?
Zur Vollkommenheit Gottes
Ob ein Wesen ist, das als
Gott zu bezeichnen ist, das ist umstritten, aber Theisten und
Atheisten wie auch Agnostiker stimmen in der Vorstellung, was man
sich unter Gott vorzustellen habe, überein:
Gott meint das
Vollkommene. A. Kreiner hat nun in seinem fundamentaltheologisch
orientierten Buch: Das Antlitz Gottes1
zu bestimmen versucht, was der Theist wie der Atheist unter Gott
versteht, wie ein der Vernunft verpflichtendes Denken den Begriff
Gott expliziert und ob es vernünftige Gründe gibt, von diesem so
gedachten Gott zu prädizieren, daß er existiert. Wesentliches
Kriterium des Denkens Gottes ist es nun nach Kreiner, ob Gott
widerspruchsfrei gedacht werden kann.
Denn etwas, was nicht
widerspruchsfrei gedacht werden kann, von dem kann nicht prädiziert
werden, daß es sein kann, weil etwas nicht Mögliches nicht wirklich
sein kann. Die Kritik an der Allmacht Gottes ist bekannt2:
Wenn Gott allmächtig ist, kann er dann einen Stein schaffen, der so
schwer ist, daß Gott ihn nicht heben kann? Könnte er diesen Stein
nicht schaffen, wäre er nicht allmächtig, weil er etwas nicht
könnte. Könnte er solch einen Stein schaffen, wäre Gott nicht
allmächtig, weil es nun etwas gäbe, was Gott nicht könnte, nämlich
diesen Stein zu heben. Daraus wird konsekutiert, daß der Begriff der
Allmacht ein nicht widerspruchsfrei zu denkender Begriff sei, so daß
es kein Wesen geben könne, von dem Allmächtigkeit zu prädizieren
sei.
Kreiner erwidert diese
feinsinnige Argumentation mit der These, daß Gott auch als Allmacht
nicht als Hervorbringer von Zuständen in Anspruch genommen werden
kann, die als unmöglich, weil sich
selbst widersprechend
nicht beschreibbar sind. Gott kann nicht einen rechteckigen Kreis
schaffen und auch nicht die Unmöglichkeit eines nicht von einem
allmächtigen hebbaren Steines, denn dieser
Stein ist so unmöglich
wie ein rechteckiger Kreis. Im Hintergrund steht die in sich
einsichtige These, daß nur etwas, was möglich ist, auch wirklich
sein kann und die erhellbaren Bedingungen des Möglichen sind so auch
die Limitierungen von wirklichem Sein. Kreiner sagt deshalb: „Für
jeden widerspruchsfrei beschreibbaren
Zustand Z gilt, dass Gott die Macht hat, Z zu aktualisieren.“3
Zwei Fragen sollen nun andiskutiert
werden:
a) ist Gottes Vollkommenheit
widerspruchsfrei zu denken, so daß Vollkommenheit als existierend
gedacht werden kann und
b) kann die Praxis des Bittgebetes
widerspruchsfrei gedacht werden unter der Prämisse, daß Gott als
Vollkommenheit zu denken ist.
In der Lehre von der
göttlichen Vollkommenheit ist zwischen zwei Konzeptionen zu
distinguieren.Es ist zwischen der ontologischen und der moralischen
Vollkommenheit Gottes zu unterscheiden.Der Kerngedanke der
ontologischen Vollkommenheit besagt, daß Gott als Sein ohne Mangel
zu denken sei. Moralische Vollkommenheit setzt den freien Willen als
Vermögen voraus, gut oder böse kontingent wollen zu können, so daß
das Gute Wollen dem Subjekt als moralisch relevante Entscheidung
zugesprochen werden kann. Ein moralisch vollkommenes Wesen wäre so
eines, das immer das moralisch Gute will. Wenn Gott als das zu denken
ist, über das nichts Vollkommeneres zu denken ist, dann muß Gott
die ontologische wie die moralische Vollkommenheit zugeschrieben
werden.Kreiner fragt nun „ob die Handlungen einer allmächtigen und
allwissenden Person moralisch qualifizierbar sind.“ 4Allmacht
und Allwissenheit sind dabei Elemente der ontologischen
Vollkommenheit Gottes, die die Möglichkeit einer moralisch
qualifizierbaren Tat des ontologische vollkommen gedachten Gottes in
Frage zu stellen scheinen.
