Freitag, 16. Juni 2023
Mit wem man nicht mehr reden darf? Über die Kontaktschuld oder daß Jesu Praxis des Zugehens auf alle inakzeptabel ist
Mit wem man nicht mehr reden darf? Über die Kontaktschuld
Im Religionsunterricht erfreute sich einst, ich bin mir nicht sicher, ob das heute noch so ist, das Jesusbild von dem mit jedem Redenden großer Beliebtheit: Er grenzte keinen aus, wandte sich besonders den Ausgegrenzten und Marginalisierten zu, in ihm erlebten grade die Geächteten Gottes Zuneigung. Der Hofphilosoph Habermas stilisierte diese Haltung gar zur Substanz seiner Philosophie des kommunikativen Handelns, daß der herrschaftsfreie Diskurs der Weg zur Wahrheit sei als dem Konsensus aller Dialogpartner. Aus diesem Wahrheitsfindungsdiskurs durfte niemand ausgeschlossen werden, denn es sollte nur das vernünftige Argument zählen.
Die Zeiten ändern sich, Habermas selbst zog ja die Notbremse, als er faktisch den Ausschluß Ernst Noltes aus dem öffentlichen Diskurs forderte, weil dieser durch seinen Thesen zum Nationalsozialismus dessen Alleinstellungsmerkmal, die schrecklichste denkbare Barbarei gewesen zu sein, in Frage stellte.
Mit wem darf man so also keinen Dialog mehr führen? Die philosophische Gesellschaft phil Cologne (so deren Internetseite) lädt nun zu einer Podiumsdiskussion ein: Mit wem darf ein Philosoph nicht mehr reden?
„Wie grenzt man sich von rechts ab? Muss man das überhaupt? Wo fängt Kontaktschuld an? Wie umgehen mit Applaus von der falschen Seite? Ist eine Aussage von vornherein tabu, wenn auch ein:e AfD-Politiker:in sie vertritt? Das sind heikle Fragen, die im Mittelpunkt erhitzter Debatten stehen und das linke Lager spalten. Im Zenit der Auseinandersetzung steht die ehemalige Führungsfigur der Partei »Die Linke«: Sahra Wagenknecht wird von ihren Gegner:innen vorgeworfen, gezielt am rechten Rand zu fischen und mit ihren Überlegungen, eine eigene Partei zu gründen, eine »Querfront« etablieren zu wollen. Auf der phil.COLOGNE diskutiert sie mit dem Historiker Per Leo (»Mit Rechten reden«) über die Bedeutung von links und rechts und das Problem politischer Positionsbestimmung in komplexen Zeiten.“
So lautet der Werbetext für diese Veranstaltung. (Internetseite phil Cologne 2023) Die Zentralfrage lautet so tatsächlich: Mit wem darf ich nicht mehr reden? Die Kontaktschuld besteht eben in Kontakten zu den vom öffentlichen Diskurs Ausgeschlossenen. Seit der Coronaepidemie ist uns dies Denken in der Vorstellungswelt der Infizierungen vertraut geworden: Von Infizierten geht eine hohe Ansteckungsgefahr aus, darum müssen Infizierte gemieden werden . Das gilt so auch von nichtakzeptabel Denkenden. Die verortet die Politische Korrektheit mit dem Terminus: „Rechte“
Von ihnen muß man sich abgrenzen, um nicht selbst in den Verdacht zu geraten, infiziert zu sein. Die Kontaktschuld könnte schon darin bestehen, daß wenn man für etwas Geäußertes von Rechten Beifall bekommt. Wer gar etwas sagt, was ein Rechter auch gesagt hat, dann evoziert dies zumindest den Anfangsverdacht eine Infektion.
Rechts und Links, diese Dualität avanciert dabei geradezu zu einem metaphysischen Dualismus, dem von Böse und Gut. Die klare Abgrenzung, die Meidung jedes Kontaktes mit diesem Bösen wäre nun das wichtigste Anliegen für die Diskurshygene. Aber läßt sich diese Scheidung in der Praxis so einfach durchsetzen? Veranschaulichen wir uns das an einem bekannten Problem: Adolf Hitler schätzte die Opern Richard Wagners. Darf man nun noch Wagners Musik hören und lieben, darf sie noch aufgeführt werden?
So schreibt der Deutschland am 16.3.2023: „Wagner in Israel„Für viele Israelis noch immer ein Tabu“Richard Wagner öffentlich aufgeführt? Dass sich die Menschen in Israel dagegen noch immer sperrten, hat für Jascha Nemtsov einen Grund.“ Wer von einem Rechten gelobt wird, gerät dadurch eben in akute Infizierungsgefahr und sollte so unter Quarantäne gestellt werden.
Ob Frau Wagenknecht sich nun doch noch als Uninfizierte rehabilitieren kann nachdem man ihr so viele unerlaubte Kontakte vorzuwerfen hat, das soll nun philosophisch geklärt werden. Für die Parteiführung der „Linken“ ist die Entscheidung schon gefallen: irreversibel kontaminiert!
Beachtenswert ist hier das zugrunde liegende Philosophie-verständnis: Sie bestimmt, mit wem ein vernünftiger Mensch nicht mehr reden darf, Kontakte mit wem so kontaminieren, daß der Betroffene aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen ist. Jesus: „Ich red mit jedem“ ist eben nicht mehr auf der Höhe der Zeit, denn so könnte man sich ja der Kontaktschuld schuldig machen!
Zusatz:
Von der Kontaktschuld ist das Konzept der Sippenhaft zu unterscheiden: Die Kontaktschuld meint unerlaubte freiwillige Kontakte, die Sippenhaft unmerlaubte Verwandtschaftsbeziehungen,wenn etwa Kinder ob der politischen Einstellung der Eltern diskriminiert werden dürfen, etwa daß Privatschulen Kinder ob der rechten Einstellung der Eltern den Schulbesuch verwehren dürfen.
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