„Das Gewissen sei unfehlbar“ ein katholischer Standpunkt? Eine Kritik
Kardinal Ratzinger mutmaßt in seiner Essaysammlung: „Werte in Zeiten des Umbruchs“1, daß zuerst der idealistische Philosoph Fichte die Position des unfehlbaren Gewissens vertreten habe: „>Das Gewissen irrt nie und kann nie irren<, denn es ist >selbst Richter aller Übezeugung<,der >keinen höheren Richter über sich selbst anerkennt. Es entscheidet in der letzten Instanz und ist selbst inappellabel.<“2 Der Kardinal stellt daraufhin diese Behauptung auf: „Dass man einem klaren Gewissensspruch immer folgen muss,zumindest nicht gegen ihn handeln darf, ist unbestritten.“ 3 Aber dann fügt er in einer kritischen Intention hinzu: „Aber ob das Gewissensurteil oder was man für ein solches ansieht,auch immer recht habe,ob es unfehlbar sei, ist eine andere Frage.“ Diese Konsequenz hätte das nämlich: „Denn wenn es so wäre,würde dies ja heißen,dass es keine Wahrheit gibt - zumindest in Sachen der Moral und der Religion, also im Bereich der eigentlichen Grundlagen unserer Existenz.“4
Wenn diese Kritik des Glaubens an eine Unfehlbarkeit eines Gewissens angemessen ist, wie kann dann noch behauptet werden, daß immer der Mensch seinem Gewissen zu folgen habe? Diese Nachricht war am 25.11.2010 auf der Internetseite ntv : unter der Überschrift: „Inder opfern Kinder für Kali“ zu lesen: „Als Menschenopfer sind mindestens zwei Kinder im indischen Bundesstaat Chhattisgarh für die Hindu-Göttin Kali getötet worden. Sicherheitskräfte hätten die Leichen eines zweijährigen Jungen und eines sechsjährigen Mädchens in einem Gehöft entdeckt, sagte ein Polizeisprecher. Der Besitzer, dessen Frau und fünf weitere Verdächtige seien festgenommen worden.
"Während der Vernehmung hat das Ehepaar zugegeben, die Kinder ermordet zu haben, um Kali gnädig zu stimmen und um selbst magische Kräfte und Reichtum zu erlangen", sagte der Sprecher. Das Mädchen sei im Frühjahr getötet worden, der Junge am Dienstag.“
Diesen Eltern im Zusammenwirken mit weiteren Tatverdächtigen war es also möglich, im Einklang mit ihrem Gewissen, zwei ihrer eigenen Kinder zu töten. Sie glaubten, ihre Kinder der Göttin Kali ihre Kinder opfern zu müssen, um so diese Göttin gnädig zu stimmen. Zur Verehrung dieser Göttin gehört tatsächlich die Praxis der Darbringung von Menschenopfern, das war also keine völlig abwegige Idee dieser Eltern, zwei Kinder und gar die eigenen zu opfern5. Ein wesentlicher Unterschied besteht nun aber zwischen dem Opfer Abrahams und dem dieser Eltern: Gott griff ein und verhindertes das Opfer seines einzigen Sohnes, die Göttin Kali griff nicht ein.
Damit stehen wir nun wirklich vor einem schier unlösbaren Problem! Muß man nicht vermuten, daß Abraham, als er beschloß, seinen Sohn Gott zu opfern, gegen sein Gewissen Gott gehorchte? Oder sollen wir glauben, daß er mit einem guten Gewissen beschloß, seinen Sohn zu opfern, da Gott für ihn die höchste Autorität ist, was er zu tuen habe und was nicht. Wie haben wir dann in der Causa der hinduistischen Eltern zu urteilen, die glaubten, durch das Opfern ihrer zwei Kinder die Göttin gnädig zu stimmen? Nun könnten wir es uns leicht und vielleicht zu leicht machen, wenn wir den Opferzweck, selbst magische Kräfte erlangen zu wollen, so in den Vordergrund zu stellen, daß so ihr Opfern sehr egoistisch motiviert war. Aber der Primärzweck war doch der, so diese Göttin gnädig zu stimmen, sie zu versöhnen.
Wollte man nun mit dem Naturrecht argumentieren, daß das die Opferung eines Kindes und dann noch gar des eigenen eindeutig dem Naturrecht widerspräche und daß dann auch dem eigenen Gewissen nicht gefolgt werden dürfe, wenn das Gewissen urteilt, daß Gott mehr zu gehorchen sei als dem Naturrecht, dann setzen wir notwendig Abraham auf die Anklagebank.Ist also Gott eine Autorität, der mehr als dem jus naturae und dem eigenen Gewissen zu gehorchen ist?
Die hinduistischen Eltern ist der Prozeß gemacht worden und sie sind verurteilt worden. Keine Gesellschaft kann es tolerieren, wenn Bürger im Namen eines Gottes Menschen töten und schon gar nicht ihre eigenen Kinder. Aber die Eltern, einmal Abraham und einmal diese hinduistischen glaubten doch, daß Gott oder eine Göttin dies Menschenopfer von ihnen verlange.
Kardinal Ratzinger stimmt nun Hegels Kritik an dem Glauben an die Unfehlbarkeit des Gewissens zu: Für Hegel sei das Gewissen „als formelle Subjektivität“ „auf dem Sprunge“ „ins Böse umzuschlagen“.6 Aus der philosophischen Perspektive ist der Glaube, Gott fordere von einem Menschen das Opfer seines eigenen Kindes ein Extremfall der Subjektivität,denn ein Mensch habe sich ja dazu entschieden, das so zu glauben.
Um der Humanität willen muß eigentlich an ein Naturrecht geglaubt werden, damit nicht jedes positive Recht auch als gerecht zu qualifizieren ist. Kants Frage, ob denn das Recht auch gerecht sei und daß diese Frage nicht die Rechtswissenschaft klären kann sondern wer dann, bleibt der Stachel jedes Rechtspositivismus, daß einfach das geltende Recht gerecht sei. Wenn man nun das Gewissen als die Contrainstanz installieren möchte, von wo aus das geltende Recht kritisierbar wird, der leidet an der Möglichkeit der Willkür des individuellen Gewissens Schiffbruch. Wenn dann aber Gott als die allerhöchste Instanz verstanden wird, daß man Gott mehr zu gehorchen habe als den Menschen, was ist dann von der Göttin Kali zu sagen, die auch jetzt noch Menschenopfer einfordert? Es bleibt so wohl nur ein Insistieren auf ein Naturrecht, das allen anderem übergeordnet ist.Aber genau dieser Status wird ihm heuer nicht mehr zuerkannt. Dies Recht gilt nur noch als etwas faktisch willkürlich Behauptetes.
Eine überzeugende Lösung will sich so nicht recht finden
1Joseph Kardinal Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruchs, 2005, Wenn du den Frieden willst.Gewissen und Wahrheit, S.100.
2A.a.O. S.100f, Fußnote 1.
3A.a.O. S.101.
4A.a.O. S.101.
5Zu Göttin Kali möchte ich wärmstens den Roman: „Um die indische Kaiserkrone“ von Robert Kraft empfehlen – ein einzigartiges Lesevergnügen!
6A.a.O. S.100 Fußnote 1.
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