„Der Grund hierfür
hängt damit zusammen, dass die ontologische Vollkommenheit an Wissen
und Macht eine unabdingbare Voraussetzung moralischer
Qualifizierbarkeit unterminiert. Ein an Wissen und Macht vollkommener
Gott könnte aufgrund seiner Natur nämlich in jeder Situation immer
nurdas Beste tun. Definitionsgemäß weiß er, was das jeweils Beste
wäre. Außerdem besitzt er die uneingeschränkte Macht, das Beste
auch zu verwirklichen. Ein ontologisch vollkommenes Wesen scheint
somit niemals die Möglichkeit zu haben, auch anders handeln zu
können. Bestünde aber niemals die Möglichkeit, dass Gott auch
anders handelt, dann wäre keine seiner Handlungen frei.“ 5
Wenn die Handlung aber nicht frei
gesetzt ist, sondern notwendig sich aus der vollkommenen Natur
Gottes ergäbe, dann kann
das nicht als eine moralisch qualifizierbare Tat verstanden
werden.„Es wäre also moralisch überhaupt nicht qualifizierbar.“6
Die Freiwilligkeit des Gewollten ist die notwendige Bedingung seiner
moralischen Bewertbarkeit. Und unter Freiwilligkeit ist hier
immoraltheologischen Sinne zu verstehen, kontingent das Gute oder das
Nichtgute wählen zu können.
Wenn Gott aber die
moralische Vollkommenheit so abgesprochen werden müßte ob seiner
ontologischen Vollkommenheit, stünde Gott selbst als ein defizitär
gedachtes Wesen da, denn es fehlte ihm nicht nur die moralische
Vollkommenheit, er wäre moralisch überhaupt nichtqualifizierbar.
Und so wäre ein Wesen denkbar, das vollkommener als Gott wäre,
nämlich jedes,von dem ein moralisch relevantes Verhalten aussagbar
wäre. Zudem stellte sich die Frage, ob Gott noch widerspruchsfrei
als das Vollkommene zu denken wäre,wenn Gott als ontologische
Volkommenheit gedacht es verunmöglichen würde, Gott als moralisch
qualifizierbares Wesen zu denken.
Die klassische Lösung
Die klassische Lösung
soll abbreviaturhaft anhand von L.Otts Standarddogmatik
nachgezeichnet werden. Es ist schwer, ein zweites Werk zu finden,
indem so klar und so präzise der Glaube der Katholischen Kirche
expliziert wird, wie im Grundriß der Dogmatik von Ludwig Ott. Darum
soll dieser Dogmatik nun das Wort gegeben werden. Die ontologische
Vollkommenheit Gottes wird in den Paragraphen 11 bis 27 der
Gotteslehre expliziert.7
Dabei werden bestimmte potentielle Prädikate Gott abgesprochen, weil
sie der Vollkommenheit Gottes widersprechen würden. „Von der
göttlichen Freiheit ist jede heschöpfliche Unvollkommenheit
fernzuhalten. Sie darf darum nicht als libertas contrarietatis
aufgefaßt werden, d.h. Als Freiheit, zwischen gut und Böse zu
wählen; denn die Möglichkeit, das Böse zu wollen, ist zwar ein
Zeichen der Freiheit, aber nicht das Wesen der Freiheit, bedeutet
vielmehr Unvollkommenheit.“8
Damit
ist ausgesagt, daß die göttliche Freiheit nur darin bestünde,
immer nur das Gute wollen zu können, denn das Nichtgute wollen zu
können, wäre ein Mangel an Gutsein und soetwas ist nicht inGott. In
moralischer Hinsicht hat dieses aber zur Konsequenz, daß Gott, weil
er notwendig immer nur das Gute wollen kann, im strengen Sinne des
Wortes kein moralisches Handeln zuschreibbar ist.
Wenn
nun auf den analogen Sprachgbrauch verwiesen werden sollte, daß
Gottes Moralität eben eine andere sei als die kreatürliche, so daß
nur von der menschlichen gelten würde, daß ihm eine Tat als
moralisch wertvoll zusprechbar sei, wenn er sie freiwillig gesetzt
hätte und das hieße, daß er auch das Böse hätte vollziehen
können, daß aber Gott auch dann moralisch wirke, wenn er nicht
anders als gutwollend handeln könne, so muß respondiert werden,daß
hier der Begriff des Moralischen äquivok benutzt würde. Er wäre so
sinnlos9Die
klassische Dogmatik will, um der Vollkommenheit Gottes willen, das
Unvollkommene von Gott ausschließen und das heißt im moralischen
Raume, das Nichtgute, vernichtet dabei aber unfreiwillig auch Gottes
Vermögen zum Guten, denn das Vermögen zum Guten ist
moralphilosophisch gesehen notwendigerweise auf die Möglichkeit,
nicht das Gute wollen zu können, angewiesen. Nur wer das Nichtgute
kann, der kann das Gute im moralischen Sinne.
