„The same procedure as every year“- Rituale und ihre Benörgler: Muß denn diese Sylvesterknallerei sein? Und der Gottesdienst?
Rituale prägen und strukturieren das Leben der Menschen und sind ein Element unserer Kultur.Manche Rituale werden vollzogen, auch wenn sie nicht mehr in ihrer Bedeutung verstanden werden. So ist: „Morgen“ die Abbreviatur des Wunsches: „Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen“Man glaubte,daß dies ein performativer Sprechakt sei, daß er also das bewirke, was er selbst aussagt,daß also dem so Bewünschten dadurch der Morgen ein guter Morgen wird.Für einen Aufgeklärten kann dies aber nur eine Gutewillenskundgabe sein, daß der so Grüßende seine Gutwilligkeit dem so begrüßten kund macht.
Daß man mitten im Winter die bösen Wintergeister durch ein großes Krachmachen vertreiben will, bildet so wohl das Fundament der ursprünglichen Tradition der Sylvesterkrachmacherei.Die heutigen Sylvesterfeuerei demonstriert auf das Eindrücklichste, daß ein Ritual gar ursprünglich religiösen Gehaltes sich versäkularisieren kann und dabei doch als ein Ritual weiter zelebriert wird.
Aber jedes Ritual provoziert auch die Standardkritik, daß ein Ritual doch nur etwas rein Äußerliches sei,aber seines eigentlichen Gehaltes dabei verlustig geworden sein.Nur, die Sylvesterfeuerwerke begeistern eben auch ob ihrer Schönheit. Aber es ist noch mehr als die Ästhetik des Feuerwerkes.
Der französische Querdenkerphilosoph Georges Bataille könnte uns auf eine nachdenkenswerte Idee bringen,indem er den Begriff der „Verschwendung“ und der „Verausgabung“ in die Philosophie einführt. In dem Wikipedia Lexikonartikel zu ihm liest sich das so: „Der Begriff der Verausgabung an einem bekannten Generationenkonflikt: Der Sohn geht seinem Vergnügen nach. Der Vater greift korrigierend ein, obwohl er sich selber Ähnliches unkritisch zubilligt. Er möchte, dass der Sohn sich nützlichen Dingen widmet. Damit solle – so Bataille – erreicht werden, dass die nachfolgende Generation sich in der homogenen Welt der Verantwortung bewegen lernt und ihre Individuen respektable, bzw. respektierte Mitglieder der Gesellschaft werden. Dieser Konflikt beruhe auf dem Sachverhalt, dass ausgeschieden wird, was nicht in die Idealität der homogenen Welt passt und deshalb als verfemt gilt. Verausgaben hat auch die Bedeutung von Verschwendung.“
Damit wird eine schlichte Tatsache beschrieben: Daß für das bürgerliche Leben „Verschwenden“ und „Verausgaben“ irrationale Handlungen sind.Sie widerstreiten dem bürgerlichen Arbeitsethos und dem Ideal des selbstbeherrschten Lebens.
Es ist doch eine pure Geldverschwendung, so viel Geld in den Himmel zu verpulvern für ein so kurzes Vergnügen! 1 Nähme man das ernst,müßte man doch ebenso energisch gegen die Tradition des „Weißen Brautkleides“ protestieren, denn ein so teures Kleid nur einmal tragen zu wollen, ist doch die purste Verschwendung, zumal die weiße Farbe das Symbol der Jungfräulichkeit der Braut ist. Verrationalisierte Ablehnungsgründe werden dann aber hinzugefügt,um das Nein zum Sylvesterfeuerwerk zu verstärken: Man müsse die Feinstaubbelastung berücksichtigen und überhaupt die Umwelt, die eben keinen Krach mag. Außerdem gäbe es stets auch Verletzte wegen der Knallerei. Dann müßte man aber zuvörderst den Sport verbieten angesichts der viel häufiger da sich ereignenden Verletzungen,klärte uns doch schon Winston Churchill auf die Gefahren des Sportes hinreichend auf: „Sport ist Mord!“
Dieser französische Philosoph verweist nun aber uns noch auf eine andere Spur: Ist es etwa ein Charakteristicum der Jugend,verschwenderisch leben zu wollen, während älter geworden man die Tugend der Sparsamkeit und des Nichtverschwendens zu lieben beginnt? Manifestiert sich darin etwa auch ein Neid aus,älter geworden, keine Lebenszeit mehr für ein Verschwenden übrig zu haben?
Ein Szenenwechsel: Sind nicht etwa die großen kirchlichen Prunkkirchen mit ihrem Übermaß an Gold auch nur Hervorbringungen exzessiver Verschwendungssucht.Hätte die Kirche nicht besser auf das aller-notwendigste reduzierten Räumen ihre Gottesdienste zu feiern gehabt,um dann das so eingesparte Geld den Armen zu spenden? Der Herr der Kirche selbst widersprach aber schon dieser Meinung, als er die Verschwendung des Salböles als angemessen beurteilte, daß er so sich salben ließ.
Zur kirchlichen Liturgie gehört tatsächlich das Verschwenderische, ihre Schönheit, die nicht zweckrational begründbar ist: „Nur das Allerschönste für unseren Gott, alles für seine Ehre!“ Offensichtlich ruht dem Kult wie auch den Ritualen so ein verschwenderisches, verausgabendes Moment inne. Wo der Gottesdienst aber verrationalisiert nur noch der Belehrung des Kirchenvolkes durch die Predigt dienen soll, so in der Reformation und nach der Liturgiereform auch in der Katholischen Kirche beraubt den Kult um seine Substanz.
In den Sylvesterfeierfeuerwerken erlaubt sich der Bürger, einmal nicht zweckrational zu handeln. Vielleicht läßt es sich gar nicht bürgerlich leben ohne solche ausschweifenden Verausgabungen.Einfacher gesagt: Wer dem Menschen ein Leben ohne Spiele aufnötigt, auch wenn man ihm dann das Brot zum Essen bewilligt,entmenschlicht den Menschen.
1Die rechtsradicale Partei „Der dritte Weg“führt so jedes Jahr seine Antisylvesterkampagne durch: „Tierfutter statt Sylvesterfeuerwerk“
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