Mittwoch, 18. November 2020

Nachtgedanken: Krieg und ein wenig Aussicht auf Frieden

(Daß der Teufel auf Erden tatkräftig wirkt und es schon so keinen Frieden auf Erden geben kann, bleibt hier unberücksichtigt.)



Tiere kämpfen, aber sie führen keine Kriege.Der Mensch ist der einzige unter den Primaten, der die Tötung seiner Artgenossen planvoll, in größerem Maßstab und enthusiastisch betreibt. Der Krieg gehört zu seinen wichtigsten Erfindungen; die Fähigkeit, Frieden zu schließen, ist vermutlich eine spätere Errungenschaft.“

So eröffnet Hans Magnus Enzensberger 1996 seinen großen Essay: „Aussichten auf den Bürgerkrieg“. Er distinguiert dann zwischen dem Staatenkrieg mit Heeren von dem allgemeinen Bürgerkrieg. Der Begriff des Bürgerkrieges muß dabei ad hoc irritieren, setzt er doch einen Staat voraus mit seinem Gewaltmonopol und Bürgervereinigungen, die trotz dieses staatlichen Gewaltmonopoles in dem Staatsgebiet gegeneinander Krieg führen als Privatkrieg. Aber die Kriege, die Enzensberger in seinem Präludium meint, sind keine innerstaatlichen, ja sie haben ihren Ort in den Zeiten, in denen es noch kein von den Bürgern anerkanntes Gewaltmonopol des Staates gab. Auch werden sich die Krieger dieses Kriege nicht als Bürger eines Staates wahrgenommen haben. Enzensberger eröffnet uns mit diesen ersten Sätzen eher einen Einblick in den Naturzustand des Menschen. Aber diese Sätze kaprizieren sich nun nicht auf plusquamperfektisch Vergangenes, sondern sollen eine Tiefenschicht der modernen bzw postmodernen Gesellschaften benennen, auf die die bürgerliche Kultur auferbaut ist. Diese Kultur ist sozusagen auf einem morastischem Grund auferbaut worden und so immer auch höchst instabil.

Als H.P.Lovecraftleser könnte man auf den Gedanken kommen, daß Lovecraft Texte von diesem dunklen Urgrund der bürgerlichen Kultur sprechen als etwas Verdrängtem, das aber nie aufhörte, dazusein und das in sich die Potenz besitzt, sich mitten in der bürgerlichen Kultur zu vergegenwärtigen. Es ist so, als würde ein Wille zum Kriege aller gegen alle existieren, der nur auf günstige Konstellationen wartet, um diesen Krieg herbeizuführen. Dieser Wille wäre eine Gestalt der Nachtwelt, die es für das apollinische und aufklärerische Denken nicht geben darf, die aber die Romantik in aufklärungskritischer Intention thematisierte. Es sei als Anschauungsbeispiel an E.T.A. Hoffmanns: „Elixiere des Teufels“ und an M.G.Lewis: „Der Mönch“ erinnert. Das Daimonische findet auch und gerade im kultivierten Bürger seinen Räsonanzboden. Das macht ihn aber auch erst zu einem sich barbarisieren könnenden Bürger, der so nur sich auch verteidigen kann. Enzensberger stellt ja seinem Essay das (vermeintliche) Nietzschezitat voran: „Nur Barbaren können sich verteidigen“.

Jetzt wird die Lage unübersichtlich und somit näheren wir uns der Realität an, einer Realität, die nicht so ist, wie sie sein sollte und wie der Aufgeklärte sie sich wünscht. Der Naturzustand des Krieges müßte im Sinne dieses Essays gedeutet werden als eine Potentialität, die permanent anwesend ist, wie eine kleine Glut, die jederzeit das ganze Heulager zum Brennen bringen kann. Kultivierte Bürger brauchen dann noch ideologisch-moralische Gründe, um in diesem Naturkriegsgeiste wieder Krieger werden zu können. Dafür stehen aber auch genug Ideologien und auch Religionen bereit. Die Lust am heiligen Krieg nährt sich eben aus diesem Untergrund der bürgerlichen Kultur, aber auch der antirassistische Kampf der: „Schwarzes Leben zählt“ -Bewegung und der Kampf der „Antifa“ gründen sich in diesem so Verdrängten, um nur die aktuellsten Belege für die Vitalität dieses Untergrundes anzuführen. Die harmonistische Vorstellung der Multikulturalität könnte sich so als Präludium der Rückkehr des Naturzustandes der großen Krieges aller gegen alle erweisen.

 

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