Dieses
zu bestreiten,hieße den Begriff der Moral in der Gotteslehre äquivok
zur menschlichen Moralität zu verwenden und ihn so jedes
Aussagegehaltes zu entleeren. Wenn es in Otts Dogmatik heißt: „Die
Allmacht Gottes besagt, daß er alles bewirken kann, was er wollen
kann, d.i. Alles Wirkliche und Mögliche“10,
dann soll damit ausgeschlossen werden, daß Gottes Allmacht das
Nichtgute wollen kann, aber damit wird auch die Möglichkeit Gottes
genichtet, das Gute im moralischen Sinne zu wollen. Besonders
deutlich wird dieses an dieser Aussage:„Die Sündelosigkeit Gottes
ist darum nicht bloß ein tatsächliches Freisein von der Sünde
(impeccantia), sondern eine innere (metaphysische) Unmöglichkeit zu
sündigen (Unsündlichkeit, impeccabilitas).“11
Von einem Wesen, das nicht sündigen kann, kann selbstredend auch
nicht eine Sündlosigkeit prädiziert werden. Schweigen kann nur, wer
sprechen kann.
En
passant seien die Folgen dieser Theorie für die Christologie
angedeutet: Von Jesus Christus als dem Sohne Gottes nach seiner
göttlichen Natur wäre nicht mehr aussagbar, daß er dem Vater
gehorsam gewesen wäre, denn die denknotwendige Präsumption für die
Aussage des Gehorsames ist das kontingente Vermögen zum Ungehorsam.
Würde jetzt die Möglichkeit zum Ungehorsam als ein Mangel in der
göttlichen Vollkommenheit qualifiziert, müßte vom Gottessohn
ausgesagt werden, daß er ob seiner Natur nicht anders konnte als zu
gehorchen und das würde den Begriff des Gehorsames vernichten, so
daß nicht mehr vom Gehorsam des Sohnes gesprochen werden könnteund
das hieße, daß die Vorstellung der Verdienste Christi nach seiner
göttlichen Natur zum sinnlosen Begriff würde. Christus könnte nur
nach seiner menschlichen Natur verdienstliche Werke
wirken.
Diekamp bestimmt als eine der Bedingungen für ein verdienstliches
Werk: „Das verdienstliche Werk muß frei sein,d.h. Es darf weder
äußerem Zwange noch innerlicher Nötigung unterliegen:“12
Kann das vom Werke Christi nach seiner göttlichen Natur ausgesagt
werden, wenn es doch gelten würde, daß er ob seiner vollkommenen
göttlichen Natur gar nicht anders könnte als zu gehorchen?
Diekamp
muß dann auch einräumen, daß ob des Unvermögens Christi zum
Sündigen der Eindruck entstehen könne, daß er zu keiner sittlichen
Tat fähig gewesen wäre. „Es könnte nun scheinen, daß die
Unmöglichkeit zu sündigen die sittliche Freiheit
Christi beeinträchtigt und seine Fähigkeit, durch sein Leiden und
Sterben uns das Heil zu verdienen
, aufgehoben habe.“13
„Viele Theologen sind in der Tat der Meinung, der Gottmensch habe
einem eigentlichen Gebote des Vaters gegenüber die zu
verdienstlichem Handeln nötige Freiheit nicht
besessen.“14
Damit wäre aber das gesamte Erlösungswerk Christi in Frage
gestellt! Die Behauptung, „er leistete Gehorsam, den er nicht
versagen konnte, und litt und starb dennoch mit völlig
freiem Willen“15
kann nicht überzeugen, denn
wenn unter dem Nichtversagenkönnen nicht eine moralische sondern
physische Unmöglichkeit verstanden wird, es ist ihm ob seiner Natur
nicht möglich, wider den Willen Gottes zu handeln, dann fehlt diesem
naturbedingten Gehorsame jede sittliche Qualität. Christus gehorchte
nicht, er hätte nur funktioniert wie eine göttliche Maschine ohne
eigenen freien Willen. Ott behauptet, daß Christus wenn er auch
nicht gegen das Gebot des Vaters handeln konnte, „ so hat eres doch
nicht gezwungen, sondern mit freier Willenszustimmung erfüllt.“16
Nur kann nicht von einer freien Willenszustimmung gesprochen werden,
wenn die göttliche Natur ihn dazu determiniert hat, zuzustimmen, da
er ob dieser Natur gar nicht anders sich entscheiden konnte. Kreiner
stellt zu recht fest, daß von einer freien Willensentscheidung nur
zu sprechen ist, „wenn der Handelnde selbst die Ursache seiner
Entscheidung ist und nicht seine Charakterdisposition, seine Natur
oder seine Umwelt.“17
Dieser Exkurs über die Folgen der These der ontologischen
Vollkommenheit zeigen, daß die Infrsagestellung des moralischen
Handelnkönnens Gottes für die gesamte Soteriologie die
verhängnisvollsten Folgen zeitigt (Jesus Christus ist die
Verdienstursache der Rechtfertigung!18
) und darum ernsthaft diskutiert werden muß.
Kann
Gottes ontologische Vollkommenheit in Einklang mit seiner moralischen
Volkommenheit gedacht werden? Kann von Gott, damit er im moralischen
Sinne das Gute wollend gedacht werdenkann, prädiziert werden, daß
er auch das Nichtgute wollen könnte, ohne daß dieses seine
ontologische Vollkommenheit einschränkt. Oder muß auf den Begriff
der moralischen Vollkommenheit in der Gotteslehre verzichtet werden,
weil eine Moralität, die nicht freiwillig realisiert wird, nicht als
Moralität qualifizierbar ist. Kreiner muß zugestimmt werden, wenn
er urteilt: „Sittlich signifikante Willensfreiheit setzt nicht
notwendig voraus, daß das Böse tatsächlich
gewählt
wird, wohl aber die Möglichkeit, das Böse wählen zu können. Ohne
diese Möglichkeit liegt kein sittlich relevanter Freiheitsspielraum
vor.“19
Wenn Musil in seinem Opus: „Der Mann ohne Eigenschaften“
tiefsinnig feststellt: „Schließlich besteht ja das Ding nur durch
seine Grenzen und damit durch einen gewissermaßen feindseligen Akt
gegen seine Umwelt“20
dann bedeutet diese Einsicht auf das Gebiet der Moral übertragen,
daß das Gute nur durch sein Gegenteil, das Nichtgute
ist, wie jedes nur
durch seine bestimmte Verneinung als etwas Bestimmtes ist.
Der vollkommene Gott und das Gebet
Bevor diese Frage
erörtert werden soll, soll nun ein Blick in eine eigentümliche
Problematik des Gebetslebens getätigt werden.
Die provokannte These
lautet, daß es der Vollkommenheit Gottes widerspricht, wenn ein
Gläubiger Gott um etwas bittet. Der Beweis lautet:
A) Gott will immer das Vollkommene.
B) Wenn der Gläubige Gott um etwas
bittet, dann ist das, worum er bittet, entweder selbst das
Vollkommene oder etwas davon
Verschiedenes.
C)Gott wirkt immer das Vollkommene,
unabhängig davon, um was der Gläubige bittet.
D)Gott kann ob seiner
Vollkommenheit kein Gebet erhören, wenn darunter verstanden wird,
daß Gott etwas will, das er nicht gewollt hätte, wenn er nicht
darum gebeten worden wäre. Gott
kann keine Gebete erhören ob
seiner Vollkommenheit, denn jede Änderung von Gottes Wollen
wäre eine Verminderung des
Vollkommenen, das er nur wollen kann.
(Nebenbei sei angemerkt,
daß dem Verfasser wirklich Theologen begegnet sind, die ihm mit
diesem Argument begründet haben, warum sie keine Bittgebete mehr
sprechen würden! ) Statt das Bittgebet so als unsachgemäßes
Verhalten dem vollkommenen Gott gegenüber aufzugeben, präsentieren
modernistische Theologen eine völlige Entkernung des Bittgebetes, so
daß nur noch die äußerliche Fassade stehen bleibt. Exemplarisch
sei dies an H. Schallers Lexikonartikel „Gebet“
veranschaulicht21
Das Gebet wird als „zweckfreies Tun“22
bezeichnet. „Der erlöste, voraussetzungslos geliebte Mensch kann
das Geschenk seines Daseins betend bejahen und darf so, auch ohne
rechtfertigende Tat, vor seinem Gott bestehen.“23
Daß Gott den Mensch voraussetzungslos liebt kommt hier als Folge der
Vollkommenheit der göttlichen Liebe zu stehen.Daß der Mensch betet,
kann dann an der Beziehung Gottes zum Betenden nichts ändern, denn
die Qualität der Beziehung Gottes zum Menschen ist volkommen
unabhängig von dem, wie der Mensch sich zu Gott verhält. Deshalb
ist das Gebet zweckfrei. Unter Zweck wird dabei verstanden, daß der
Betende die Hoffnung hegt, daß sich durch sein Beten das Verhalten
Gottes zu ihm ändert,daß ihm von Gott etwas gewährt wird, was ihm
nicht gewährt werden würde, betete er nicht. Das wäre ein
zweckorientiertes Beten. Das Bittgebet ist so auch nach Schaller ein
zweckfreies Tun!
Nicht bittet der Beter in
dem Vertrauen, daß Gott ihm ob des Gebetes etwas gewährte, was er
ihm nicht gewähren würde, betete er nicht. Bei Schaller heißt das
so: „Diese dem Gebet vorangehende Zugeneigtheit Gottes zum Menschen
offenbart sich als sein Wille, uns an seinem Wirken teilnehmen zu
lassen. Der Mensch ist eingeladen, frei- aktiv wie passiv- auf den
Heilsplan Gottes einzugehen und sich auf ihn abzustimmen. Der Ort, wo
dies erfahren wird und mit der ganzen Existenz vollzogen werden kann,
ist das Bittgebet.“24
Nicht tritt durch das Gebet eine Willensveränderung in Gott ein, er
ist so vollkommene Liebe, daß er sich nicht ändern kann,sondern im
und durch das Bittgebet verändert sich ausschließlich der betende
Mensch. Das Bittgebet wirkt nur auf den veränderlichen Menschen und
es kann auch nur auf ihn wirken, weil nur er die Potenzder
Veränderlichkeit besitzt. Konsequent wird dann die Absage an das
Verständnis des Bittgebetes, daß Gott um etwas gebeten wird,
formuliert: „So verstanden braucht Gott weder zum Geben motiviert
noch in Bewegung gesetzt zu werden. Es ist unnütz, irgendein
Eingreifen Gottes (welch deeistischer Ausdruck!) in dieser Welt zu
erwarten; so als ob für den Menschen zusätzliche Hilfe nötig und
für die Welt nachträgliche Korrekturen am Platze wären.“25
Weil Gott als vollkommene Liebe immer schon allem Beten des Menschen
zuvorkommend in der Welt ist, den Menschen zugewandt, kann diese
Proexistenz Gottes gar nicht zum Wohle des Menschen durch ein
Bittgebet verändert werden. Einfacher gesagt: Gott verhält sich
immer schon vollkommen gut zum Menschen, so daß jede Bitte nicht nur
überflüssig sondern auch, wenn sie erhört werden würde, nurzum
Nachteil des Menschen. Gott würde sein optimales Verhalten,
veranlaßt durch ein Gebet nur zum weniger optimalen verändern
können, wenn er denn überhaupt sein Verhalten verändern kann.
Gott ist so vollkommen,
daß er nicht eingreifen kann und so kann er auch keine Bittgebete
erhören,wird unter der Erhörung verstanden, daß Gott dem Beter
etwas gewährt, was er ihm nicht gewährt hätte, wenn der Mensch
nicht gebetet hätte. „Das bittende Gebet- „Dein Reich komme!“-
ist das Wagnis, in dem der Mensch sich Gottes Nähe öffnet und sie
durch sein Leben wirken läßt:“26
Durch das Gebet kann nur der Betende
durch sein Gebet verändert werden. Das Beten wird zu einer
rein immanenten psychologisch
aufhellbarern Tat, die in Hinsicht auf Gott völlig sinnlos ist. So
ist
der Adressat des
Bittgebetes faktisch, wider den äußeren Schein, der Beter selbst,
der darauf hofft, daß er sich durch sein Beten verändert. Der
Zusammenhang zwischen der Vorstellung der göttlichen Vollkommenheit
verstanden als Unvermögen zu einer Willensänderung und der These,
daß deshalb nur der Mensch als veränderbarer durch das Gebet
verändert werden kann, ist offensichtlich. Selbstredend darf dabei
die Veränderung des Menschen durch das Gebet nicht auf Gottes Wirken
zurückgeführt werden, denn dann hätte das Gebet ja ein
kontingentes Einwirken Gottes veranlaßt,aber genau dies wird von
Schaller ja vehement abgelehnt: Gott kann nicht in seine vollkommenen
Schöpfung eingreifen, auch nicht, um Menschen zu öffnen für seine
Botschaft. Der Gott, so vorgestellt, stirbt an seiner Vollkommenheit.
Wie kann Gott als vollkommen und doch auch als Gebete erhören
könnender Gott gedacht werden? .
Ein Lösungsversuch
Kann Gottes ontologische
Vollkommenheit so gedacht werden, daß sie nicht notwendigerweise,
wenn auch ungewollt, die moralische nichtet und so Gott als
unvollkommen weil bar jeder Moralität denkt und kann dann noch das,
was überall und zu allen Zeiten Gläubige taten und tun, Gott um
etwas zu bitten als sinnvolle katholische Praxis begriffen werden,
wenn und obgleich Gott vollkommen ist?
Der Verfasser möchte
diese Frage beantworten mit der These, daß der Grund dieses
Problemkomplexes in einer sehr fragwürdig- problematischen
Verhältnisbestimmung zwischen dem göttlichen Erkenntnisvermögens
und der Bestimmung des freien Willens sich gründet.Wenn Gottes
Erkenntnisvermögen immer das Wissen des Guten inkludiert, dessen was
das Beste ist in Betug auf jede denkbare Situation, dann darf nicht
gefolgert werden, daß der göttliche Wille als freier durch das
Erkannte determiniert wird. Die Freiheit des Willens besteht darin,
das vom Erkenntnisakt als das Gute Erkannte frei erwählen oder auch
nicht erwählen zu können. Würde das vom Erkennen Erkannte den
Willen bestimmen, so daß der Wille, wenn das Erkennen etwas als gut
erkannt hat, dann nur noch das als gut Erkannte wollen könnte, dann
wäre er kein freier Wille.Ontologisch geurteilt ist der freie Wille
Gottes nur dann als freier Wille vollkommen gedacht, wenn er auch das
Nichtgute wählen kann, denn wäre diese Wahlfreiheit dem Willen
nicht zu eigen,würde er durch das als gut Erkannte determiniert und
wäre so kein freier Wille. Einen freien Willen nicht zu haben, wäre
aber ein Defizit in Gott. Gott könnte ohne einen freien Willen keine
moralisch relevanten Handlungen setzen und das wäre seine moralische
Unvollkommenheit. Dies wäre aber auch eine ontologische, weil ein
unfreier Wille, ein durch das Erkannte determinierter, weniger wäre
als ein freier.
Anselm von Canterbury
vertritt in seinem Werk: „Über die Freiheit des Willens“ eine
entgegengesetzte Position. Die Meinung des Schülers, die
Willensfreiheit bestünde in dem Vermögen, zu sündigen oder nicht
zu sündigen, widerlegt Anselm durch die These, daß von Gott
prädziert wird, daß er nicht sündigen könne und daß er einen
freien Willen habe. Da unter dem Begriff des freien Willens bei Gott
und dem Menschen nicht etwas völlig Verschiedenes gemeint sein
dürfe, könne der freie Wille nicht im Vermögen, das Gute zu tun
oder nicht zu tun, bestehen.Gottes Wille wäre als freier zu
begreifen, auch wenn er nur gut wollen könne. Anselm fragt: „Welcher
Wille (voluntas) erscheint dir freier: einer, der so nicht sündigen
will und kann, daß er auf keine Weise von der Rechtheit, nicht zu
sündigen, abgebracht zu werden vermag, oder einer,der auf irgendeine
Weise zum Sündigen bewogen werden kann?“27
Dieses Argument vermag nicht zu überzeugen, denn der Komparativ
„freier“ ergibt nur in handlungstheoretischem Sinne von Freiheit
einen Sinn, (wie frei bin ich, das Gewollte zu verwirklichen) und
nicht im Bereich der Willensfreiheit, denn hier gilt, daß entweder
der Wille sich frei bestimmt oder nicht.Zudem wird der moralische
Begriff des Guten technisch mißverstanden. Eine Maschine, die immer
nur gut funktioniert und nicht störanfällig ist,ist besser als eine
störanfällige aber für ein moralisch veantwortliches
Handlungssubjekt gilt, daß ihm etwas nur als gutes Wollen
zuschreibbar ist, wenn es dieses Wollen kontingent selbstständig
hervorgebracht hat und das hat es nur, wenn es auch die Potenz in
sich hat, nicht gut zu wollen. Ein Subjekt, das nur gut wollen könnte
im moralischen, nicht in einem technisch- funktionalen Sinne, könnte
gar nicht im moralischen Sinne gut wollen.
Wenn Gott als freier
Wille gedacht wird, heißt das, das er vollkommen gut ist, weil und
nur weil er kraft des freien Willens moralisch gut immer das Gute
frei will.
Kreiner diskutiert selbst
diese Lösungsmöglichkeit. „Ein radikaler Lösungsvorschlag für
dieses Problem besagt, dass Gott nur kontingenterweise moralisch
vollkommen ist, was bedeuten würde,dass es im weitesten Sinn
durchaus logisch möglich wäre, dass Gott unmoralisch handelt bzw.
sündigt. Die Verehrungswürdigkeit Gottes beruht dann nicht darauf,
dass er so handelt, wie er aufgrund seiner Natur handeln muss,
sondern darauf, dass er gut handelt, obwohl es grundsätzlich in
seiner Macht stünde, auch anders zu handeln.“28
Kreiner kritisiert diese Lösung mit der These,daß es der
ontologischen Vollkommenheit Gottes widerspräche, daß Gott, das
Gute wissend und erkennend und es vermögend, es doch nicht wolle,
denn das Nichtwollen des Guten wäre die denknotwendige Voraussetzung
der These, daß Gott auch das Nichtgute wollen könnte.
Eindeutigversteht Kreiner hier den Willen als durch das Erkannte
determinierbar. Wenn das Gute erkannt ist, könne der freie Wille
nicht mehr etwas anderes wollen als das als das Gute. Damit ist aber
der freie Wille negiert, denn er kommt hier als ein durch das Objekt
des Erkennens determinierter zu stehen. Wenn aber das Gute den freien
Willen zum guten Wollen determiniert, so daß der Wille gar nicht
anders kann als gut zu wollen, wäre er ein ge- und bezwungener
Wille, der so nicht mehr als ein freier begriffen werden kann. Und
ohne freien Willen kann es keine Moralität geben. Aber keinen freien
Willen zu haben, wäre auch ein ontologischer Mangel an Gott.
Wird diese These auf die
katholische Gebetspraxis des Bittgebetes appliziert, ist das Problem
der ontologischen und der moralischen Vollkommenheit in Hinsicht auf
das Vermögen Gottes, Bittgebete zu erhören, gelöst. Weil der Wille
Gottes als ontologisch vollkommener frei ist, kann er Gebete erhören,
denn er handelt nicht notwendig gütig, Gott ist nicht durch seine
Natur determiniert sondern er kann kontingent handeln und so
Gebetsanliegen in die Maximen seines Handelns aufnehmen. Nur der
nichtdeterminierte göttliche Wille ist so frei, daß er das Bitten
der Gläubigen aufnehmen kann. Wenn Gott aber durch seine Natur als
determiniert gedacht wird, dann und nur dann kann er nicht mehr
gedacht werden als ein Gott, der Gebete erhören kann.
Es soll hier auf keinen
Fall die antikatholische Position der Entgegensetzung des Gottes der
Philosophen und des Gottes der Bibel das Wort geredet werden, als
verböte der philosophisch gedachte Gott die Möglichkeit der
Gebetserhörung, so daß nun Zuflucht zum Gotte der Bibel gesucht
werden müsse um der katholischen Gebetspraxis willen, sondern es
soll zum Abschluß die These aufgestellt werden, daß ein inadäquates
Verständnis der Freiheit des Willens erst das Problem der
Nichterhörbarkeit von Gebeten und des Nichtmoraltät Gottes
hervorruft, indem der freie Wille als durch das als gut Erkannte
determiniert gedacht wird und so die Freiheit des göttlichen Willens
genichtet wird. Erst der so unfrei gedachte göttliche Wille kann
keine Gebete Gläubiger mehr erhören und kann selbst nicht mehr
sittlich relevant handeln.
Eine Abschlußbetrachtung:
Täglich wird in der
hl.Messe gebetet, Herr erbarme dich! Wenn Gott als vollkommen zu
denken ist im klassischen Sinn und sein Verhalten zu Anderem durch
seine vollkommene Natur bestimmt ist,kann Gott dann anders als sich
erbarmend verhalten? Entweder ist das Sicherbarmen das der göttlichen
Natur gemäße Verhalten zu Anderem, dann kann nicht mehr gedacht
werden, daß er sich anders als erbarmend verhält oder aber es wäre
kein seiner vollkommenen Natur gemäßes Verhalten, dann könnte er
sich nicht erbarmend zu Anderem verhalten. Oder es müßte präsumiert
werden, daß das Sicherbarmen oder das Sichnichterbarmen indifferent
zur göttlichen Vollkommenheit verhielte. Die Präsumption
widerspricht aber offenkundig dem Verständnis von göttlicher
Vollkommenheit. Selbstredend betet nur der: Herr, erbarme dich, der
a) glaubt, daß Gott sich erbarmen kann und daß er auch das Erbarmen
verweigern kann und der b) glaubt, daß von Gott vorstellbar ist, daß
er sich nicht in einer bestimmten Angelegenheit erbarmen würde, wenn
er nichtgläubig um sein Erbarmen gebeten worden wäre. Das ist der
Kern des Glaubens an einen persönlichen Gott. Diese liturgische
Praxis muß nun selbst auch die Norm für die dogmatische Refexion
der Gotteslehre bilden. Es kann nicht eine Lehre der Vollkommenheit
Gottes als wahre Gotteslehre gelten, die diese katholische
Gebetspraxis als sinnwidrige Praxis bestimmen würde.Wenn Gott aber
durch seine vollkommene Natur als determiniert zu betrachten wäre,
würde die gesamte Gebetspraxis als problematisch abergläubisch zu
stehen kommen. In Anlehnung an Kreiner kann das Problem so erfaßt
werden: Wie kann ein ontologisch vollkommenes Wesen ein menschliches
Gebet erhören, „wenn es doch immer das Beste tun muss und daher
nicht frei sein kann.“29
Der hier vorgeschlagene
Lösungsansatz lautet, daß der freie Wille verstanden werden muß
als nicht durch das Erkennen determiniert. Nur so ist er als freier
Wille gedacht und dann kann von ihm ausgesagt werden, daß er, indem
er das als gut Erkannte frei erwählt, einen sittlich relevanten Akt
gesetzt hätte. Bestünde die Vollkommenheit des freien Willens aber
gerade darin, daß wenn etwas als gut erkannt worden ist, nichts
anderes als dieses Gute erwählen zu können, dann würde dieser
Determinismus die
sittliche Qualität der Wahl des Guten nichten und den freien Willen
selbst auch nichten. Wenn aber von Gott zu prädizieren wäre, daß
er nicht freier Wille ist, dann wäre Gott nicht als Vollkommenheit
gedacht! Und es könnte die katholische Gebetspraxis des Bittgebetes
nicht mehr als ein sinnvolles Handeln begriffen werden.
1Kreiner,
A., Das wahre Antlitz Gottes 2006
2Vgl:
Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes S.309-311.
3Kreiner,
A., Das wahre Antlitz Gottes S.310.
4Kreiner,
A. Das wahre Antlitz Gottes 2006 S.440.
5Kreiner,
A., Das wahre Antlitz Gottes S.440.
6Kreiner,A.
Das wahre Antlitz Gottes S.440.
7Vgl:
Ott, L. Dogmatik 11.Auflage 2005 S.62- 90.
8Ott,
L.,Dogmatik S.84.
9Vgl:
Kreiner, A., Das wahre Antlitz Gottes S.75- 109.
10Ott,
L. Dogmstik S.85.
11Ott,
L- Dogmatik S.89.
12Diekamp,
F. Dogmatik Bd II 11/12 Auflage 1959 S.577.
13Diekamp,
F. Dogmatik Bd II S.277.
14Diekamp,
F. Dogmatik Bd II S.277.
15Diekamp,
F. Dogmatik Bd II S. 278.
16Ott,L.,
Dogmatik S. 252. Die von Ott aufgestellte Behauptung, das Konzil zu
Konstantinopel habe 553 die Lehre verurteilt, daß Christus erst
nach seiner Auferstehung unsündlich war, weil er dieses von Anfang
an gewesen sei,
stimmt leider in diesem sonst so
zuverlässigem Buch nicht mit der angegebenen Quelle DH 434 überein.
17Kreiner,
A. Gott im Leid S.217.
18Vgl:
DH 1528.
19Kreiner,
A., Gott im Leid 2005 S.257.
20Musil;R.
Der Mann ohne Eigenschaften 1.Buch, 7.Kapitel.
21Vgl:
Schaller, H. Gebet, in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe
Bd 2 1984 S.26- 34.
22a.a.O.
S. 32.
23a.a.O.
S.32.
24a.a.O.
S.33.
25a.a.O.
S.33.
26a.a.O.
S.33.
27Anselm
von Canterbury, Vier Traktate Wahrheit und Freiheit Christliche
Meister Bd 15 1982 S.71.
28Kreiner,
A., Das wahre Antlitz Gottes S.442.
29Kreiner,
A. Das wahre Antlitz Gottes S.443.
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